Mälzels Magazin

Zeitschrift für Musikkultur in Regensburg

Schriftzug Mälzels Magazin
Hefte1998Nr. 1
mälzels magazin, Heft 1/1998, S. 4–7
URL: http://www.maelzels-magazin.de/1998/1_03_theater.html

Matthias Nagel

Zur Bedeutung der Stadtmusiker in der 250jährigen Geschichte des Regensburger Musiktheaters

Es ist kein Zufall, daß das Jubiläum zum 250jährigen Bestehen des Regensburger Theaters mit dem der Anwesenheit des Fürstlichen Hauses Thurn und Taxis zusammenfällt. Denn mit dessen Übersiedlung von Frankfurt nach Regensburg im Jahre 1748 wurde der Grundstein für eine mehr oder weniger kontinuierliche Tradition von Opern- und Schauspielaufführungen bis auf den heutigen Tag gelegt. Entscheidender Träger dieser Tradition war ein Musikerstand, dem im Vergleich zur Thurn und Taxisschen Hofkapelle im allgemeinen wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, der aber schon vor deren Existenz das Musikleben in der Stadt der Reichstage nachhaltig prägte: die Stadtmusiker. Ursprünglich nannte man sie – ihren Instrumenten entsprechend – „Stadtpfeifer“ und „Stadtzinkenisten“ oder nach dem Ort ihrer Tätigkeit „Thürmer“ oder „Thurner“. Mitunter wurden sie auch als „Hausleute“ bezeichnet, im Unterschied zu den Spielleuten ohne festen Wohnsitz.

Die Stadtmusiker waren zunftmäßig organisiert und genossen bis zur Einführung der allgemeinen Gewerbefreiheit die alten Vorrechte ihrer Zunft, vor allem das Monopol der Musikausübung bei städtischen und bürgerlichen Feierlichkeiten. Schon vor der Wiedereinrichtung der Fürstlichen Hofkapelle hatte es vereinzelt Theateraufführungen von reisenden Schauspiel- und Operntruppen besonders zu feierlichen Anlässen gegeben. Das eindrucksvollste Beispiel ist hier sicherlich die barocke Prunkoper L’inganno d’amore, die anläßlich des Reichstages von 1653 von der kaiserlichen Wiener Hofoper in einem eigens erbauten Bühnenhaus mit den großartigen Verwandlungsdekorationen von Giovanni Burnacini und der nicht erhaltenen Musik Antonio Bertalis aufgeführt worden war. Den Repräsentationspflichten entsprechend, denen Fürst Alexander Ferdinand von Thurn und Taxis (1704–1773) als Prinzipalkommissar beim Immerwährenden Reichstag nachzukommen hatte, wurde der Hof dann ab der Mitte des 18. Jahrhunderts zum neuen glanzvollen Mittelpunkt der Regensburger Gesellschaft, der Gastspiele verstärkt anzog. Nutznießer dieser Entwicklung waren die Stadtmusiker aus dem einfachen Grund, daß die Reisetruppen keine oder nur sehr wenige Instrumentalisten mitbrachten. Meist war lediglich ein Musikdirektor (oftmals selbst ein Violinist) fest angestellt. Für Opern oder Schauspielmusiken, etwa im „Goldenen Kreuz“ (schon damals ein „In-Treff“!) oder im Ballhaus am Ägidienplatz wurden also die örtlichen Stadtmusiker herangezogen.

Die Fürstliche Hofkapelle dagegen, die sich unter ihren frühen Kapellmeistern, etwa dem besonders als Musiktheoretiker bekannten Joseph Riepel oder dem Geiger und Komponisten Joseph Touchemoulin schnell zu einem bedeutenden Orchester entwickelte, hatte andere Verpflichtungen wahrzunehmen: Neben den Opernaufführungen des 1760 eingerichteten, sogenannten „Französischen Theaters“ (im seitdem vom Fürsten angemieteten Ballhaus), waren dies beispielsweise Hofkonzerte, festliche Empfänge und die Kirchenmusik in St. Emmeram.

Den Stadtmusikern blieb das weite Betätigungsfeld im bürgerlichen Leben der Stadt, sei es bei Hochzeiten und Beerdigungen, bei Empfängen der Stadt, beim Unterrichten des Nachwuchses oder einfach im Wirtshaus. Auch im Domorchester, das bis 1850 existierte und dem Domchor angegliedert war, dürften sie regelmäßig mitgewirkt haben, ebenso in dem kleineren Ensemble, das an der Stiftsbasilika „Alte Kapelle“ bestand. Daß sie schließlich auch am fürstlichen Theater tätig wurden, hatte folgenden Hintergrund:

Im Jahre 1774 wurde mit dem Tod des Fürsten Alexander Ferdinand das Französische Theater geschlossen, und nachdem kurzzeitig eine Italienische Oper eingerichtet worden war, überredete 1778 der damalige oberste Leiter der Hofbühne, Franz Ludwig Baron von Berberich den Fürsten Carl Anselm, eine Deutsche Schaubühne zu eröffnen. Dafür wurde eigens eine Schauspieltruppe unter dem Direktor Andreas Schopf angestellt, der für die Ballette, Singspiele und Schauspielmusiken ein kleines, von der Hofkapelle unabhängiges Orchester von etwa siebzehn Instrumentalisten verpflichtete. Es rekrutierte sich aus Regensburger Stadtmusikern, die im Gegensatz zu den Mitgliedern der Hofkapelle keine feste Anstellung mit regelmäßigem Einkommen hatten, sondern ihre Gagen je nach Proben und Aufführungen erhielten.

Besonders die Singspielaufführungen des Deutschen Theaters kamen beim Regensburger Publikum so gut an, daß 1780 der Vertrag mit Andreas Schopf verlängert wurde. Für die Musik war dabei mehr und mehr das Fürstliche Hoforchester zuständig, mit Paul Ignaz Kürzinger wurde auch einer aus ihren Reihen zum Operndirektor. Die Stadtmusiker wurden nach wie vor bei Balletten und im Schauspiel eingesetzt. Als 1784 die Deutsche Schaubühne aufgelöst und die Italienische Oper wiedereingerichtet worden war, verließ Schopf mit seiner Truppe die Stadt, und sechs der dreiundreißig Stadtmusiker, die sich in den Jahren seiner Amtszeit dem Glanz des Hofes genähert hatten, schafften in Form einer festen Anstellung den endgültigen Sprung an die Hofkapelle. Sie bestand noch bis 1806 unter ihrem langjährigen Leiter Theodor von Schacht, also noch über die endgültige Schließung des Hoftheaters im Jahre 1786 hinaus.

In der Zeit des nachfolgenden Reichstädtischen Theaters (1786–1803) mit seinem ersten Direktor Emanuel Schikaneder, dem berühmten Librettisten von Mozarts Zauberflöte, waren wiederum die Stadtmusiker gefragt. Zusammen mit Instrumentalisten vom Hof bildeten sie das für die Singspiele notwendige Orchester, denn Schikaneder brachte neben seiner Schauspieltruppe lediglich den Musikdirektor mit. Das nach Weimarer Vorbild 1804 erbaute „Neue öffentliche Theater- und Gesellschaftshaus“ am Bismarckplatz war dann – obwohl der Fürst einen hohen Anteil an seiner Errichtung und Erhaltung hatte – eine Art Kulturzentrum für alle Regensburger Bürger. Hauptinitiator war der von 1803 bis 1810 in der Stadt residierende Kurfürst Carl von Dalberg, der von einigen seiner Mitarbeiter von der Notwendigkeit eines Theaters überzeugt worden war. Eine Aktiengesellschaft aus Adeligen, Reichstagsgesandten, kurfürstlichen Beamten, Geistlichen, Magistratspersonen, vielen Kaufleuten und Privatpersonen half, das Projekt zu realisieren. Weil das „Neue Haus“ als Operntheater geplant und gebaut worden war und insbesondere das Singspiel einen hohen Anteil des Programms ausmachte, nahm das Orchester eine wichtige Rolle ein, in dem neben Stadt- und Hofmusikern (letztere brauchten die ausdrückliche Erlaubnis zur Mitwirkung) auch Mitglieder der kurfürstlichen Militärkapelle spielten.

Im Zuge der Auflösung des Deutschen Reiches verlor das Fürstliche Haus Thurn und Taxis 1806 seine mit dem Immerwährenden Reichstag zusammenhängenden repräsentativen Aufgaben und somit auch einen Teil seiner überregionalen Bedeutung. Die Hofkapelle wurde aufgelöst, und einige ihrer Musiker spielten in der Folgezeit im Theaterorchester oder auch im Musikvereinsorchester mit, das zwischen 1817 und 1835 existierte. Mit der Angliederung an das bayerische Königreich wurde Regensburg zwar Kreishauptstadt, dennoch hatte dieser „Abstieg“ zu einer Stadt in der Provinz Konsequenzen für das Kulturleben, dessen finanzielle Grundlagen instabiler wurden. Theaterdirektoren wie Ignaz Walter erhielten zwar noch Unterstützung von Seiten des Fürsten, der Stadt und der königlichen Regierung, in der Hauptsache waren sie aber Privatunternehmer, die weitgehend von den Publikumseinnahmen abhängig waren. Opfer notwendiger Sparmaßnahmen war auch das Orchester, das in kleinerer Besetzung spielte und erst zu einem halbwegs stabilen Klangkörper wurde, als nach Walters Tod 1822 die Theaterkommission eine Mindeststärke von sechzehn Musikern und die „fortwährende Einstellung“ eines Musikdirektors festlegte. Nach wie vor waren die am Theater beschäftigten Stadtmusiker jedoch auf Nebeneinkünfte angewiesen. So arbeitete etwa der Flötist Christoph Pauer, selbst Schüler des berühmten Theobald Böhm, auch als Militärmusiker im königlichen Landwehrregiment und erteilte als „Musikmeister“ (so durften sich ausgelernte Stadtmusiker nennen) Unterricht.

Wenige Jahre vor dem Theaterbrand von 1849 war das Orchester wieder größer geworden, wobei Musiker der Militärkapelle das Ensemble verstärkten, wenn dies nötig war. Die Auswirkungen des Brandes trafen die Stadtmusiker deswegen nicht so stark, weil in einem Interimstheater weitergespielt wurde, bis dann 1852 auf Initiative der Bürger das Theater auf den alten Grundmauern neu errichtet wurde. Eine gewisse Stabilität brachte die vom Magistrat der Stadt sieben Jahre später beschlossene Unterstützung, die ausdrücklich der besseren Bezahlung der Musiker dienen sollte und im Zuge derer auch das Unterrichten und die Einbindung des Nachwuchses in die Orchesterarbeit ganz nach Tradition der Stadtmusiker geregelt wurden. Zudem bildeten der Orchesterverein, in dem sich die Musiker privat und saisonabhängig organisierten, und die Festschreibung der Orchesterbesetzung in einem Theatervertrag ein Gegengewicht zur 1868 eingeführten Gewerbefreiheit, die zunehmend auch eine Konkurrenz durch akademisch ausgebildete Instrumentalisten bedeutete.

Dennoch war um die Jahrhundertwende, als das Theaterorchester sich nicht zuletzt durch die Unterstützung seitens des Fürsten Albert von Thurn und Taxis weiter konsolidiert hatte und einundvierzig Mitglieder zählte, der Berufszweig der Stadtmusiker in seiner früheren Form schon so gut wie ausgestorben. Die Mitglieder des heutigen „Philharmonischen Orchesters“ knüpfen an deren Erbe ebenso an wie an dasjenige des Hoforchesters. Wie seinerzeit die Stadtmusiker sind auch sie aus dem musikalischen Leben Regensburgs nicht wegzudenken, führen sie doch mit ihrer vielfältigen Tätigkeit, sei es nun im Orchestergraben des Stadttheaters, in Sinfonie- und Kammerkonzerten oder in der Instrumentalausbildung eine lange Tradition städtischer Musikpflege fort.

Quellen und Literatur:
– Archiv der Stadt Regensburg: Zentralregister, Theatersammlung Blank.
– Dominicus Mettenleiter: Musikgeschichte der Stadt Regensburg, Regensburg 1866.
– Sigfrid Färber: Das Regensburger Fürstlich Thurn und Taxissche Hoftheater und seine Oper (1760–1786), Regensburg 1936.
– Ottmar Schreiber: Orchester und Orchesterpraxis in Deutschland zwischen 1780 und 1850, Berlin 1938.
– Helmut Pigge: Geschichte und Entwicklung des Regensburger Theaters 1786–1859, Diss. München 1954.

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