Jens Luckwaldt
Regensburger Frühling 1998
Kurz war er, der diesjährige „Regensburger Frühling“. Kurz und vorwiegend heiter. Es ist schon erfreulich, daß dieser Teil des musikalischen Jahres nach längerer Pause heuer wieder stattfinden konnte. Dem treuen Konzertgänger mußte gleichwohl auffallen (vielleicht sogar positiv, angesichts des momentan überreichen Konzertangebots), daß das Programm schmaler ausfiel als gewohnt. An jeweils einem Abend war den drei großen Ensembles des Bayerischen Rundfunks sowie einer Kammermusikformation Gelegenheit gegeben, sich dem Regensburger Publikum zu präsentieren.
Den Rahmen bildeten die beiden Orchesterkonzerte. Das Symphonieorchester des BR kombinierte im Eröffnungskonzert die seltener gespielte 2. Symphonie von Robert Schumann mit zwei Schlüsselwerken der Moderne: Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune und, passend zur Jahreszeit, Strawinskys Sacre du printemps. Das Orchester beeindruckte unter der Führung seines Chefdirigenten Lorin Maazel vor allem durch die Präzision des Spiels. Die glühenden Bilder einer mediterranen Landschaft oder eines heidnischen Opferrituals zu evozieren, konnte im unterkühlten Ambiente des Audimax aber nur für Momente gelingen.
Das Münchner Rundfunkorchester hatte seine Opern- und Musicalgala, mit der das Festival schloß, unter das Motto „Romeo und Julia“ gestellt. Das klingt ein wenig nach Radio-Opernstunde oder Proseminar, und tatsächlich steuerte das Konzert, nach Highlights von Berlioz und Prokofiew und weniger bekannten Auszügen aus Gounods Oper, schnurstracks auf Leonard Bernsteins West Side Story zu. Orchester und Solisten widmeten sich dieser modernen Adaption des Shakespeare-Stoffes denn auch mit besonderem Elan und Können. Gern hätte man gerade dieses Werk unter dem Dirigat von Barbara Yahr erlebt (anachronistischer Weise war der Presseerklärung die Tatsache, daß eine Frau ein Orchester leitet, ein Ausrufezeichen wert ...), doch hatte die Amerikanerin leider krankheitsbedingt absagen müssen.
Wenn Orchestermusiker ohne Dirigent spielen, kann schon einmal ein Einsatz mißlingen: So geschehen, als die Streicher des Rundfunkorchesters zwei Abende zuvor Mendelssohns Oktett anstimmten. Leider war der Reichssaal, ansonsten natürlich ein prächtiger Rahmen für ein Kammerkonzert, mit seiner Akustik den Spielern nicht hold. Eine hoch differenzierte Dynamik, wie sie nötig ist, um Mendelssohns Geisterspuk oder die Brüchigkeit der Strauss’schen Metamorphosen darzustellen, war offenkundig nicht möglich.
Der Favorit bei diesem Regensburger Frühling war für den Verfasser dieser Zeilen das Konzert des Chors des BR, das sich durch seine exzellente Darbietung und sein ausgefallenes, klug zusammengestelltes Programm auszeichnete. In die modernen und dennoch leicht verständlichen, mitreißenden Chorstücke aus dem Amerika unseres Jahrhunderts fügte sich Xenakis’ Rebounds für Percussion solo, von der jungen Babette Haag fulminant gespielt, überraschend gut ein. Die Erwartung auf den nächsten Regensburger Frühling in zwei Jahren, der sich ganz der musikalischen Moderne widmen soll, ist jedenfalls geweckt. In diesem Zusammenhang sind übrigens die durchweg kümmerlichen Programmhefte zu beklagen: Nicht nur fehlten Erläuterungen oder auch nur die Texte der Stücke: Selbst Lebensdaten und Funktionen der Urheber (Komponist? Arrangeur?) wurden im Falle des Chorkonzertes verschwiegen. Gerade bei neuerer Musik ist das einfach zu wenig, und für das Jahr 2000 darf man von den Zuständigen da Besseres erwarten.