Monika Angerer
5. Deutscher Chorwettbewerb in Regensburg
„Deutscher Chorwettbewerb 1998 in Regensburg – wo Geschichte Spaß macht“ lautete das Motto, unter dem die Stadtoberen Teilnehmer und Zuhörer zum Sängerstreit in die mittelalterliche Stadt einluden. Für Regensburg als Austragungsort hatte sich der Präsident des Deutschen Musikrates, Prof. Dr. Franz Müller-Heuser, aus verschiedenen Gründen entschieden. Die Altstadt mit ihren zahlreichen Kirchen, Innenhöfen und der 850 Jahre alten Steinernen Brücke bot eine ideale Kulisse für den Wettbewerb. Gleichzeitig ist Regensburg klein genug, um menschliche Begegnungen zwischen Sängern der Stadt und Teilnehmern zu ermöglichen, was den Initiatoren des Wettbewerbes genauso wichtig war. Und tatsächlich konnte man als Zuhörer feststellen, daß konzentrierter Wettbewerb und gutgelauntes Zusammentreffen gleichrangig nebeneinander standen. Die Anfangszeiten der jeweils 20 Minuten dauernden Beiträge der teilnehmenden Chöre wurden eisern eingehalten. Alle Veranstaltungen waren öffentlich zugänglich, solange man pünktlich kam, ansonsten mußte man warten, bis die nächste Gruppe ihren Auftritt hatte. Ebenso wurde für alle neu hinzugekommenen Zuhörer ein kurzer Verhaltenskodex vorgelesen: Ruhe ist erste Publikumspflicht, Applaus erst nach den gesamten Wettbewerbsbeiträgen und im Saal herrscht absolutes Handy-, Weckuhr- und Tamagotchi-Verbot – letzteres sorgte natürlich für allgemeine Heiterkeit. In allen Kategorien war das Leistungsniveau sehr hoch und die Unterschiede manchmal so gering, daß man selbst nicht gerne in der Jury gesessen hätte. So verwundert es nicht, daß schließlich in sechs der elf Kategorien die Plätze 1–3 mehrfach vergeben wurden. In diesen bewußt vielfältig geschaffenen Kategorien bekamen u. a. den 1. Preis: Der Jazzchor Freiburg (Jazz-vokal et cetera), die Harmonie Lindenholzhausen (Männerchöre – Erwachsenenkategorie), der Rundfunk-Jugendchor Wernigerode (Gemischte Jugendchöre), der Maulbronner Kammerchor (Gemischte Chöre – Erwachsenenkategorie) und der KammerChor Saarbrücken (Gemischte Chöre – Offene Kategorie). In letzterer Kategorie war auch ein Regensburger Chor zur Bewertung angetreten – das Vokalensemble Cantabile Regensburg unter der Leitung von Christian Preißler. Er erhielt 20 Punkte und wurde mit dem Prädikat „mit gutem Erfolg teilgenommen“ versehen. In dieser hervorragend besetzten Kategorie kann das als großer Erfolg verbucht werden, wenn man bedenkt, daß zwei 2. Preise und drei 3. Preise vergeben wurden und der Rückstand zum Sieger nur 3,4 Punkte betrug. Schön auch, daß man viele Chöre in Konzerten am Abend noch einmal entspannter singen hören konnte als während des spannenden Wettbewerbs selbst. Jeder Tag wurde zur Abrundung durch ein Sonderkonzert beendet. Das Eröffnungskonzert im Dom stellte auch eine gelungene Art der Verbindung von Gastgebern, vertreten durch die Regensburger Domspatzen, und Gästen, hier ein Preisträgerchor des letzten Chorwettbewerbs, der Madrigalchor Kiel, dar. Die Kieler sangen Modernes, die Domspatzen Alte Meister und zusammen führten sie schließlich von Benjamin Britten Hymn to the Virgin auf.
Ob im Kolpinghaus bei der Kategorie „Gemischte Jugendchöre“ oder z. B. im Konzertsaal der Kirchenmusikschule, wo die Kategorie „Jazz-vokal et cetera“ zu hören war, überall hätte man während der Darbietungen die berühmte Stecknadel fallen hören können. Der Saal in der Seifensiedergasse glänzte durch stickige Luft, weil er permanent so überfüllt war, daß nie alle Besucher einen Sitzplatz fanden – hier hatte man das Interesse des Regensburger Jazzpublikums kapazitätsmäßig enorm unterschätzt. Doch solche organisatorischen „Pannen“ waren nicht der Rede wert. Im Gegenteil: Unterbringung und Verpflegung der immerhin 4300 Sänger, die sich in Regensburg einfanden, waren sehr gut, wie man immer wieder von Teilnehmern hörte. Eine nette Idee war die Verköstigung vieler Sänger auf Deck zweier Schiffe, die an der Eisernen Brücke festgemacht hatten. Die gute Stimmung war auch vor und nach einem Sonderkonzert des Chores modus novus im Audimax spürbar, gleichzeitig bemerkte man, daß sich nun die Kategorie „Jugenchöre“ in der Stadt aufhielt. Da alle Chöre eine zeitgenössische Komposition vortragen mußten, hatte das jugendliche Publikum reichlich Erfahrung mit dem Singen von „ouuu“ und „aaa“ in Glissandi – die Tonleitern rauf und runter. Mit spontanen Einlagen dieses Könnens verkürzten sie sich und dem restlichem Publikum die Wartezeit bis zum Konzertbeginn. Nach dem Konzert fanden nicht alle Wartenden einen Platz im Bus des RVV, was aber auch nicht zu Murren führte, sondern dazu, daß eine im Bus eingequetschte Gruppe der Jugendkategorie den deutschen Beitrag zum Grand Prix d’Eurovision „Guildo hat euch lieb, auch wenn’s manchmal Tränen gibt ...“ anstimmte – so fuhr der überfüllte Bus „Piep, Piep, Piep, ich hab euch lieb“-singend in die Stadt zurück. Kontakte zwischen Teilnehmern und Regensburgern fanden auch noch an anderer Stelle statt. So waren die Begegnungskonzerte und „Chöre singen für Regensburg“ allesamt gelungene Spontanaktionen. Die in zahlreichen Chören organisierte Regensburger Sängerschaft hatte jeden Vormittag Gelegenheit, sich mit Teilnehmern des Wettbewerbs im Thon-Dittmer-Hof zum „Offenen Singen“ zu treffen. Dort stimmte Prof. Max Frey alle musikalisch auf den Tag ein. Er sang mit dem ganzen Hof, die Stücke stammten aus einem kleinen Notenheft, welches vom Deutschen Musikrat für den Chorwettbewerb herausgegeben wurde. Vom leichten Kanon „Every morning, when I wake up, I want to sing a song“ über ein jüdisches Tanzlied, wobei die im Reigen Tanzenden sich ihre Tanzmusik selbst sangen, bis hin zur schnellen Einstudierung einer schwierigen und dissonanten Limerick-Vertonung von Mátyás Seiber war alles geboten und Prof. Frey holte das Maximum aus diesem wohl einzigartigem Pool geschulter Laiensänger heraus.
Neben dem qualitätvollen und spannenden Wettbewerb und der guten Organisation der Woche waren es vor allem diese Momente der Sängerbegegnung und guten Laune, welchen den Chorwettbewerb in Regensburg zu einem unvergeßlichen Erlebnis machten.