Juan Martin Koch
Eine Nachlese zum Open-Air im Hof des Fürstlichen Schlosses am 18. und 19. Juli ’98
Große Ereignisse, in diesem Fall „Jubiläumsereignisse“, werfen einem Gemeinplatz zufolge ihre Schatten voraus. Das taten sie in diesem Fall natürlich ausgiebig, etwa in Form einer Allgegenwart von Plakaten und Handzetteln sowie durch die oft ebenso fragwürdigen wie vollmundigen Ankündigungen. Oder was wollte uns die Formulierung sagen, Haydns Schöpfung werde interpretiert „von einer Sängerbesetzung, wie es sie in Regensburg bei Oratorienaufführungen noch nie zu erleben gab“? Ein Schlag ins Gesicht für all diejenigen, die es bisher gewagt hatten, Oratorien in Regensburg aufzuführen? Oder die banale Feststellung, diese drei Solisten seien bisher noch nicht gemeinsam hier aufgetreten? In jedem Fall hätte das Open-Air „das musikalische und gesellschaftliche Ereignis des Jahres“ werden sollen. Bezeichnenderweise wurde jedoch genau das zum einzigen Ereignis, was niemand hätte ankündigen können: das Wetter.
Die „Nacht der Filmmusik“ mit dem allseits beliebten Symphonischen Blasorchester Regensburg, das hier allerdings unerwartet herbe Presseschelte einzustecken hatte, litt weniger unter der Qualität der Darbietungen, die durchaus passabel gewesen wäre, als an der Programmauswahl selbst: Sie konnte den zweifelhaften Ruf leider kaum entkräften, den Filmmusik – pur und in diesem Fall in Bearbeitungen dargeboten – gemeinhin genießt. Denn während John Williams’ Anleihen bei Gustav Holst bzw. Aaron Copland in Star Wars und den Cowboys wenigstens noch als bewußte und sinnvolle Reminiszenzen durchgehen konnten, kreuzte der ein oder andere Planet die Umlaufbahn von Michael Kamens durchaus nicht überirdischem Flickwerk zum Thema „Robin Hood“ doch auf sehr platte und unmotivierte Weise. Wie gut hatte es da noch Errol Flynn, der die Enterbten zu den Klängen Erich Wolfgang Korngolds rächen durfte! Bedauerlicherweise hatte sich Dirigent Wolfgang Graef auch nicht dazu durchringen können, die Besetzungen der meist viel zu langen und naturgemäß immer wieder ähnlich arrangierten Suiten variabler zu gestalten. Jede bessere Sängerin hätte der Titanic-Schmonzette „My Heart will go on“ mehr Leben einhauchen können als eine Legion Klarinetten oder Saxophone. Elton Johns routiniert schmissige Nummern aus dem „König der Löwen“ wiederum schrien geradezu nach einer kleineren Combo, die aus dem Regensburger Jazz-Nachwuchs problemlos zu rekrutieren gewesen wäre – aber wer weiß, wie die geklungen hätte. Während sich nämlich in den vorderen Stuhlreihen zum Teil eine passable Mischung aus natürlichem und verstärktem Sound ergab, mutierte die im Vorfeld irreführend angepriesene Akustik des Schloßhofes etwas weiter hinten zur mittelmäßigen Festzeltbeschallung und sprach den Leistungen der Musikerinnen und Musiker schlicht hohn.
Warum sollte es da tags darauf den Profis bei Haydns Schöpfung besser ergehen? Der im Prinzip begrüßenswerte Ansatz Enoch zu Guttenbergs, die Streicher einen luftigen, vibratoarmen Ton spielen zu lassen, wurde durch die Lautsprecherwiedergabe jedenfalls gnadenlos konterkariert. Die zunehmenden Intonationsprobleme der Violinen vom Münchner Orchester KlangVerwaltung, das Kennern zufolge in einer Zweitbesetzung angetreten war, sowie der unsägliche Klang des sich kontinuierlich verstimmenden Cembalos, das pseudo-historisierend in manchen Tuttisätzen mitzirpte, taten ein übriges dazu, tonmalerische Abschnitte zu einer Persiflage ihrer selbst verkommen zu lassen. Und die hochgerühmten Fähigkeiten der Chorgemeinschaft Neubeuern verwandelte die zum Teil übersteuernde Anlage in den Allerweltsklang eines überdurchschnittlichen Laienchores, der manchmal unter Guttenbergs Neigung zu überzogenen Tempi zu leiden hatte. Am besten kamen bei der akustischen Misere noch die Solisten weg: Angela Maria Blasi, James Taylor und Olaf Bär, denen auch interpretatorisch eine Spitzenleistung zu bescheinigen war.
Insgesamt konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, der organisatorische Aufwand habe weniger einer vernünftigen Musikdarbietung als dem krampfhaften Versuch gegolten, dem Drumherum den Anstrich von Exklusivität zu geben: Da waren einerseits der unzulängliche Umgang mit den akustischen (Un)Möglichkeiten, die entweder nicht ausreichend geprüft oder aber billigend in Kauf genommen worden waren und die Unfähigkeit, das Verköstigungspersonal von Aufräumarbeiten zur wiederbegonnenen Musik abzuhalten (Stichwort: Kiestreten als obligates Accompagnement!); andererseits dienten die einstündigen Pausen wohl hauptsächlich dazu, das Publikum aus reiner Langeweile in den Prosecco-Konsum zu treiben. Die Prominenz, ohnehin nur am zweiten Abend anwesend, gab es nämlich nicht zu bestaunen: Sie war zur Privataudienz bei der gastgebenden Fürstin geladen, die dem Auditorium im übrigen mit einem peinlichen Wahlkampfauftritt den Eindruck vermittelte, im falschen Film zu sitzen.
Apropos Fürstin: In den Ankündigungen sorgfältig geheimgehalten, erklang zu Beginn der Filmmusiknacht tatsächlich Musik, die mit dem fürstlichen Jubiläum in direktem Zusammenhang stand! Und siehe da: Ohne Mikrophonunterstützung von hinten einziehend, füllte eine kleine Banda den Hof mühelos mit leicht schrägen, dafür aber um so passenderen Blechbläserklängen. Gern hätte man erfahren, wie sich der einstige Kammer-Musicus Ferdinand Donninger über diese kurzen Ausschnitte hinaus seiner Aufgabe einer Musikalischen Vorstellung einer Seeschlacht – auch so eine Art Filmmusik – entledigt hatte. Aber die eigentlichen musikalischen „Jubiläumsereignisse“ hätten zu diesem Zeitpunkt ja erst bevorstehen sollen ...