Mälzels Magazin

Zeitschrift für Musikkultur in Regensburg

Schriftzug Mälzels Magazin
Hefte2002Nr. 1
mälzels magazin, Heft 1/2002, S. 11–13
URL: http://www.maelzels-magazin.de/2002/1_04_notenarchiv.html

Camilla Weber

„Gewaltig viele Noten, lieber Mozart ...“

Das Notenarchiv des Theaters Regensburg

Die Renovierung des Theaters am Bismarckplatz ist abgeschlossen, die Eröffnungsvorstellung gelaufen, der Umzug des Theaterbetriebs in die neuen alten Räume durchgeführt. Doch nicht nur Maske, Requisite, Garderoben und Verwaltung sind zurückgekehrt, sondern auch etwas, das für Theaterbesucher und die meisten Mitarbeiter normalerweise nicht zu sehen ist: das Notenmaterial des Hauses, das während des Betriebs im Velodrom provisorisch in einem Keller in der Kreuzgasse untergebracht war. Anfang November 2001 wurde das gesamte Material, verpackt in über 150 Umzugskartons, ins neue Haus geschafft, um wieder in seine alte Ordnung gebracht zu werden. Drei Wochen lang stapelten sich im kleinen Neuhaussaal mit seinem wunderschönen Blick auf den Bismarckplatz die Kisten auf dem herrlichen Parkettboden und die Notenmappen auf fünf Tischen. Durch die Neuordnung wurde erstmals seit langer Zeit wieder deutlich, welchen Umfang das Notenarchiv des Theaters Regensburg hat und wo die Schwerpunkte der musikalischen Arbeit des Theaters im Laufe der Zeit lagen.

Den weitaus größten Teil des Notenmaterials machen die Opern aus. Zu knapp 160 Bühnenwerken sind Klavierauszüge vorhanden, zu rund 35 Stücken das komplette Material mit Partituren, Klavierauszügen, Chor- und Orchesterstimmen. Dieser Bestand stammt aus den verschiedensten Zeiten. Viele der vorhandenen Klavierauszüge sind Erstausgaben oder frühe Editionen der Werke. Auch der nun wieder ausgegrabene und zur Eröffnung des Theaters gegebene Oberon von Carl Maria von Weber ist in drei alten Klavierauszügen vorhanden, von denen einer – gedruckt wohl um 1860 in Norddeutschland – damals einen Thaler kostete, und ein zweiter (ca. 1880) eine Reichsmark und ein paar Groschen.

Bei den vollständig angeschafften Aufführungsmaterialien dominieren zahlenmäßig eindeutig die Opern Wolfgang Amadeus Mozarts (Così fan tutte, Die Hochzeit des Figaro, Don Giovanni, Die Entführung aus dem Serail, Der Schauspieldirektor, Bastien und Bastienne und Die Zauberflöte), gefolgt von Giuseppe Verdi (Aida, Ein Maskenball, Macbeth, Othello, Rigoletto, Falstaff, Die Macht des Schicksals, Der Troubadour und La Traviata). Mit dem Barbier von Bagdad, Hoffmanns Erzählungen, Hänsel und Gretel, den Lustigen Weibern von Windsor, Martha, dem Rosenkavalier, dem Freischütz, Fidelio, Carmen, Undine, der Verkauften Braut und Zar und Zimmermann sind die meisten zur Grundausstattung eines städtischen Theaters gehörenden Bühnenwerke vorhanden.

Richard Wagner, vor dem 1. Weltkrieg häufig in Regensburg gespielt, ist mit Der Fliegenden Holländer, Die Meistersinger von Nürnberg, Tristan und Isolde und Tannhäuser vertreten. Wie Matthias Nagel (s. Literatur) ermittelt hat, war um 1898 wohl auch einmal das komplette Material zum Ring des Nibelungen vorhanden, das aber nicht mehr erhalten ist. Zu den Raritäten des Repertoires, die heute nur mehr in Klavierauszügen vorhanden sind, zählen u.a. Alessandro Stradella (Friedrich von Flotow), der Arme Heinrich (Hans Pfitzner), Columbus (Werner Egk), die Hochzeit des Job (Joseph Haas), Izeyl (Eugen d’Albert, um 1895 als Klaviervirtuose in Regensburg zu Gast), der Jakobiner (Antonín Dvorák), Spiel oder Ernst? (Emil Nikolaus von Reznicek) oder die Verschworenen (Franz Schubert). Ein ähnliches Bild bietet sich bei den Operetten: beliebte Klassiker (Der Bettelstudent, Boccaccio, Die Fledermaus, Gasparone, Die Lustige Witwe, Schwarzwaldmädel, Der Vogelhändler, Wiener Blut, Zigeunerbaron) stehen neben so unbekannten Werken wie Indigo (Strauß) und der Schampusfee (Gutheim).

Einen weiteren Hauptteil des Notenmaterials macht die symphonische Musik aus. Hier fanden sich die ältesten erhaltenen Noten, kenntlich an Papier und Stempelung. Sie stammen aus dem Archiv des Regensburger Musikvereins, der 1849 gegründet worden war und seitdem vielbeachtete Konzerte im Neuhaussaal veranstaltete. Geldmangel zwang auch damals schon zur Sparsamkeit: von manchen Stücken existieren nur handgeschriebene Partituren und Stimmen, von anderen wurde je eine gedruckte Stimme angeschafft, von der dann der benötigte Stimmensatz von Hand kopiert wurde (z.B. Boeildieu: Ouvertüre zu Jean de Paris, gedruckt 1762, oder Gade: Ouvertüre zu Hamlet). Diese bis ins 20. Jahrhundert weit verbreitete Praxis konnte aber auch zu Problemen führen: So vermerkte ein verärgerter Benützer auf einer zweiteiligen (Streicher und Bläser) handgeschriebenen Partitur des Musikvereins: „Das soll eine Partitur sein? O schändlicher Eigennutz!“ Die Werke der Klassiker Haydn, Mozart und Beethoven bilden wie zu erwarten den bestandsmäßigen Schwerpunkt. Daneben natürlich Schubert, Mendelssohn, Wagner (Ouvertüren) und Weber sind vertreten, aber auch Auber, Berlioz, Chopin oder Rossini. Johann Sebastian Bach begegnet man in der Anschaffungschronologie erst ab den dreißiger Jahren.

Selten geben handschriftliche Vermerke Auskunft über Aufführungsdaten. In der Partitur der Ouvertüre von Schuberts Alfonso und Estrella (gedruckt 1867) findet sich der Vermerk: „Zum Erstenmale aufgeführt im großen Vokal- und Instrumental-Concert am 12. December 1871 unter der Vorstandschaft des Kreiskassiers Spörl.“ Im Jahr 1904 wurde anläßlich des 2. Bayerischen Musikfestes in Regensburg u.a. die Graner Festmesse von Franz Liszt aufgeführt, deren umfangreiches Stimmenmaterial und riesige Partitur sich erhalten haben. Das Datum der Anschaffung der einzelnen Musikalien ist für die Zeit bis ca. 1970 leider weder in den Noten selbst noch im vorhandenen Repertorium vermerkt. Hilfreich bei der chronologischen Einordnung sind daher die verschiedenen Stempelungen: sie reichen von „Archiv des Musikvereins“, „Stadttheater Regensburg“ über „Theater der bayerischen Ostmark“ bis hin zu „Städtische Bühnen Regensburg“ und „theater regensburg“.

Einzelne Bläserstimmen (z.B. von Wagner-Ouvertüren) tragen auch den Stempel des 19. Bayerischen Infanterie-Regiments oder des Königlich Bayerischen 1. Jägerbataillons. Sie haben über die Zusammenarbeit der Militärmusiker mit dem Haus Thurn und Taxis und dem städtischen Orchester den Weg ins Notenarchiv des Theaters gefunden.

Der Gesamtumfang des Notenarchivs des Theaters Regensburg beläuft sich auf rund 90 laufende Meter. Davon entfallen auf Opernwerke ca. 45 Meter, auf Operetten und Musicals ca. 15 Meter und auf die symphonische Musik ca. 20 Meter. Der Rest verteilt sich auf Schauspielmusiken, Einlagen und diverse Einzelstücke für den Konzertbetrieb. Bei der Renovierung des Theaters am Bismarckplatz wurde für das Notenarchiv ein eigener Raum im Keller reserviert und mit maßgeschreinerten Regalen und Schränken ausgestattet, in denen die musikalischen Schätze und Perlen aus 150 Jahren Regensburger Theatergeschichte lagern.

Durch die Neuordnung und die dauerhafte Unterbringung ist die praktische Nutzung durch den täglichen Theater- und Konzertbetrieb – der Hauptzweck des Notenarchivs – wieder uneingeschränkt möglich. Darüber hinaus gibt das Archiv reiche Auskunft über die Aufführungsgeschichte und -praxis und den Musikgeschmack eines städtischen Theaters mittlerer Größe während verschiedener Epochen und ist damit ein verborgener, aber beredter Zeuge eines bedeutenden Stückes Regensburger Musikgeschichte.

Literatur:
• Franz A. Stein: 130 Jahre Musik und „Musikverein“, in: Regensburger Almanach 1980, S. 133–139
• Helmut Pigge: Theater in Regensburg, Regensburg 1998 Matthias Nagel: Thema & Variationen. Das Philharmonische Orchester Regensburg und seine Geschichte, Regensburg 2001
• Magnus Gaul: Musiktheater in Regensburg. Studien zum Repertoire und zur Bearbeitungspraxis in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Diss. Regensburg 2001 (Druck i. Vorb.)

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