Juan Martin Koch
Der Regensburger Komponist Florian Heigenhauser
Ein musikalischer Einfall von seltener Stichhaltigkeit: Nach einer erste Räume und Gesten des Zusammenspiels absteckenden Phase zerfällt das entstehende Gebilde schnell wieder. Die Solo-Oboe erreicht nach kurzer Orientierungssuche den Kammerton a und das Orchester nimmt ihn auf, stimmt seine Instrumente noch einmal auf das Instrument ein, das den Ton angibt. Augenzwinkernd und einleuchtend nimmt Florian Heigenhauser hier die Grundbedingungen des Solokonzerts im allgemeinen und des Oboenkonzerts im besonderen ganz wörtlich in seine Komposition auf. Typisch für den 1963 Geborenen? Vielleicht insofern, als vielen seiner Werke etwas unmittelbar Nachvollziehbares eigen ist, eine Klang- oder Formidee, die sich seiner abstrakten, die Dur-Moll-Tonalität nur bisweilen als Stilmittel einsetzenden Tonsprache zum Trotz mitteilt, ohne sich aufzudrängen.
So etwa auch das ebenfalls ein Soloinstrument einsetzende Stück „Traumspur“ für Marimbaphon und Streichorchester, das vom Orchester am Singrün im vergangenen Sommer aufgeführt wurde. Die Marimba spielt darin zwar eine auch in Bezug auf den Titel entscheidende Rolle; dominierend im Sinne eines begleiteten Solisten wie im Oboenkonzert ist der Part aber nicht. Heigenhauser beschreibt die Idee des Werks im Gespräch so: „Jeder kennt das Phänomen, daß es in Träumen manchmal so etwas wie einen roten Faden gibt, eine Konstante, um die herum sich die oft absurden oder grotesken Einzelheiten anlagern. Diese ‚Traumspur‘ hält die Marimba aufrecht, strahlt aber auch auf das Streichorchester aus.“ Als klanglich herausgehobenes Instrument liefert das Marimbaphon mit seiner kreisenden Eingangsfigur zugleich das motivische Material, das durch die Streicherstimmen wandert, und auch die spezifischen Möglichkeiten dieses eher selten zu hörenden Instruments werden plausibel exponiert, etwa für eine rhythmisch akzentuierte Sogwirkung in der Mitte des Stücks.
Ein weiteres Beispiel wäre Heigenhausers erstes Orchesterstück „Theriak“, dem zwei Saxophone die entsprechend jazzige Stilebene zunächst unmißverständlich aufprägen, um sich dann immer weiter in der Masse des Orchesters zu verlieren. Was wie eine durch den Avantgarde-Fleischwolf gedrehte „West Side Story“ klingt, ist zugleich ein Indiz für Heigenhausers musikalische Offenheit, die nichts mit der vielfach beanstandeten Beliebigkeit postmodernen Komponierens zu tun hat.
Mit den Schubladen der neuen Musik war der Komponist, dessen Musikerkarriere Regensburgtypisch bei den Domspatzen begann, schon während seiner Ausbildung an der Münchner Musikhochschule intensiv in Berührung gekommen, wo er sein Studium der Schulmusik nach zwei Semestern durch ein Kompositionsstudium ergänzte. Nicht nur weil er sich gegen Wilhelm Killmayer, die charismatischere Lehrerpersönlichkeit, und für Dieter Acker, den Garanten einer soliden technischen Ausbildung entschieden hatte, saß Heigenhauser stilistisch bald zwischen allen Stühlen. Weder hatten seine Werke bei den „Hardlinern aus der Südwest-Ecke“ (Heigenhauser) eine Chance, noch deckten sie den postmodernen Aspekt ab, für den Killmayer oder das ADEvantgarde-Festival in München stand, wo er aufgeführt wurde.
Eine aufschlußreiche Erfahrung machte Heigenhauser auch 1992, im Rahmen der Münchner Biennale mit dessen damaligem künstlerischen Leiter Hans Werner Henze: Als er sich des Meisters konzeptionelle Vorschläge und Änderungswünsche zu seinem Puppentheaterstück Lysistrata für vier Schlagzeuger und Klangfiguren nicht im erwünschten Maß zu Herzen nahm und bei seiner Version blieb, war bei Henze das Interesse an dem durchaus eigensinnigen jungen Komponisten schnell erloschen und er sprach kein Wort mehr mit ihm. „Ich hatte eben nicht kapiert, daß das, was Henze als Idee in den Raum stellt, Gesetz ist“.
Hätte es den Studiengang Filmmusik damals schon gegeben, hätte er wahrscheinlich diesen Weg eingeschlagen, so aber kamen mehrere Gründe zusammen, warum Heigenhauser seine kompositorischen Ambitionen ein Stück weit zurückstellte und als Musiklehrer in den Schuldienst ging. Erfahrungen wie die Arbeit an dem von ihm komponierten Musical nach Kästners „Emil und die Detektive“, das er mit seinen Schülerinnen und Schülern vom Kelheimer Donau-Gymnasium bei den letztjährigen Schülertheatertagen auf die Bühne stellte, entschädigen für manche Frustration im Berufsalltag. Doch auch zum Komponieren bleibt noch Freiraum: Anfang 2000 nahm das Philharmonische Orchester unter GMD Rumstadt das Auftragswerk „18 for musicians“ ins Programm, und das Renner-Ensemble hat seine den Männerchorklang in der ganzen Fülle und Tiefe auskostenden „Prophezeihungen des Mühlhiasl“, die auch gedruckt vorliegen, an die 40mal aufgeführt.
Spröder und abstrakter geht es bisweilen in Heigenhausers Kammermusik zur Sache. Neben den drei Solo-Stücken „Per Violino“ sticht hier insbesondere das Trio für Klarinette, Viola und Klavier heraus, an dem der Komponist seine Vorstellung vom Schaffensprozeß konsequent in die Tat umgesetzt hat: Nicht eine durch Erlerntes festgelegte Verfahrensweise bildet den Ausgangspunkt für ein neues Stück, vielmehr bringt die Idee zu einem neuen Werk bei der Arbeit die entsprechende Kompositionstechnik hervor. Im Fall des ersten Triosatzes etwa resultiert die Brüchigkeit, das Ausschnitthafte des Verlaufs aus dem Verfahren, daß von einem kompletten und streng durchgearbeiteten Satzgebilde einzelne Abschnitte oder Stimmen immer wieder weggeblendet werden, das Gefüge somit nur selten als ein Ganzes wahrzunehmen ist. Heigenhauser vergleicht diese Technik und damit die Satzidee mit einem Bild, bei dem einzelne Abschnitte abgedeckt werden, das also nur ausschnitthaft zu sehen ist. Ein weiteres Kennzeichen vieler Arbeiten Heigenhausers deutet sich in den Titeln „Tra(i)n(e) to nowhere“ für den ersten sowie „Circle Tra(i)n(e)“ für den dritten Satz des Trios an: Das Spiel mit musikalischen Anspielungen bis hin zum Zitat. Im Trio verweist das Wortspiel auf John Coltrane, einen der einflußreichsten Saxophonisten der Jazzgeschichte. Sein berühmter Titel „Giant Steps“ durchzieht – durch langsame Fortschreitungen verfremdet – den letzten Satz.
Noch direkter sind Zitate in den Klavierzyklus „Per Piano“ eingewoben, der so einerseits zu einer Hommage an Robert Schumann wird, andererseits aber auch Einflüsse György Ligetis aufnimmt, dessen Umgang mit historischem und außereuropäischem Material in den Klavieretüden Heigenhauser zur Entstehungszeit des Zyklus (1990) stark beeindruckte. Nimmt man im eingangs kommentierten Oboenkonzert die vielen Anspielungen auf wichtige Repertoirewerke für diese Besetzung (Mozart, Strauss) hinzu, so wäre im Hinblick auf die Nachvollziehbarkeit und Eigenständigkeit von Heigenhausers musikalischer Sprache der Aspekt des Geschichtsbewußtseins zu ergänzen: Das Wissen, immer wieder auf eine Tradition aufsetzen zu können, ohne sie unter bestimmten kompositionstechnischen Vorzeichen fortschreiben zu müssen.