Camilla Weber
Regensburger Musikgeschichte in Straßennamen
Erstmals erscheint die Haberlstraße, die von der Furtmayrstraße bei der St. Antonius-Kirche südlich zum Mühlweg führt, im Regensburger Adreßbuch von 1934/35. Als Erklärung für den Straßennamen ist zu lesen: „Dr. Frz. Haberl, Domkapellmeister, gründete um 1874 die Kirchenmusikschule des Cäcilienvereins und erbaute um 1886 die jetzigen an der Reichsstraße liegenden Gebäudlichkeiten dieser Schule.“
Eine eher dürftige Umschreibung eines Lebenswerkes, das Dieter Haberl (siehe Lit.) so beschreibt: „Franz Xaver Haberl begann seine kirchenmusikalische Laufbahn als Knabensopran, war dann Organist und Kirchenmusiker, Priester und Seelsorger, Seminarpräfekt und Erzieher, Seminarmusiklehrer und Chordirigent, Komponist, Domkapellmeister und Inspektor der Dompräbende, Choralist und Choralforscher, Musikwissenschaftler und -historiker, Bibliograph, Bibliotheksagent und Musikantiquar, Musikalien- und Autographensammler, Kirchenmusikschulgründer, Instrumentenhändler, Geschäftsmann und Finanzier, Grundbesitzer und Bauherr, Fachjournalist sowie langjähriger Herausgeber und Autor kirchenmusikalischer Periodika, Editor vieler Erst- und zweier Gesamtausgaben, Hauptredakteur bei der Revision der offiziellen Choralbücher, Mitglied und Organisator mehrerer gelehrter Gesellschaften, Doktor der Theologie und Präses des Allgemeinen Deutschen Cäcilienvereins.“
Franz Xaver Haberl wurde am 12. April 1840 als Sohn des Volksschullehrers und Kirchenmusikers Franz Xaver Haberl und dessen Ehefrau Cäcilia in Oberellenbach bei Mallersdorf geboren. Die Eltern förderten das musikalische Talent des Sohnes, der mit 10 Jahren ins bischöfliche Knabenseminar in Passau aufgenommen wurde und dort eine Ausbildung in Gesang, Orgel- und Klavierspiel erhielt. Der Passauer Bischof vermittelte dem jungen Haberl um 1858 den Kontakt zu Karl Proske, Dominicus Mettenleiter und Joseph Schrems, die in Regensburg die treibenden Kräfte der Kirchenmusikreformbewegung des Cäcilianismus waren. Nach seiner Priesterweihe 1862 wurde Haberl zum Musikpräfekten der drei Passauer Knabenseminare ernannt. Dort beschäftigte er sich mit der klassischen Vokalpolyphonie, aber auch mit Komponisten wie Händel, Haydn und Mendelssohn. Mit nur 24 Jahren brachte er sein erfolgreichstes eigenes Werk heraus, den Magister choralis, ein Standardlehrbuch des Choralgesangs, das zwölf Auflagen erreichte und in sechs Sprachen übersetzt wurde. Um seine Kenntnisse zu erweitern, bat er um einen zweijährigen Urlaub für einen Aufenthalt in Rom „behufs des Studiums der dortigen Kirchenmusik“, betrieb dort wie sein Vorbild Proske Archivstudien und war ab 1867 auch als Organist an der deutschen Nationalkirche Santa Maria dell’Anima in Rom angestellt. Er pflegte freundschaftlichen Umgang mit Franz Liszt, der ihm die Idee der Gründung einer Kirchenmusikschule nahebrachte, unterstützte den gemeinsamen Freund Franz Xaver Witt aus Walderbach bei der päpstlichen Anerkennung des neugegründeten Cäcilienvereins und verschaffte dem Regensburger Verleger Friedrich Pustet ein päpstliches Privileg für die Neuedition von Choralbüchern. Nebenbei baute sich Haberl – wiederum nach Proskes Vorbild – durch Ankauf, Abschreiben und Tausch eine umfangreiche eigene Musikbibliothek mit zahlreichen Autographen auf. Da die Passauer Heimatdiözese ihm angeblich keine Anstellung verschaffen konnte, die ihm „das Riesenwerk der Vollendung von römischen Choralbüchern“ ermöglicht hätte, bat Haberl um Aufnahme ins Bistum Regensburg und fand im September 1870 Anstellung als Chorvikar des Kollegiatstiftes Unserer Lieben Frau zur Alten Kapelle, wo Michael Haller Stiftskapellmeister war. Doch schon am 1. Oktober 1871 ernannte ihn der Bischof zum Domkapellmeister als Nachfolger von Joseph Schrems. Hier sollte Franz Xaver Haberl eine immense Reformtätigkeit entfalten: von der Erweiterung des Repertoires, der Verbesserung der Dompräbende, der Erhöhung der Zahl der Domsingknaben über ein Privatinstitut für angehende Kirchenmusiker und die Leitung der 5. Generalversammlung des Allgemeinen Cäcilienverbandes 1874 in Regensburg führte ein direkter Weg hin zu seinem opus magnum, der am 1. November 1874 eröffneten Kirchenmusikschule, eine der ältesten Einrichtungen ihrer Art. Nebenbei betrieb Haberl weiterhin den Ausbau seiner Musikaliensammlung, übernahm ab 1879 die Herausgabe der Palestrina-Gesamtausgabe und ab 1894 zusammen mit Adolf Sandberger die erste Gesamtausgabe der Werke Orlando di Lassos, zwei Editionen, die bis heute gültige Maßstäbe gesetzt haben. Dazu fand er Zeit, verschiedene Periodika wie das bis heute erscheinende Kirchenmusikalische Jahrbuch und das Cäcilienvereinsorgan (heute Musica sacra) herauszugeben.
Ein zweites opus magnum Franz Xaver Haberls, im wörtlichen Sinne neben der Kirchenmusikschule, stellt die Kirche St. Cäcilia dar, die im Jahr 2002 ihr 100jähriges Jubiläum feiern kann. Die Kirchenmusikschule, seit 1886 an der Ecke Reichsstraße-Sedanstraße im erst seit ca. 1870 entstehenden Ostenviertel der Stadt angesiedelt, hatte bereits internationales Renommee erworben. Es fehlte jedoch eine Kirche, in der die Studenten das Gelernte praktisch einund ausüben konnten. Daher stellte Haberl das ihm gehörende Grundstück neben der Schule für einen Kirchenbau im neuromanischen Stil zur Verfügung und gab aus eigener Tasche 30.000 Mark als Startkapital. Gönner wie Friedrich Pustet und Fürst Albert von Thurn und Taxis halfen weiter. Am Ostermontag, dem 22. April 1900, erfolgte die Grundsteinlegung durch Bischof Ignatius von Senestrey, am 5. Oktober 1902 die Benediktion der neuen, der Patronin der Kirchenmusik geweihten Cäcilienkirche. Sie sollte als Studienkirche und ab 1921 auch als Pfarrkirche des neuen Ostenviertels dienen. Am 5. September 1910 starb Franz Xaver Haberl, Päpstlicher Hausprälat, Königlich Geistlicher Rat, Direktor der Kirchenmusikschule, Mitglied der päpstlichen Kommission für musica sacra und Generalpräses des Cäcilienvereins, in Regensburg. Sein Grab fand er auf dem unteren katholischen Friedhof, ganz in der Nähe der kleinen Straße mit den wenigen Häusern, die seinen Namen trägt.
Literatur:
• August Scharnagl: Franz Xaver Haberl, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Band 5 (1956), Sp. 1194 f.
• August Scharnagl: Franz Xaver Haberl (1840–1910) – Musiker und Musikforscher, in: Franz A. Stein (Hg.): Sacerdos et Cantus Gregoriani Magister. Festschrift Ferdinand Haberl zum 70. Geburtstag, Regensburg 1977, S. 233–245
• Johannes Hoyer: Bischöfliche Zentralbibliothek. Thematischer Katalog der Musikhandschriften 6, Bibliothek Franz Xaver Haberl, München 1996 (Kataloge Bayerischer Musiksammlungen 14/6)
• Dieter Haberl: Bischöfliche Zentralbibliothek: Thematischer Katalog der Musikhandschriften 7 und 8, Bibliothek Franz Xaver Haberl, München 2000 (Kataloge Bayerischer Musiksammlungen 14/7 und 14/8)