Mälzels Magazin

Zeitschrift für Musikkultur in Regensburg

Schriftzug Mälzels Magazin
Hefte2002Nr. 2
mälzels magazin, Heft 2/2002, S. 4–6
URL: http://www.maelzels-magazin.de/2002/2_03_soler.html

Agustí Bruach

Italienische Oper mit spanischem Kolorit

Zur Bühnenmusik Martín y Solers in der Fürst Thurn und Taxis-Hofbibliothek

„Die wälsche Oper Una Cosa Rara, komponirt vom Herrn Martin, welche voriges Jahr zum erstenmal auf unserm Nationaltheater erschien, und nachher noch so oft mit allgemeinem Beyfalle als das Lieblingssingspiel von Wien, wiederholt wurde (...) äusserte selbst einigen Einfluß auf unsere Moden. Man hat nämlich einen Flor oder Dünntuch à la Cosa Rara, das schwarz und mit durchgehenden rothen schmalen Seidenstreifen, nach der Farbe des Anzugs der beyden Hauptpersonen des Stückes, ist, und von unseren Damen zum Puff auf ihren Hüten (...) oder auch zu Halstüchern bey einem simpeln Negligé getragen wird, und in letzterer Qualität einige derselben gar niedlich kleidet. Eben so hat man sowohl für Damen als Herren Uhrketten à la Cosa Rara, die aus Stahl-Perlen und rothen mit einander abwechselnd gereihten Glaskorallen bestehen (...). Mehr noch in der Mode sind die Fächer à la Cosa Rara, worauf die Szene, wie sich beide Liebende wieder vereinigen, auf der eine Seite desselben, auf der anderen Seite aber das hier so allgemein beliebte und nun sogar zum Volkslied gewordene Duetto Amoroso: Pace caro mio Sposo etc. das sie dabey singen, sammt Text und Musik abgebildet ist.“ So werden im Journal des Luxus und der Moden im Oktober 1787 die gesellschaftlichen Auswirkungen des Riesenerfolges des spanischen Komponisten Vicente Martín y Soler im Wiener Burgtheater bei der Uraufführung der Oper Una cosa rara, o sia Bellezza ed Onestà am 17. November 1786 beschrieben.

In der Tat war Martín y Soler erst 1785 nach ein paar bemerkenswerten Erfolgen am Madrider Hof, in Venedig und in Neapel in der Donauhauptstadt angelangt, um drei Jahre später von Katharina der Großen an den Hof von Sankt Petersburg berufen zu werden. In dieser kurzen Zeitperiode erhielt er dort als Protegé von der Gattin des Spanischen Botschafters den Auftrag zur Komposition dreier komischer Bühnenwerke für die italienische Oper, welche damals unter der Ägide Kaiser Josephs II. besonders beliebt war. Auf diese Art und Weise entstanden neben der Cosa rara noch zwei Kompositionen nach Libretti von Lorenzo da Ponte: Il burbero di buon cuore, uraufgeführt im Januar 1786 im Wiener Burgtheater, und L’arbore di Diana, deren Uraufführung im Oktober 1787 auf der selben Bühne stattfand.

Heutzutage scheint aus rein musikalischen Gründen kaum nachvollziehbar, dass sogar die auch damals in Wien aufgeführte Le Nozze di Figaro Mozarts durch die Cosa rara Martín y Solers von der Bühne verdrängt wurde. Vielleicht muß in diesem Kontext die Aussage Mozarts aus einem Brief vom 2. Juni 1790 an seine Frau interpretiert werden: „(...) gestern war ich in dem zweyten Theil von der Cosa rara – gefällt mir aber nicht so gut wie die Antons“. Trotzdem wird von Mozart bei der Abendmahlszene des Don Giovanni und auf Anregung des Librettos da Pontes – „Bravo! Cosa rara!”, sagt der Diener Leporello auf der Bühne – Musik aus dieser Oper zitiert. Es sei hier auch daran erinnert, daß Mozart bei der Wiener Neuinszenierung des Burbero di buon cuore am 9. November 1789 die zwei Arien Chi sa qual sia und Vado, ma dove? (KV 582 und 583) für die Oper Martín y Solers komponierte. Auf jeden Fall breitete sich Una cosa rara rasch in ganz Europa und wenig später in Amerika aus.

Ob der Besuch Kaiser Josephs II. bei einer Theatervorstellung auf der deutschen Schaubühne zu Regensburg am 24. Mai 1781 entscheidend dazu beigetragen hat, sich am Thurn und Taxisschen Hof von der Theatermusik in deutscher Sprache zu distanzieren, um, dem Geschmack der Wiener entsprechend, zur italienischen Oper zurückzukehren, bleibt offen. Die Fakten zeigen wohl, daß die italienische Bühnentradition der Opera buffa auf Grund ihrer Bevorzugung durch den Fürsten Carl Anselm zu Lasten der Bühnenmusik in deutscher Sprache ab Mitte 1783 in Regensburg eine besondere Blüte aufwies. Gerade im August 1783 wurde unter der Leitung des Musik- und Theaterintendanten Theodor Baron von Schacht, der sich auch als Opernkomponist zuerst in Regensburg und später in Wien zu profilieren versuchte, ein Plan zum Wiederbau einer neuen italienischen Oper vorgelegt, der eine ganze Reihe von Sängern und Sängerinnen verpflichtete und die Renovierung und den Ausbau des Theaters am Ägidienplatz vorsah. Gleichzeitig geht aus den entsprechenden Dokumenten des Thurn und Taxis-Zentralarchivs hervor, daß verschiedene italienische Opern durch die fürstlichen Agenten in Wien geordert und nach Regensburg übersandt wurden, welche zusammen mit den Neuerwerbungen im Bereich der Instrumentalmusik das Musikarchiv auf den neuesten Stand der Mode brachten. In der Tat befindet sich schon in einem von 1786 datierenden Katalog von Schachts unter der Nummer 62 und kurioserweise unmittelbar vor Mozarts Le Nozze di Figaro der Eintrag Il burbero di buon cuore. An dieser Stelle taucht als Name des Komponisten „Martini“ auf. Es handelt sich dabei natürlich um Martín y Soler, dessen Ruf sich nach der Wiener Uraufführung von Una cosa rara 1786 bis nach Regensburg ausgebreitet haben dürfte.

Tatsächlich sind neben der Partitur von Il burbero di buon cuore auch eine beim Verlag Artaria in Wien gedruckte Bearbeitung von Una cosa rara, zwei Arien aus Il burbero und La scuola dei maritati (uraufgeführt in London 1795) und eine aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts stammende Bearbeitung verschiedener Stücke aus dieser letzten Oper für Harmoniemusik im Bestand der Thurn und Taxis-Bibliothek zu finden. Diese Arien und Stücke sind allerdings in Einzelstimmen – die Arie aus Il burbero auch in Partitur – erhalten und weisen Eintragungen mit rotem Stift auf, was auf einen praktischen Gebrauch als Aufführungsmaterial hindeutet. Interessanterweise wurde die Regensburger Abschrift des Burbero bislang von der Fachliteratur kaum berücksichtigt. Im Gegensatz zu den oben genannten Bearbeitungen weist diese zweibändige Quelle des Burbero keine späteren Korrekturen bzw. Ergänzungen auf, die einen Hinweis auf einen praktischen Gebrauch bei der italienischen Oper in Regensburg geben könnten. Orchesterstimmen sind auch nicht vorhanden. Es handelt sich dabei höchstwahrscheinlich um eine aus dem Umkreis des Wiener Burgtheaters stammende Kopie, welche unmittelbar nach der Uraufführung nach Regensburg gelangt sein dürfte. Die Schnelligkeit, mit der die Wiener Agenten des Hauses Thurn und Taxis eine solche Abschrift für ihre Klienten in Regensburg besorgten, ist ein Beleg dafür, wie stark sich von Schacht für die musikalischen Neuigkeiten aus der Donaumetropole interessierte. Außerdem waren die Ähnlichkeit der Bearbeitung da Pontes nach einem Theaterstück von Carlo Goldoni zur komischen französischen Tradition der Pastoraltopoi eines Molière und ihre gleichzeitige Verankerung in der norditalienischen Commedia dell’arte sicherlich wichtige Punkte für ihre Rezeption in Regensburg, wo längst diese beiden Strömungen des Musiktheaters der Barockzeit und ihre späteren Folgeerscheinungen zu Beginn des Klassizismus ständig gepflegt wurden und – dem Geschmack des damaligen Publikums entsprechend – ihren Platz bei den Unterhaltungsgepflogenheiten erobert hatten. Musikalisch betrachtet ist der Burbero Martín y Solers im Rahmen der italienischen Opera buffa einzuordnen, wobei die melodische Inspiration des spanischen Komponisten und der Verzicht auf jede Spur von strengem Stil, die Simplizität sowohl der Form als auch der Instrumentierung und die Bevorzugung der tänzerisch geprägten rhythmischen Modelle entscheidend zu seinem Erfolg in Wien beigetragen haben dürften.

Eine Inszenierung des Burbero soll nach Angaben von Sigfrid Färber bei der italienischen Oper in Regensburg schon 1786, kurz nach ihrer Wiener Premiere, stattgefunden haben. Über die Art und Weise der Aufführung und deren Erfolg sind bislang jedoch keine Dokumente gefunden worden. Ein paar Monate später wurde die zweite italienische Oper in Regensburg frühzeitig aufgelöst. Zum einen wandten sich zunehmend die Gesandten beim Reichstag zu Regensburg gegen die italienische Oper des Fürsten, um an ihrer Stelle ein deutsches Nationaltheater zu errichten, zum anderen fielen gerade in der Saison 1785/86 die Kosten der Oper weit höher aus als vorgesehen, so daß, wie in den Akten des Thurn und Taxisschen Zentralarchivs in Regensburg berichtet wird (Hoftheater, Bd. 3: Die italienische Oper), der Fürst schließlich am 19. Juni 1786 von Schloß Trugenhofen aus an Baron von Westerholt schrieb: „Wir haben den unabänderlichen Schluß gefaßt, Unsere italienische opera noch vor Ablauf der dem Personali zugestandenen Contrakt-Zeit, und zwar sogleich zu verabschieden, anbei auch keine eigene Schauspielergesellschaft zu unterhalten.“

Literatur:
• Mode-Neuigkeiten, in: Journal des Luxus und der Moden, Bd. 2, Wien, Oktober 1787, S. 350ff.
• S. Färber, Das Regensburger Fürstlich Thurn und Taxissche Hoftheater und seine Oper 1760–1786, Regensburg 1936
• O. Michtner, Das alte Burgtheater als Opernbühne. Von der Einführung des deutschen Singspiels (1778) bis zum Tod Kaiser Leopolds II. (1792), Wien 1970 (Theatergeschichte Österreichs 3)
• G. Haberkamp, Die Musikhandschriften der Fürst Thurn und Taxis Hofbibliothek Regensburg, München 1981 (Kataloge Bayerischer Musiksammlungen 6)
• G. Allroggen, Vorwort zur kritischen Ausgabe von Una Cosa Rara ossia Belleza ed Onestà, München 1990 (Die Oper. Kritische Ausgabe von Hauptwerken der Operngeschichte 5)
• D. Link, The Da Ponte Operas of Vicente Martin y Soler, Diss., Toronto 1991
• Dies., «Il burbero di buon cuore$raquo;: The Art of the Libretist, in: Goldoni and the Musical Theatre, hrsg. von D. Pietropaolo, Ottawa 1995, S. 37–48
• R. Kleinertz, Zwischen Neapel und Madrid: Vicente Martín y Soler und das Spanische Königshaus, in: Anuario Musical 51, 1996, 165–175
• D. Link, The National Court Theatre in Mozart’s Vienna: Sources and Documents 1783–1792, Oxford 1998

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