Fabian Weber
Regensburger Musikgeschichte in Straßennamen
Als Mitte der neunziger Jahre der ehemalige fürstliche Rennplatz im Stadtwesten mit Wohnanlagen bebaut wurde, benannte man einige der neu angelegten Straßen nach bedeutenden Persönlichkeiten aus dem ersten Jahrhundert der Evangelischen Kirche in Regensburg. Neben den beiden Superintendenten Georg Serpilius und Bartholomäus Rosinus finden sich hier auch die Namen der Kantoren Paul Homberger, Christoph Stolzenberg und – Andreas Raselius.
Vermutlich im Jahr 1561 kam Raselius als Sohn des ersten evangelischen Pfarrers von Hahnbach bei Amberg zur Welt. Nach dem Tod ihres Mannes erwarb die Mutter für sich und ihre Kinder das Bürgerrecht in Amberg. Hier verbrachte Raselius seine Jugendjahre und erhielt durch den Organisten Mathias Gastritz sowie den Kantor Leonhard Pfaffreuther seine grundlegende musikalische Ausbildung. Daß die Musikpflege in den Amberger Schulen zu dieser Zeit großgeschrieben wurde, zeigt die Anweisung einer Schulordnung, der zufolge man täglich „die erste stund nachmittags alle Knaben in der Musica üben“ sollte. Zum Studium zog es den jungen Raselius nach Heidelberg, wo auch sein Vater einen Teil seiner Ausbildung erfahren hatte. Bei der Einschreibung an der dortigen Universität verwendete Andreas Raselius Ende November 1581 mit „Ambergensis“ zum ersten Mal den Herkunftszusatz, der in der Folge fester Bestandteil des Namens werden sollte. Die Kontakte zu seiner Heimatstadt rissen zu keiner Zeit ab, zumal auch die Mutter noch dort lebte. Bereits Mitte 1582 erreichte Raselius den akademischen Grad des Baccalaureus, wiederum knapp eineinhalb Jahre später schloß er seine Ausbildung mit dem Magister erfolgreich ab. In der Nachfolge des Ende 1583 verstorbenen Kurfürsten Ludwig VI. kam es zu glaubenspolitischen Veränderungen, die Raselius zum Verlassen Heidelbergs bewogen.
Im Mai 1584 übernahm Andreas Raselius eine Anstellung als Lehrer der 2. Klasse am evangelischen Gymnasium Poeticum in Regensburg, mit dem das Amt des Kantors an der Neupfarrkirche verbunden war. Erst vier Monate waren seit seinem Dienstantritt vergangen, als er am 7. September 1584 die Regensburgerin Maria Erndl heiratete. Ihr Vater Matthäus war der Besitzer der Apotheke am Kohlenmarkt, der späteren Mohrenapotheke. Aus der Ehe gingen neun Kinder hervor, von denen aber nur vier Söhne und eine Tochter überlebten. Wie aus den Äußerungen von Zeitgenossen hervorgeht, gelang Raselius der Aufbau einer über Regensburg hinaus beachteten Musiktradition an der Neupfarrkirche: „[...] nicht selten erregt das die Verwunderung des Fremden, der in diese Stadt kommt, und erweckt in ihm den lebhaften Wunsch, zu Hause Gleiches finden zu dürfen.“ Diese Bemerkung dürfte sich auf die Praxis der von Gemeinde und Chor gemeinsam gesungenen vier- und fünfstimmigen Lieder beziehen, die von Lucas Osiander angeregt und von Raselius als einem der ersten umgesetzt wurden. 1599 erschienen 51 dieser Lieder als Regenspurgischer Kirchen Contra-Punkt im Druck. Dieses Werk und das bereits 1588 fertiggestellte handschriftliche Cantionale bildeten die Grundlage des Gemeindegesanges in Regensburg. Mehr Schwierigkeiten ergaben sich anscheinend bei der Arbeit in der Schule. So beklagt sich Raselius in seinem Lehrbuch Hexachordum seu Questiones Musicae practicae von 1589, daß „allein die Musik in den Schulen zurückbleibt“. Doch offensichtlich verbesserte sich auch hier die Situation in der Folgezeit: das Hexachordum blieb für fast hundert Jahre die Grundlage des Musikunterrichts am Gymnasium Poeticum.
16 Jahre nach seinem Abschied aus Heidelberg erreichte Raselius im Jahre 1600 der Ruf des Kurfürsten Friedrich IV., als dessen „obristen Musicum“ dorthin zurückzukehren. Unter dem äußerst kunstsinnigen und musikbegeisterten Herrscher hatten sich die politischen Verhältnisse soweit normalisiert, daß Raselius das Angebot annahm und Regensburg verließ. Doch an seiner neuen Wirkungsstätte hatte er kaum noch Gelegenheit, sich ähnlich wie in Regensburg zu engagieren: am 6. Januar 1602 starb Andreas Raselius Ambergensis in Heidelberg.
Neben den schon erwähnten Veröffentlichungen wurden in den Jahren 1594/95 noch zwei Sammlungen Teutscher Sprüche auß den Sonntäglichen Euangeliis bzw. auff die Fürnemsten Järlichen Fest und Aposteltäge gedruckt. Unter den erhaltenen Manuskripten finden sich neben dem Cantionale die Motettensammlung Dodecachordum vivum von 1589, die Psalmen und geistlichen Lieder von 1591 sowie die Exercitationes musicae von 1594. Daß Raselius nicht nur auf musikalischem Gebiet interessiert war, beweisen eine von ihm verfaßte Regensburger Stadtchronik der Jahre 1545–1599 sowie der vor einigen Jahren wieder aufgelegte erste Regensburger „Stadtführer“, entstanden in den Jahren 1598/99. Ebenfalls erwähnt werden muß in diesem Zusammenhang die bedeutende Bibliothek Raselius’, die mit etwa 600 Titeln einen beachtenswerten Umfang besaß. Auf ihr fußt das universale Wissen, das Raselius schon seinen Zeitgenossen als „wolgelerten“ Mann erscheinen ließ. Im Regensburger Stadtarchiv wird noch heute der Index Librorum Bibliothecae Raselianae aufbewahrt.
Bedauernswerterweise ging der 400. Todestag dieses für die Regensburger Musikgeschichte so bedeutenden Mannes beinahe „spurlos“ an der Stadt vorüber. Weder der nach ihm benannte Raselius-Chor noch die Regensburger Kantorei konnten sich bisher zu einem Konzert mit seinen Werken entschließen. In Raselius’ Geburtsort Hahnbach fand zu Beginn des Jahres ein Festakt mit der Eröffnung einer kleinen Ausstellung statt, in Regensburg erinnerte nur die Proskesche Musiksammlung der Bischöflichen Zentralbibliothek mit einer Präsentation der in ihrem Besitz befindlichen Manuskripte und Drucke an die Verdienste des Ambergers. Die Würdigung seines Zeitgenossen Christoph Donaverus kann man jedenfalls heute noch aussprechen: „Den Künstler kennzeichnet sein Werk; nehmet Ihr das letztere hin; dem ersteren bewahrt eure Liebe: beide sind eine Zierde für euere Stadt.“
Literatur:
• Andreas Raselius: Regensburg. Ein Stadtrundgang im Jahre 1599, hrsg. v. Peter Wolf, Regensburg 1999
• Karl Schwämmlein: Andreas Raselius Ambergensis, in: Oberpfälzer Heimat 30 (1986), S. 42–52
• Klaus Thomayer: Musiker und Gelehrte. Die ersten hundert Jahre des evangelischen Kantorats in Regensburg, in: Mälzels Magazin 3 (2000) H. 1, S. 4–7