Mälzels Magazin

Zeitschrift für Musikkultur in Regensburg

Schriftzug Mälzels Magazin
Hefte2002Nr. 3
mälzels magazin, Heft 3/2002, S. 12ndash;14
URL: http://www.maelzels-magazin.de/2002/3_05_schikaneder.html

Michael Kohlhäufl

Vielleicht der berühmteste Domspatz aller Zeiten

Neue Literatur über Emanuel Schikaneder

Es gibt drei Arten von Regensburger Autoren – Daheimgebliebene, Zugereiste und Abgereiste. Unter den letzteren hat es Emanuel Schikaneder zweifellos am weitesten gebracht: Der Textdichter von Mozarts Zauberflöte, der von 1787 bis 1789 Theaterdirektor am Hofe von Thurn und Taxis war, legte mit seinem unrühmlichen Abgang den Grundstein zum Weltruhm. Rechtzeitig zu Schikaneders 250. Geburtstag (2001) wurde das romantische Leben und Werk des Regensburger Originalgenies in einer Reihe von wissenschaftlichen Monographien gewürdigt (siehe auch Mälzels Magazin 2/98). Den Auftakt bildete Anke Sonneks Heidelberger Doktorarbeit über Schikaneders Werdegang als Theatermacher, den vorläufigen Schlußpunkt setzte die Dissertation von Günter Meinhold über das Libretto der Zauberflöte und seine literarische Nachwirkung bis hin zu Thomas Bernhard. Für Furore sorgten jedoch vor allem Nachforschungen von Helmut Perl zum Fall ‚Zauberflöte‘, der die vielleicht erfolgreichste Oper aller Zeiten einmal mehr als politische Allegorie entzifferte.

Schikaneders Regensburger Ära ist in Sonneks Biographie kursorisch, aber nicht ohne pikante Details dokumentiert: Zunächst wird die einst strittige Annahme bekräftigt, wonach der „Stückeschreiber“ am 1. September 1751 im niederbayerischen Straubing das Licht der Welt erblickte. Schikaneder selbst bezeichnete Regensburg als seine Heimatstadt. Hier verbrachte der Halbwaise seine Kindheit und Jugend. Seine Mutter Juliana Schiessl aus Wettzell im Bayerischen Wald verkaufte am Dom Devotionalien und andere lebenswichtige Dinge wie z. B. Hemdknöpfe. Unweit davon genoß ihr Sprößling eine intensive ‚musikalische Früherziehung‘: Er hat Unterricht im Haus des Domkapellmeisters Josef Michel erhalten und als Singknabe und Instrumentalist in der Liturgie Verwendung gefunden. Mit der Bühne soll er dann als Schüler jenes Regensburger Jesuitenkollegs erstmals in Berührung gekommen sein, dessen Theater später bekanntlich auch Goethe eines Besuch würdigte.

Daß der Original-„Vogelfänger“ offenbar der berühmteste „Domspatz“ aller Zeiten ist, dürfte weniger bekannt sein als die Umstände seiner späteren Demission vom Hofdienst: Gefährliche Liebschaften am Hofe und im eigenen Ensemble hatten unschöne Szenen seiner Hauptdarstellerinnen zur Folge, die Regensburger Freimaurer erklärten ihn schließlich zur unerwünschten Person. „Bezaubernd schön“ war auch beileibe nicht alles, was er auf die Bühne gebracht hat, doch machte der Impresario durch spektakuläre Freiluft-Inszenierungen auf sich aufmerksam: Er realisierte große Massenszenen, insbesondere Schlachten und Turniere, in Regensburg zeigte er bei einer Inszenierung von Schillers Räubern unter freiem Himmel „die Verbrennung des Moorischen Schlosses“ und in Salzburg ließ er gar die Agnes Bernauer „öffentlich über die Brücke ins Wasser“ stürzen – gewiß nicht der letzte Schrei der Einbildungskraft, aber ein großer Sprung in der Geschichte des Illusionstheaters.

Solche Open-Air-Events sorgten dafür, daß sich Schikaneder in Regensburg und darüber hinaus als „nicht unrühmlich bekannt“ fühlen durfte. Neben seinen nach zeitgenössischem Urteil mal „elend“ und mal „triumphal“ aufgeführten eigenen Schau- und Singspielen – darunter eine Freiluft-Inszenierung der Dollinger-Saga vor 3000 Zuschauern (wohl auf dem Oberen Wöhrd) – setzte er viel „modernes Theater“ auf den Spielplan: u.a. Mozarts Entführung aus dem Serail, Schillers Dramen Kabale und Liebe und Don Carlos sowie Lessings Emilia Galotti. Freilich räumte er ein, daß bei seinen Schöpfungen nicht Lessings humane Trauerspiel-Theorie Pate stand, sondern die blanke „Notdurft“. Sein oberstes Gebot lautete daher „anständig zu unterhalten“. Andererseits wollte er seinen Papageno nicht als Hanswurst, sondern als exemplarische Figur betrachtet wissen.

In Regensburg steigerte Schikaneder seinen Bekanntheitsgrad, in Wien machte er Epoche: Nach dem sensationellen Dauererfolg der Zauberflöte (1791) stieß er 1801 mit der Erbauung des Theaters an der Wien nochmals in neue Dimensionen des Illusionstheaters vor: Mit der heroisch-komischen Zauberoper prägte er eine innovative Gattung, die sein Vorstadttheater technisch, musikalisch und literarisch gegenüber dem Hoftheater mehr als konkurrenzfähig werden ließ – damit gelang es ihm, Massenpublikum und Hochkultur zu vereinen. Doch scheiterte der Musical-Pionier in Wien und zuletzt in Brünn an den Kosten, die seine aufwendigen Produktionen verursachten. Als man ihm 1812 eine lebenslange Gewinnbeteiligung an der Zauberflöte zusprach, war er bereits von Krankheit gezeichnet. Geistig umnachtet starb Schikaneder am 21. September 1812 in Wien.

Obwohl es mittlerweile nicht an Versuchen mangelt, den Vogelfänger historisch zurechtzustutzen, bleibt Schikaneders Profil als Autor und Dramaturg weiter unscharf: Sicherlich hat er, so Anke Sonneks Resümee, das barocke Volkstheater und das Zauberspiel im Sinne der Aufklärung reformiert. Inwieweit Schikaneders und Mozarts Märchenoper aber ein über die Aufklärung hinausreichendes poetisches Universum der Phantasie erschlossen hat, bleibt auch in Studien von Perl und Meinhold offen. So schwebt nach wie vor die These des Regensburger Germanisten Mathias Mayer im Raum, wonach die Kategorie des Wunderbaren in der Zauberflöte nicht nur Mittel zum Zweck, sondern auch Medium der Handlung ist. Von daher wurde Schikaneder nicht zufällig (ebenso wie Mozart) zu einem Idol der Romantik.

Dabei ist die alleinige Urheberschaft Schikaneders an der Zauberflöte nach wie vor ungesichert – auch ein Regensburger Theaterkritiker soll sich als Mitautor bezeichnet haben. Weniger strittig sind dagegen sein maßgeblicher Beitrag als Koautor und Dramaturg sowie der freimaurerische Hintergrund der Oper. Den politischen Kontext der Zauberflöte genauer als bisher zu bestimmen, bildete das Hauptinteresse von Perls Aufsehenerregendem Buch, in dem die Zauberflöte als allegorisches Bekenntnis zum Geheimorden der Illuminaten entschlüsselt wird. Perl verweist nicht nur auf eine klare anti-klerikale Tendenz des Librettos (die Königin der Nacht als Kontrafaktur Mariens), sondern hat auf dem Original-Bühnenbild sogar den Salzburger Versammlungsort des Ordens entdeckt. In Salzburg, einem Fluchtpunkt der in Bayern verfolgten Illuminaten, hatte Schikaneder Mozart ja kennengelernt.

Die Nachwirkung dieses Stückes „klingender Weltliteratur“, dessen poetische Qualität gemeinhin nicht als der Weisheit letzter Schluß gilt, ist „weltanschaulich“ im universellen Sinne geblieben. Wie in Meinholds Buch skizziert, setzt sich Schikaneders Welttheater in unzähligen Adaptionen, Verfremdungen und Reminiszenzen fort. Von Goethes Fortsetzung bis hin zu Thomas Bernhards Stück Der Ignorant und der Wahnsinnige beruhen auch die moderneren Spiegelungen von „Gut“ und „Böse“ auf dem allzu menschlichen Kontrast zwischen der Erfahrung absoluter Negativität und der Sehnsucht nach einem positiven Absoluten. Ob Schikaneder dieses Licht der Welt bereits in Regensburg erblickt hat?

Literatur:
• Anke Sonnek: Emanuel Schikaneder. Theaterprinzipal, Schauspieler und Stückeschreiber, Kassel u. a. 1999 (Schriftenreihe der Internationalen Stiftung Mozarteum, Bd. 11), zugl. Diss. Heidelberg 1996
• Helmut Perl: Der Fall ‚Zauberflöte‘. Mozarts Oper im Brennpunkt der Geschichte, Darmstadt u.a. 2000
• Günter Meinhold: ‚Zauberflöte‘ und ‚Zauberflöten‘-Rezeption, Studien zu Emanuel Schikaneders Libretto ‚Die Zauberflöte‘ und seiner literarischen Rezeption, Frankfurt am Main u. a. 2001 (Hamburger Beiträge zur Germanistik, Bd. 34), zugl. Diss. Hamburg 2000

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