Juan Martin Koch (jmk) / Margaret Hiley (mh)
Tage Alter Musik in Regensburg 2002
Starke Frauen in langen Gewändern, raumgreifenden Gesang verströmend – dies ist nur eine von vielen Konstanten, die uns die Tage Alter Musik Jahr für Jahr bescheren. Eine weitere ist das erfrischende Nebeneinander ganz unterschiedlicher Repertoires, denen das Dach der „alten“ Musik Unterschlupf bietet. Die zeitlose Traurigkeit der musikalischen Volkskunst Irlands etwa, wo in Schönheit den Tod zu besingen oberstes Prinzip zu sein scheint. Doch die Schönheit, die Caitríona O’Leary mit bodenlangem weißen Kleid nicht nur stimmlich verströmt, bleibt in ihrer trauerumflorten Sanglichkeit auch ein wenig eindimensional. Selten nur, in unbegleiteten Liedern, dringen mit kaum merklichen Tonverschleifungen und -verschiebungen jenseits der chromatischen Skala Farbnuancen ein, die den zweifellos berührenden, gleichwohl monochromen Tonfall ihrer Klagegesänge anreichern. Ausnahme waren die wenigen, vom Publikum frenetisch gefeierten Lieder unbeschwert fröhlichen Charakters, bei denen auch die Musiker des Begleitensembles Dúlra ihre allzu noble Zurückhaltung endlich ein Stück weit aufgaben.
Der ebenso einhellige Jubel, den das Osloer Trio Mediæval zuvor mit ein- bis dreistimmiger Musik des 13. und 14. Jahrhunderts erntete, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß deren Auftritt einiges zu wünschen übrig gelassen hatte. Zu deutlich waren die Defizite zu hören, die der Ausfall einer Sängerin und die Indisposition der Altistin Torunn Ostrem Ossum mit sich brachten. Dabei war die Gegenüberstellung der Messensätze aus Tournai mit einstimmigen italienischen Lauden und Gesängen aus englischer Überlieferung in ihrer satztechnischen Vielfalt durchaus erhellend und wurde von den Sängerinnen auch als solche überzeugend kenntlich gemacht.
Eine weitere Sängerin mit starker Persönlichkeit ist die Italienerin Gloria Banditelli, die mit resonanzreicher und nie künstlich ausgedünnter Altstimme weltliche Kantaten Antonio Vivaldis gestaltete. Besonders die begleiteten Rezitative, bei denen sie sich akustisch besser gegen das Orchestra Barocca di Bologna durchzusetzen vermochte als in den Arien, waren die Glanzpunkte eines Abends, der ansonsten von beachtlich, wenn auch nicht mitreißend gespielten Konzerten Vivaldis und Zavateris bestimmt war.
Ähnliches galt für die Begegnung mit russischer Musik des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, welche die klein besetzte Musica Antiqua Russica ermöglichte. Hier ließen besonders die eigensinnig virtuosen Violinpiècen Ivan Khandoskins und die Gluck-Anklänge in den Opern- und Motettenausschnitten Dimitry Bortnyanskys aufhorchen, während anderes vielleicht auch aufgrund der etwas verbissenen Interpretation nicht so recht zündete.
Zu den Höhepunkten des diesjährigen Festivals zählte neben der glänzenden Umsetzung des solistischen Chorprinzips in Bachs Motette Jesu meine Freude durch das Taverner Consort unter Andrew Parrott sicherlich der Mozart-Abend mit dem Freiburger Barockorchester. Bewundernswert der körperhafte Kontakt zur Musik, der nicht nur in der Beweglichkeit der stehend und ohne Dirigenten agierenden Musikerinnen und Musiker zu sehen, sondern auch in der Bewegtheit des musikalischen Ausdrucks zu erfahren ist. Für das eröffnende, weit ausgesponnene Divertimento KV 131 bedeutete diese Musizierhaltung ein Höchstmaß an Spielwitz und Klangkultur, für Mozarts „kleine“ g-Moll-Symphonie eine mit den Händen zu greifende Intensität.
Den krönenden Abschluß lieferten die fabelhaften Kölner Ensembles La Capella Ducale und Musica Fiata, denen es unter der Leitung Roland Wilsons aufs nachdrücklichste gelang, den Vokalkomponisten Johann Pachelbel gleichberechtigt neben den Orgelmeister zu stellen. Die zu einer imaginären Ostervesper zusammengestellten Werke, darunter ein Deus in adiutorum und ein Magnificat, überwältigten durch Klangpracht, kontrapunktische Finessen und Farbigkeit der Textausdeutung. Auf die anstehende CD-Veröffentlichung dieses Programms darf man sich freuen! (jmk)
Bereits vor sechs Jahren war das Bläserensemble Zefiro mit Mozart-Kompositionen bei den Tagen Alter Musik zu Gast gewesen, nun überraschten sie mit dem von Alfredo Bernardini konzipierten Programm “Zefiro at the opera”. In diesen Bearbeitungen von Nummern aus Mozarts da Ponte-Opern trifft der Leiter und Oboisten der Gruppe Mozarts Bläserstil so genau, dass man sie für Originalkompositionen halten könnte. Dabei werden die Singstimmen nicht einfach übernommen, sondern auf die verschiedenen Instrumente verteilt und zum Teil auch leicht variiert. Die Musiker begeisterten sowohl durch die Bandbreite ihres von filigran bis energisch reichenden Spiels, als auch durch zahlreiche kleine „Schauspiel“-Einlagen und Gags, die das Konzert in eine wahren Show verwandelten. Diese Mischung aus Spiel und Spaß, gepaart mit einer Musica fiata Köln & La Capella Ducale in der Dreieinigkeitskirche gehörigen Portion Selbstironie, die Mozart selbst wohl gefallen hätte, begeisterte zu Recht das Publikum im Reichssaal: Erst nach mehreren Zugaben wurden die Spieler entlassen.
Frischen Wind in der Barockszene verspricht das Barockorchester Musica Florea aus Prag, das – durchaus ungewöhnlich vom Cellisten Marek Štryncl geleitet wird. Tatsächlich überraschte in diesem Programm aus Werken Telemanns, Zelenkas und Heinichens die doch recht harte Spielweise der Instrumentalisten. Weniger grazil als üblich, wirkte sie dafür aber um so energischer – was dem Konzerten und Ouvertüren keineswegs schadete. Eine ausgefeilte Dynamik sowie die sehr flotten Tempi (vor allem Konzertmeisterin Dagmar Valentová bestach durch ihr wahrhaft furioses Spiel) taten ein übriges, um keine Minute Langweile aufkommen zu lassen.
Auch das Programm des Renaissance-Ensembles Retrover aus Helsinki versprach mit norditalenischen Frottole des Cinquecento ein interessantes und lustiges Taverner Consort & Norsk Barokkorkester in der Minoritenkirche Konzerterlebnis zu werden. Doch Annemieke Cantor gelang es trotz ihrer schönen Stimme nicht, die witzigironischen Texte der Dichtungsform „Barzelletta“ angemessen mit Leben zu füllen; textbezogene Tonmalerei ging weitgehend verloren. Mit ihrem Spiel begeisterten dagegen die beiden Lautenisten Agileu Motta und Peter Croton, und vor allem Leiter und Gambist Markus Tapio, der seinem Instrument wunderbar zärtliche und empfindsame Töne entlockte.
Markanter der Vortrag des von früheren Pfingstwochenenden bestens bekannten Paul Shipper, der erstmalig solo mit einem Meistersang-Programm auftrat. Den Schwerpunkt bildeten Stücke von Hans Sachs, deren witzigen Texte (v.a. „Die zwelff dreck“) die Zuhörer zum Schmunzeln brachten. Shipper artikulierte deutlich und seine sonore Baßstimme wurde selbst durch die Begleitung durch Krummhorn und Posaune nicht übertönt. Daß er auch ein hervorragender Rezitator ist, zeigte er bei Sachs’ „Der Teufel nahm ein alt Weib zu der Eh“, wärend Michael Beheims „Vom Voiwoden Trakle“ zwischen Gesang und Sprechen schwankte. Dieser Bericht über den Ursprung der Dracula-Legende ist an die zwanzig Minuten lang – so lange dauert es eben, bis alle Verbrechen des wallachischen „Vlad der Pfähler“ aufgezählt sind!