Juan Martin Koch
Regensburg im Relaunch, oder: Wie sich die Kulturhauptstadtbewerber im Netz präsentieren
„Kein schöner Land so schön / Wir wolln euch alle sehn / Willkommen, see you then / Braunschweig 2010“: Nichts leichter, als sich über die unbeholfenen Zeilen des Braunschweiger Bewerbungsliedes lustig zu machen. Ausführlich hatte das schon die Berliner „Tageszeitung“ getan, die das Lied „wegen seiner eklatanten Missachtung von Versmaß, Rhythmus und Reim-Regeln“ gar als „völkerrechtswidrig“ einstufte, was „zum Ausschluss des Bewerbers aus der Konkurrenz“ führe. Bemerkenswert immerhin, daß hier die Musik ganz direkt zum Vehikel der Kulturhauptstadtidee gemacht wurde und daß mit den HipHop-Heroen von der „Jazzkantine“ nicht unoriginelle Sprachrohre auserkoren wurden. Was nicht heißen soll, man habe in Regensburg mit der Ernennung der Domspatzen zu den ersten offiziellen Botschaftern der 2010-Bewerbung einen ganz falschen Schritt getan. Aber eben einen vorhersehbaren und damit einen, der aus dem Regensburger Motto „alles wird denkbar“ noch nicht den letzten Rest an visionärer Perspektive herauskitzelt. Oder doch? Wäre der altehrwürdige Domchor nicht vielmehr das ideale Zugpferd für einen innovativen Schwerpunkt rund um Kirchenmusik und Chorszene? Ein – vielleicht von der Kirchenmusikhochschule ausgerichteter –Kompositionswettbewerb könnte einerseits Anlaß sein, europäische Knaben-, Kinder- und Jugendchöre nach Regensburg einzuladen, andererseits mit neuen, für Laienensembles singbaren Stücken für eine Auffrischung des Repertoires sorgen. Doch halt – bewegen wir uns damit nicht schon längst wieder in ausgetretenen, vorhersehbaren Pfaden? Sehen Visionen nicht anders aus? Gewagter, verrückter, utopischer? Vielleicht so, wie der wahrlich ehrfurchtgebietende Internetauftritt des Ruhrgebiets es verheißt? Schon mit dem siegesgewissen Domainnamen „www.kulturhauptstadt-europas.de“ legt die Region hier keine falsche Bescheidenheit an den Tag, sondern greift recht forsch nach den Sternen. Thematisch klar gegliedert sind hier den zentralen Ideen der Bewerbung Referenzprojekte zugeordnet, die – wie die Webseite selbst – futuristisch genug sind, um der Phantasie Spielräume für Neuauslegungen und Weiterentwicklungen zu belassen, die gleichzeitig aber konkret genug sind, um durchführbar zu erscheinen. So lädt im Rahmen der „Stadt der Möglichkeiten“ das Projekt „Histopia“ in die stillgelegten Schächte und Stollen der Bergbaugebiete: Virtuelle Szenerien, multimediale Installationen und neue Formen der Filmprojektion sollen untertage das Erleben des historischen Raums mit Zukunftsperspektiven der Region verbinden. Und für eine Gesamtaufführung von Karlheinz Stockhausens monumentalem Musiktheater-Zyklus LICHT möchte man in Kooperation mit anderen europäischen Regionen ein künstlerisches Netz knüpfen, das über dieses einmalige Projekt hinaus Wirkung entfalten könnte. Welche Chancen die Entscheidungsträger diesen ehrgeizigen Visionen angesichts der nicht eben reibungslos verlaufenden „Ruhrtriennale“ geben werden, steht freilich auf einem anderen Blatt. Im Gegensatz dazu nutzen die meisten Bewerberstädte ihre Netzauftritte als mehr oder weniger elegante Präsentationen des kulturellen Status quo, der mit viel Selbstlob als Ausweis der Eignung genügen soll (Karlsruhe, Braunschweig, Osnabrück); inhaltliche Schwerpunkte deuten Köln, Münster und besonders Kassel an, das mit seinen Visionen und Leitsätzen im Stil eines modernen Wirtschaftunternehmens zwar einen gut vorbereiteten, kaum aber einen einladenden Eindruck hinterläßt. Ein wenig aus der Reihe fallen die Görlitzer Seiten mit ihrem Schwerpunkt auf der gemeinsamen Bewerbung mit der polnischen Partnerstadt Zgorzelec und kurzen Dokumentationen von Projekten, die von der dortigen Geschäftsstelle Kulturhauptstadt angestoßen wurden, darunter die Verwandlung der Innenstadt in das Hauptinstrument einer multimedialen Musik-Performance rund um den Görlitzer Philosophen Jacob Böhme im vergangenen Sommer. Ungewöhnlich auch der Bremer Auftritt, der – als „Baustelle Bewerbung“ ausgewiesen – kaum mehr als die Konzeptskizze des Schweizer Bewerbungsintendanten Martin Heller zum Download bereithält. Die hat es dafür auf fast 40 Seiten in sich: Mit geschliffener, bisweilen auch selbstverliebter Eloquenz wird hier eine durchaus nicht 5 bloß himmelhoch jauchzende Bestandsaufnahme der sozio-kulturellen Situation des Stadtstaates verknüpft mit ersten, auf bestimmte Einrichtungen und Örtlichkeiten bezogenen Projektideen. Die musikalische Seite ist, das räumt Heller ein, noch kaum profiliert; hier stehen weitere Analysen und Ausblicke an. Ergänzt wird das Bremer Bild auf städtischer Seite, wo einiges Kontroverse zum Zustand der Bremer Kultur versammelt ist, womit Hellers Mahnung beherzigt scheint: „Die Chance, Kulturhauptstadt zu werden, bedingt das Risiko, die Fenster aufzumachen.“ Bei Regensburgs bayerischen Mitkonkurrenten freilich lehnt man sich – um in Hellers Bild zu bleiben – noch nicht so weit aus dem Fenster. Auch hier verrät aber die Internetpräsenz bereits grundsätzliche Unterschiede in der Herangehensweise an die Bewerbung und deren Kommunikation nach außen. Da Bamberg sich, anders als Augsburg und Regensburg, gegen einen eigenständigen Kulturhauptstadtbeauftragten entschieden hat, finden sich die entsprechenden Informationen auch unter der Hauptadresse der Stadt Bamberg selbst. Großer Wert wird hier darauf gelegt, die Bewerbung als eine breite Bürgerbewegung zu präsentieren, die von der ganzen Bevölkerung getragen werde und so die notwendige Verankerung in der lokalen Szene besitze. Die Übersicht verheißt außerdem eine Fülle an Informationen zum Verlauf, was sich bei näherer Betrachtung allerdings als trügerisch erweist. In der Rubrik „Projekte“ können eigene Vorschläge eingereicht werden, ansonsten heißt es seit längerem: „Projektideen im Überblick – in Kürze hier!“ Einige Bereiche sind nur mit Paßwort zugänglich, während das eher magere Protokoll einer ersten „Ideenwerkstatt“ im September bereitwillig publik gemacht wird. Ein thematischer Leitfaden scheint sich noch nicht herauszukristallisieren, eine große Rolle spielt aber das Selbstbewußtsein, als „Weltkulturerbe“ schon seit zehn Jahren einen Schritt weiter zu sein als andere Städte. Die nach überstandener Finanzkrise als Bayerische Staatsphilharmonie wiedererstarkten Bamberger Symphoniker bilden das musikalische Aushängeschild, das noch junge Internationale Künstlerhaus Villa Concordia setzt den Antiquitätenwochen und dem selbstbewußt herausgekehrten Image als Bierstadt den willkommenen zeitgenössischen Akzent entgegen. Eine eigene Seite widmet Augsburg seiner Bewerbung und nutzt diese Plattform zu einer zwar einigermaßen reichhaltigen, aber nicht unbedingt inhaltsschweren Mischung aus allgemeinen bewerbungsspezifischen Aktionen und ohnehin laufenden Aktivitäten. Sie sollen den Anspruch als Kulturstadt ebenso untermauern wie die prominenten Kuratoriumsmitglieder (darunter Richard von Weizsäcker, Hellmuth Karasek und Julian Nida-Rümelin), deren Rolle im Verfahren allerdings noch nicht so recht geklärt scheint. Mit der „Kulturpalette“, einem sommerlichen Bühnenprovisorium für geplante oder spontane Aufführungen und Happenings sowie der Bemalung eines alten Unterführungstunnels hat man es zumindest geschafft, das Thema Kulturhauptstadt handgreiflich erlebbar zu machen. Und Regensburg? Die Netzaktivität hielt sich bis vor kurzem in bescheidensten Grenzen, der Kulturhauptstadtbeauftragte Hubert G. Feil verspricht aber für den Relaunch, der bei Erscheinen dieser Ausgabe online sein dürfte, eine „moderne, lebendige, dynamische und vitale“ Präsentation: „Ein Forum wird für hoffentlich kreativen Dialog mit den Bürgern sorgen. Ein Teil der Page widmet sich dem Bereich ‚Regensburg erleben‘; wir zeigen im Web die vielen Facetten dieser wunderschönen und lebenswerten Stadt an der Donau. Mehr wird nicht verraten, schließlich sollen die Leserinnen und Leser den Click wagen: www.regensburg2010. de“. Die Taktik des Nichtverratens erstreckt sich mit der Begründung, konkrete Projekte könnten frühzeitig zerredet werden, auch auf den Stand der inhaltlichen Planung: „Regensburg ist nicht nur seit Jahrhunderten die ‚Brücke zum Osten‘, sondern auch und gerade in Zukunft die ‚Bühne für die Kulturen Europas‘. In umfangreichen Projekten in unterschiedlichsten, modernen, traditionellen und innovativen Kunst- und Kulturbereichen werden wir Regensburg in seiner Vordenker-Position für Kultur präsentieren. Die Komplexität unseres grundsätzlich auf Nachhaltigkeit angelegten Bewerbungskonzeptes beinhaltet Fragestellungen im Bereich der Interreligiosität in einem sehr modernen und europagerechten Kontext, der zeitgenössischen Kunst, der Architektur, sozialer Kultur und zahlreicher europäischer Mythen. Dabei werden wir auch den ‚Mythos Bayern‘ spannend und dynamisch erarbeiten und in den Bereichen Literatur, Musik, Philosophie, Urbanität, Religion, Technik und Design thematisieren. Wir sehen Kunst und Kultur in einem erweiterten Kulturbegriff und werden daher für Regensburg Elemente der Lebenskultur stark be6 rücksichtigen, schließlich ist Regensburg mit seinem italienischen und ostbayerischen Flair der Inbegriff von Lebensfreude.“ Zum Thema Musik muß vorerst der ungemein vielsagende Verweis genügen, ein Bereich des Konzeptes präsentiere „das alte und junge Regensburg als ‚Musikstadt Europas‘“. Als ungarischen Partner hat Feil Budapest im Blick, wo er noch im Januar erste Gespräche führen wird: „Keine andere Bewerberstadt wäre mehr für eine Win-Win-Partnerschaft mit Ungarn in der Lage als Regensburg. Die Donau ist einfach die vitale Lebensader in Europa zwischen West und Ost. Unser Konzept möchte auch mit einem kulturellen Ost-West-Mikrokosmos als europäisches Modell überzeugen.“ Auch was in den kommenden Wochen zu erwarten ist, deutet Feil vorerst nur an: „Nach der Phase der Recherche und Klausur gehen wir ab Ende Januar 2004 mit Aktionen und Marketingmaßnahmen in die Öffentlichkeit. Oberstes Prinzip unseres Schaffens ist ein tragfähiges und gutes Bewerbungskonzept und darin sehen wir neben weiteren begleitenden Aktionen mit der Bevölkerung unser Hauptaugenmerk. Dabei brauchen wir die Begeisterung der RegensburgerInnen und dazu müssen wir die Software, die Inhalte liefern.“ Wir, die zu Begeisternden, sind nach wie vor gespannt. Die Webseiten aller deutschen Bewerber sind von einer übergeordneten Seite aus zu erreichen: http://www.kultur2010.de