Andreas Meixner
Versuch einer Situationsbeschreibung
Überstrahlt vom Erfolg und von der großen Popularität der Domspatzen als weltbekannter Knabenchor und wichtigster Bewahrer der „Regensburger Tradition“ bei der Liturgie im Dom, tritt die Bedeutung der regionalen Kirchenchöre zwangsläufig ein Stück in den Hintergrund. Dabei sind die Leistungen der Chöre und ihrer Leiter in den vergangenen Jahrzehnten nicht hoch genug einzuschätzen: Je nach den Möglichkeiten und örtlichen Gegebenheiten können fast alle Pfarreien im Stadtgebiet auf eine beachtliche Aufführungtradition zurückblicken, die von der Vokalpolyphonie der alten Meister bis hin zur gemäßigten Moderne ein reichhaltiges Repertoire umfaßt. Vieles davon könnte in naher Zukunft nicht mehr zu leisten sein. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, bluten viele Chöre seit Jahren schleichend aus, sind oft überaltert und kämpfen gegen einen Nachwuchsmangel, der viele Gründe hat. Selbst Pfarreien mit eigenen Kindergärten, Musikschulen oder einer funktionierenden Jugendarbeit sind nicht mehr davor geschützt. Natürlich gehen niedrige Geburtenraten und damit schrumpfende Gemeinden an einem Kirchenchor nicht spurlos vorüber. Hinzu kommt eine rapide Abwanderung junger Familien in das Regensburger Umland, wodurch die Bindung an die Heimatpfarrei oft verloren geht und damit ein wertvolles Potential für eine nachwachsende Generation. Sicherlich sind dies Grundproblematiken, die alle Bereiche einer Seelsorgeeinheit treffen. Andere Probleme in der städtischen Kirchenmusikszene sind jedoch selbst verschuldet: In nicht wenigen Pfarreien begegnet man der sinkenden Mitgliederzahl und Qualität des Chores mit einer bequemen, aber gefährlichen Maßnahme. Für die Hochfeste des Kirchenjahres oder zu besonderen Anlässen werden eigens Ensembles aus leistungsstarken, pfarreifremden Sängern zusammengestellt oder etliche Aushilfen für eine Aufführung gewonnen, während der Alltag vom Kirchenchor in einer Minimalbesetzung mit entsprechendem Repertoire gestaltet werden soll. Daß dieser kurzsichtige Weg nicht nur für Unmut sorgt, sondern mittelfristig mit der aufkommenden Enttäuschung und Demotivation das Ende einer jahrzehntelang gewachsenen Chorgemeinschaft bedeuten kann, liegt auf der Hand. Manchmal ist dies aber auch Ergebnis von Versäumnissen der Kirchenmusiker, deren unbestrittene musikalische Fähigkeiten und Ansprüche sich oft mit den Realitäten der menschlichen und integrierenden Aufgaben in einer Pfarrei reiben. Für eine erfolgreiche Laienchorarbeit ist eine gesunde, gemeinschaftliche Basis jenseits der Musik indes unerläßlich. Eine Entwicklung, die in der hiesigen Hochschule für Kirchenmusik glücklicherweise erkannt wurde und der neuerdings mit pädagogischen Pflichtkursen und Praxisanwendungen begegnet wird. Ein anderes, aktuelles Phänomen Regensburgs ist die Präsenz einer Reihe neuer Vokalensembles und Projektchöre, die in den letzten Jahren gebildet wurden und erfreulicherweise mit großem Erfolg konzertieren. Meist bestehen sie aus leistungsstarken, jungen Sängerinnen und Sängern, die sich hochwertige geistliche Chorliteratur mit einem erheblichen Aufwand erarbeiten. In den meisten Fällen findet man die Mitglieder jedoch nicht in den Kirchenchören wieder, zu deren Substanzerhalt sie entscheidend beitragen würden. Ebenso wird von vielen Seiten auch der schlechte Rückfluß der ehemaligen Domspatzen in Ihre Heimatpfarreien bedauert, zumal gerade der Nachwuchs bei den männlichen Sängern fast jedem Chor die größte Sorge bereitet. Wie kommt es zu diesen Entwicklungen? Was wurde falsch gemacht? Viele Fragen stellen sich. Antworten zu finden, setzt eine gründliche und ehrliche diözesanweite Bestandsaufnahme voraus, die das Bewußtsein für einen dringenden Handlungsbedarf schaffen könnte. Deshalb ist nicht genau festzumachen, wie akut die Kirchenchorkultur tatsächlich gefährdet ist. Viele der genannten Probleme sind Einzelfälle, vieles im Alltag noch gar nicht erkannt. Vielleicht sind es nur Symptome eines schleichenden Erneuerungsprozesses, dessen Ausgang ungewiß ist. Da in einigen Chören tiefgreifende Generationswechsel bevorstehen, ist die Entwicklung künftig genauestens zu beobachten, um nicht eines Tages vor vollendeten Tatsachen zu stehen. Hier muß auch die Hochschule für Kirchenmusik Andreas Meixner Katholische Kirchenchöre in Regensburg Versuch einer Situationsbeschreibung 8 weiterhin der wichtigste Impuls- und Orientierungsgeber sein, von deren Ausstrahlung und Bedeutung die Region noch mehr profitieren sollte. Daß auch für die Position des hauptamtlichen Kirchenmusikers gestritten wird, darf in diesem Zusammenhang wohl als eine der Hauptaufgaben der Verantwortlichen genannt werden. Franz Liszt sprach einst von Regensburg als „Hauptstadt der Kirchenmusik“. Dies kann das Ziel nicht sein, wohl aber Ansporn, sich rechtzeitig um den Zustand der Kirchenmusik in Regensburg zu kümmern. Einer, der dies von Amts wegen tut, ist Diözesankirchenmusikdirektor Dr. Christian Dostal. Im Gespräch mit Mälzels Magazin teilte er viele der oben genannten Beobachtungen und zeigte Perspektiven auf. Mälzels Magazin: Herr Dr. Dostal, wie würden Sie in aller Kürze Ihr Tätigkeitsfeld beschreiben? Christian Dostal: Das Diözesanreferat Kirchenmusik (nicht zu verwechseln mit der Hochschule für Kirchenmusik!) bildet in den sogenannten D- und C-Kursen nebenamtliche Kirchenmusiker für ihren Dienst in den Gemeinden aus, bietet Fortbildungen für neben- und hauptamtliche Kirchenmusiker an und ist darüber hinaus Ansprechpartner für alle Belange der Kirchenmusik in der Diözese sowohl für Pfarrer als auch für Kirchenmusiker. MM: Viele Kirchenchöre Regensburgs sind überaltert und haben große Nachwuchssorgen. Wie wird diesem Problem begegnet? CD: Zunächst sei gesagt, dass die genannten Probleme nicht allein typisch für Regensburg sind, sondern derzeit auf nahezu alle Diözesen projizierbar sind. Dabei sind in der Regel einige Faktoren als Hauptgründe zu nennen: Zum einen ist allgemein eine schwindende Bereitschaft zu bemerken, sich an Vereine und Verbände zu binden, insbesondere an kirchliche Organisationen, zum anderen fällt in chorischer Hinsicht derzeit die Generation der 30- bis 40-Jährigen fast vollständig aus, die oftmals mangels Förderung in ihrer Kindheit eine kaum vorhandene Singerfahrung mitbringen. Erschwerend kommt hinzu, daß der Wegzug von Familien und jüngeren Menschen an den Stadtrand die Stadtpfarreien zusätzlich hart trifft und wichtiger Grundlagen beraubt. Dennoch gibt es erfreuliche Entwicklungen in 9 der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die uns zu Recht hoffen lassen, daß einige Lücken in den Chören langfristig wieder geschlossen werden können. MM: Welche besonderen Aufgaben kommen auf die Kirchenmusiker in den Pfarreien vor Ort zu? CD: Mehr als früher muss der Chorleiter sich auf eine intensive Basisarbeit einlassen und den Chor als eine funktionierende und integrierende Gemeinschaft innerhalb der Pfarrei verstehen. Er muß in vielen Bereichen der Seelsorgearbeit Präsenz zeigen, die nicht immer auf den ersten Blick etwas mit seiner eigentlichen Aufgabe zu tun haben. Daß dies der Schlüssel zum Erfolg ist, beweisen einige Beispiele in der Diözese. MM: Ist die Ausbildung der Kirchenmusiker in diesen Feldern ausreichend? CD: Natürlich neigt eine künstlerische Hochschulausbildung dazu, sich im Schwerpunkt mit der musischen und instrumentalen Profession auseinanderzusetzen und kann aufgrund der Dichte des Vorlesungsplans eine umfassende pädagogische Ausbildung nicht leisten. Die Notwendigkeit einer pädagogischen Bildung wurde jedoch erkannt. Gerade an der Regensburger Hochschule für Kirchenmusik ist beispielsweise seit einiger Zeit der Bereich Kinderchorpädagogik Pflicht. Dazu gehören auch ganz elementare Praxiserfahrungen direkt in den Pfarreien. Angedacht ist außerdem, in den bayerischen Diözesen eine grundsätzliche Berufseinführungsphase anzubieten, die gegen Ende des Studiums auf die Praxis vorbereiten soll. Solch eine Berufseinführungsphase wird in den südwestdeutschen Diözesen zur Zeit erfolgreich erprobt. MM: Wie kritisch muß man die zahlreichen Neugründungen von Konzert- und Projektchören in den letzen Jahren sehen? CD: So erfreulich die Leistungen dieser Projektchöre sind, sie rauben oftmals den Kirchenchören wertvolle Substanz, auf die sie dringend angewiesen sind. Auch sind sie ein Ausdruck unserer Zeit, in der die Bereitschaft zur Kirchenmusik zwar projektbezogen für mehrere Tage oder Wochen da ist, nicht aber für eine Verpflichtung über das ganze Kirchenjahr in der Liturgie. In diesem Zusammenhang sei auch gesagt, daß es die klassische Anbindung an eine Heimatpfarrei immer weniger gibt. Der Anteil der Pfarrangehörigen in einem Kirchenchor erreicht oft nicht mehr die Hälfte. MM: Wie schätzen Sie die Situation der Kirchenchöre in der Diözese zusammenfassend ein? CD: Die Kirchenchöre bleiben trotz nicht immer optimaler Bedingungen ein Träger christlicher Kultur ersten Ranges, wo im Rahmen der Liturgie oder eines Konzertes live und unverfälscht musiziert wird. Im Idealfall sind die Chöre sowohl für die Gemeinde als auch für die Mitwirkenden eine große Bereicherung der Gemeinschaft, die es zu erhalten gilt. Deshalb wird den derzeitigen Entwicklungen bei der Ausbildung der Kirchenmusiker künftig verstärkt Rechnung getragen. Die Position des Kirchenmusikers wird sich jedoch vom reinen Musiker wandeln müssen zu einer gesamtheitlichen Integrationsfigur auch jenseits der Musik, um den Substanzerhalt zu gewährleisten und voranzutreiben.