Gerhard Dietel
Helmut Schwämmlein und Eberhard Kraus zum Gedenken
Das vergangene Jahr hat für herbe Zäsuren im Regensburger Musikleben gesorgt. Der Verlust zweier bedeutender Persönlichkeiten ist zu beklagen: War es im März Helmut Schwämmlein, der Leiter der Musica Antiqua Ambergensis Regensburg, der knapp 59jährig verstarb, so folgte ihm Ende Oktober Eberhard Kraus, der langjährige Regensburger Domorganist, im Alter von 72 Jahren in den Tod nach. Ein Mann wie das pralle Leben, ein Energiebündel: so haben alle, die ihn kannten, Helmut Schwämmlein in Erinnerung. Mit jeder Faser seines Herzens hatte er sich der Musik verschrieben: als Pädagoge am Albrecht- Altdorfer-Gymnasium, als Forscher, der mit einer Dissertation über den Amberger Komponisten Matthias Gastritz hervortrat, und vor allem als ein Pionier der historischen Aufführungspraxis, noch bevor die ganz große Konjunktur der „Alten Musik“ allerorten begann. Mit der von ihm 1973 gegründeten und seither geleiteten Gruppe Musica Antiqua Ambergensis erweckte er musikalische Archivalien zu klingendem Leben. Schier unermüdlich war sein Forscherfleiß im Aufspüren und Übertragen von Quellen, schier unerschöpflich die Phantasie, mit der er das Entdeckte instrumentierte und arrangierte. Weit über Regensburg hinaus verbreitete sich der Ruf seines Ensembles, das zahlreiche internationale Auftritte absolvierte und auch Aufnahmen für Schallplatten und CDs, für Rundfunk und Fernsehen machte. Mehrfach wurde Helmut Schwämmleins Arbeit gewürdigt: unter anderem mit Kulturförderpreisen der Stadt Regensburg und Ostbayerns sowie dem Bundesverdienstkreuz. Was Helmut Schwämmlein eindrücklich klarmachte: daß die Reichsstadt Regensburg und die Obere Pfalz mit ihrem Zentrum Amberg auf eine reiche musikalische Tradition zurückblicken können. Kaum eines seiner Programme verzichtete darauf, im Konzert aller europäischen Nationen auch die Sprache der Region erklingen zu lassen, ob es nun um die alljährlichen Adventskonzerte der Musica antiqua in wechselnden Regensburger Kirchen ging oder um die legendären „Spectacula musicae“. Mit der Idee des „Spectaculum musicae“ machte Helmut Schwämmlein vor allem Gerhard Dietel Die Ausstrahlung zweier Musikerpersönlichkeiten Helmut Schwämmlein und Eberhard Kraus zum Gedenken Foto: privat Furore: einer offenen Konzertform, in der mit Musik, Tanz, Literatur, pantomimischem Theater und nicht zu vergessen „guet Essen und Trincken“ alle Künste einbezogen und menschlichen Sinne angesprochen wurden. „O Sinne miin“ – so war nicht zufällig eines jener Programme betitelt, die er für diese Anlässe zusammenstellte und die stets selbst den Anspruch einer themenzentrierten „Komposition“ stellten. In diesem Punkt berührten sich die Persönlichkeitsprofile von Helmut Schwämmlein und Eberhard Kraus. Denn auch der von 1964 bis 1996 amtierende Regensburger Domorganist war ein dem Leben zugewandter, sinnenfreudiger Mensch von bayrischbarocker Art und mit viel Sinn für Humor, wie er mit seinen Gesprächskonzerten und in zahlreichen Kompositionen bewies. Wo soll man mit der Aufzählung der Aktivitäten von Eberhard Kraus anfangen, wo aufhören? In Verbindung mit seinem Amt als Do11 morganist fungierte er auch als Orgelsachverständiger der Diözese Regensburg und sorgte jahrzehntelang durch eigene Konzertvorträge wie durch Verpflichtung von Gästen für das hohe künstlerische Niveau der Domkonzerte. Erstaunlicher noch war seine Leistung als Gestalter der „Sonntäglichen Orgelstunden im Museum“: Bereits als junger Student hatte Eberhard Kraus 1953 die künstlerische Konzeption dieser Reihe übernommen und mehr als fünfzig Jahre lang und bis über die Tausendzahl an Konzerten hinaus innegehabt, ohne daß ihm jemals die Ideen ausgegangen wären. „Meisterwerke der Orgelliteratur“ hatten dort ebenso ihren Platz wie Exkursionen in die „Musikgeschichte Regensburgs, Ostbayerns und Böhmens“, spezielle Jubiläumsanlässe ebenso wie nachwuchsfördernde Auftrittsmöglichkeiten für „Junge Organisten, Instrumentalisten und Sänger“. Wie sehr ihm gerade diese Konzertreihe am Herzen lag, zeigten seine letzten Auftritte: Schon schwer von der Krankheit gezeichnet, improvisierte er noch 14 Tage vor seinem Tod an der Orgel der Minoritenkirche. Seit 1975 hatte Eberhard Kraus auch die Leitung des von Ernst Schwarzmaier gegründeten Collegium musicum übernommen, mit dem er im Laufe der Jahre zahlreiche große oratorische Werke aufführte. Seit dem gleichen Jahr organisierte und leitete er auch die Regensburger „Bach-Woche“, bei der er dem Werk Bachs in zahlreichen Beleuchtungen und Gegenüberstellungen immer neue Aspekte abgewann. Daneben stand Eberhard Kraus viele Jahre an der Spitze der „Vereinigung ostbayrischer Tonkünstler“ und hatte Lehraufträge an Universität und Kirchenmusikschule inne. Dazu widmete er sich in zahlreichen Artikeln und Büchern wie der Publikation „Mit Orgelklang und Paukenschall“ der regionalen Musikgeschichts- und Orgelforschung. Unübersehbar ist ferner die Zahl seiner Bearbeitungen und Editionen älterer Musik. Zu den Ehrungen für dieses reiche Lebenswerk zählten der Kulturpreis Ostbayern, der Kulturpreis der Stadt Regensburg und das Bundesverdienstkreuz. Das Eigenschöpferische kam nicht zu kurz. Es war ein unermüdliches Arbeitsethos, das den Komponisten Eberhard Kraus antrieb, schier keine Minute ungenutzt zu lassen. Noch bei Fahrten und Aufenthalten während seiner Konzertreisen hatte er stets Notenpapier in der Tasche, um an Kompositionen weiterzuarbeiten. Ein immenses OEuvre entstand so, das Orgelmusik, Musik für Orgel und Instrumente, Kammer-, Orchesterund Vokalmusik enthält, Geistliches, aber auch ganz aufgeknöpft Weltliches. Die Zwölftontechnik bildet die Grundlage fast aller dieser Werke, aber in einer sehr persönlichen, freien Handhabung, die oft tonale Bezüge durchscheinen läßt. Ein Nachruf wie dieser darf auch in die Zukunft blicken. Eberhard Kraus wie Helmut Schwämmlein haben nicht nur in der Vergangenheit ihre Spuren hinterlassen: Ihr Vorbild soll und wird weiter ausstrahlen. Die Musica Antiqua Ambergensis hat sich zwar gleichzeitig mit ihrem dreißigjährigen Jubiläum in Form eines letzten Festkonzerts im historischen Reichssaal vom Regensburger Publikum verabschiedet, doch steht zu erwarten, daß Mitglieder der Gruppe in neuer Formation weitermusizieren werden. Zudem sind derzeit Pläne im Gespräch, Helmut Schwämmlein postum mit einer Festschrift zu ehren. Gesichert scheint auf der anderen Seite der Weiterbestand des Collegium musicum, dessen Leitung Wolfgang Kraus, der Sohn des ehemaligen Domorganisten und derzeitige Regionalkantor in Furth übernommen hat. Geplant ist weiter, eine „Stiftung Eberhard Kraus zur Förderung junger Organisten“ zu errichten, die den doppelten Zweck verfolgen soll, dem Nachwuchs Auftrittsmöglichkeiten zu verschaffen und zugleich die Orgelmusik von Eberhard Kraus in der Musikpraxis lebendig zu halten. Foto: