Juan Martin Koch (jmk) / Alois Späth (as)
Alte Musik, Neue Musik, Jazz: Neue CDs von und mit Regensburgern
Heigenhauser, Killmayer, Englbrecht und Spring – Neue Musik für Männerstimmen Renner Ensemble Regensburg, Bernd Englbrecht, Ars Produktion FCD 368 404 „Es müßte möglich sein, mit einem durchlüfteten Satztypus die Helligkeit und Frische, die Versunkenheit und Melancholie dieser auratischen Poesie zum Klingen zu bringen.“ Klarer als der Komponist selbst kann man wohl kaum auf den Punkt bringen, was Wilhelm Killmayer mit seinen acht Chorliedern nach Eichendorff gelungen ist. Und mit denselben Substantiven – Helligkeit und Frische, Versunkenheit und Melancholie – wäre zu umschreiben, was das Regensburger Renner Ensemble auf seiner jüngsten CD daraus macht. Durch jeden Ton, jede Wortsilbe hindurch können die 19 Sänger das beglaubigen, was Killmayer mit seinem Zyklus beabsichtigte: die Gedichte durch die Musik zum natürlichen Sprechen zu bringen, und das in einer Sprache, die wie so oft bei Killmayer durch Reduktion und Zurückhaltung der Mittel die Tonalität auf eine ganz heutige und gleichzeitig romantische Assoziationen zulassende Ebene bringt. Auf wunderbare Weise ist im Chorklang des Renner Ensembles ein wohl aus der Domspatzen-Tradition stammender kindlich volksliedhafter Tonfall aufbewahrt geblieben („O Täler weit, o Höhen…“), der technisch souverän sublimiert die Seele ihrer Interpretation ausmacht. Beste Voraussetzungen somit auch für die beiden Kinderlied-Verfremdungen der „Nursery Songs“, die Bernd Englbrecht – zum Zeitpunkt der Aufnahme noch der Dirigent des Ensembles – seinem Chor auf den Leib geschrieben hat: das von vornherein abgründige „The spider and the fly“ und das in der bösen Zusatzstrophe Lewis Carrolls aus der Pianissimo-Idylle bedrohlich anschwellende „Tinkle, twinkle“. Von dieser hypnotisch gebremsten Version des bei uns als „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ geläufigen Liedes führt ein zarter, adventlich roter Faden zu Florian Heigenhausers Neudeutung der Weise „Es kommt ein Schiff geladen“, die sich unwiderstehlich aus der Dichte des polyphonen Satzes herausschält und sich, in ihrer Substanz mal stärker, mal schwächer angetastet, durch die Strophen (fünf alte, eine neue) zieht. Festgehalten außerdem der exemplarische Einsatz des Ensembles für Heigenhausers Mühlhiasl-Apokalypse „Prophetiae ex tenebris“ und für den „Andachtsjodler“, den der Komponist mit seltenem Gespür für die Balance von Ironie und Wahrhaftigkeit im Volkston eigens für diese CD komponiert hat. Den Abschluß dieser in der Geschlossenheit des Zugriffs überragenden Zusammenstellung zeitgenössischen Schaffens für Männerchor bildet Rudi Springs Auseinandersetzung mit Dietrich Bonnhoeffers berühmtem Lied „Von guten Mächten“. Die einstimmige, gebetshafte Deklamation des Beginns wahrt durch die Fährnisse bewegterer, tonal freier geführter Melodielinien hindurch ihren Gestus, ihre Würde und wird in der letzten Strophe als Dreiklang in eine Tiefe der Ruhe und Zuversicht gespiegelt, die etwas bezwingend endgültiges hat. Jörg Genslein, der Ende vergangenen Jahres aus dem Chor heraus die Nachfolge Englbrechts als Ensembleleiter angetreten hat, übernimmt einen intakten, in der Spannweite des Repertoires wie in der vokalen Leistungsfähigkeit bewundernswerten Klangkörper. An CDs wie dieser wird er sein künftige Arbeit messen lassen müssen. (jmk) Juan Martin Koch, Alois Späth Vom Umgang mit dem Vielstimmigen Alte Musik, Neue Musik, Jazz: Neue CDs von und mit Regensburgern 13 Iacobus Handl-Gallus: Moralia, Harmoniae Morales Vokalensemble „SingerPur“; „Zalozba ZRC“, Ljubljana; Musik Forum „Ars Musici“, Freiburg; AM- 129(1/2/3)-2 Gehen wir es der Reihe nach an: Zunächst der rein äußerliche, optische Eindruck, wenn man die CDBox in Händen hält. „Ein satter Brocken“, möchte man da gern etwas salopp formulieren, aber sie ist ja auch wirklich eine gewaltige, in ihrer Aufmachung prachtvolle Erscheinung, diese Aufnahme der Kompositionszyklen „Moraliae“ und „Harmoniae Morales“ des Renaissancekomponisten Jacobus Handl, genannt Gallus durch das Vokalensemble SingerPur. Entnimmt man der roten Box ihren Inhalt, ist bald klar, was zu ihrer insgesamt fast beängstigend voluminösen Erscheinung beiträgt. Nicht nur sind dies die drei CDs, jede mit eigener Hülle und jeweils andersfarbiger Gestaltung des Covers, sondern es ist vor allem das mächtige Begleitbuch – ja, man sollte hier bei runden 504 (!) Seiten Inhalt und einem Hardcover-Einband wirklich von einem Buch sprechen, nicht mehr von einem Booklet oder dergleichen. Luxuriös genug, daß neben Informationen zu den ausführenden Künstlern und einer Besetzungsliste zu den einzelnen Nummern sämtliche lateinischen Texte der insgesamt 100 Stücke nebst Übersetzungen enthalten sind (englisch, französisch, deutsch und slowenisch – die CD-Produktion ist eine Gemeinschaftsarbeit des Labels Zalozba ZRC, Ljubljana und des Freiburger Musik Forums, Ars musici). Darüber hinaus enthält der „Band“ aber auch noch drei ausführliche Aufsätze zu Gallus und seinem Werk, allesamt von Spezialisten ihres Fachs. Im ersten Beitrag versucht Borut Loparnik (Ljubljana) ein genaueres Bild der Person Handl-Gallus zu entwerfen, soweit dies möglich ist, bedenkt man die äußerst geringe Anzahl der wirklich „unumstrittenen Tatsachen über das Leben und Werk“ (S. 197) des Renaissancemeisters aus Krain (Slowenien). Dennoch entwirft Loparnik vor dem Hintergrund zahlreicher musik- als auch allgemein zeitgeschichtlicher Daten den plausiblen Versuch einer ausführlicheren Biographie. Hartmut Krones (Wien) beschäftigt sich mit den hier eingesungenen Werken, den Harmoniae Morales und den Moralia. Die Musik, entstanden in einer stark von humanistischem Gedankengut geprägten Phase der Renaissance, wird im Hinblick auf ihr Wort-Ton-Verhältnis, genauer gesagt im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Versmaß und Prosodie der lateinischen Texte auf der einen und den Vertonungen dieser Texte auf der anderen Seite, untersucht. Dabei zeigt sich, wie sehr der Komponist Gallus humanistisches Gedankengut seiner Zeit zum ästhetischen Prinzip seiner Schöpfungen erhob, wenn er in Rhythmik und Satzweise seiner Musik die lateinische Dichtung geradezu plastisch nachformte. Auch auf die Bauweise der lateinischen Madrigale, ihre Stimmdisposition und ihre Anordnung in den Sammlungen geht Krones ein, ebenso auf die Tonalität, die Modi (im Sinne von „Kirchentonarten“) der jeweiligen Stükke. Auf ästhetischen, philosophischen, naturwissenschaftlichen, ja gar ethischen Bahnen bewegt sich der Musikforscher Ivan Florjanc, wenn er versucht, sich in die Harmonie der Planeten (der musikalischen Werke), in den Kosmos der Musik des Jacobus Gallus einzuschwingen. Dies charakterisiert wohl am ehesten den äußerst komplexen, dabei aber hochinteressanten Beitrag Florjancs, mit welchem dieser die „Melopoeia“, also den kompositorischen Stil und die Technik von dessen Musik ergründen will, wobei er unter anderem von dem „Gallusschen Begriffspaar Chaos – Kosmos“(!) spricht. Besonderes Vergnügen bereitet es dann natürlich, mit den entsprechenden Hintergrundinformationen 14 Hans Huber: Jazz Memories Erhältlich bei Feuchtinger & Gleichauf, Bücher Pustet sowie bei Hans Huber, Rilkestraße 27, 93049 Regensburg Mit dem Jazz verbindet man in der Regel zuallererst die Kunst der Improvisation: die Freiheit, aus dem Augenblick heraus Vorgegebenes zu variieren, umzuformulieren oder ganz neu zu denken. Weniger im Bewußtsein präsent ist eine andere, im Jazz nicht weniger zentrale Kunst, die des Arrangierens. Sie zu beherrschen bedeutet nichts anderes als die Fähigkeit, flüchtige Melodie- und Harmoniefolgen in eine feste, unverwechselbare Form mit besonderem instrumentalen und formalen Gepräge zu gießen, ohne dabei Freiräume, Leerstellen zu vernachlässigen, die dann improvisierend gefüllt werden können. Kaum eine Einspielung könnte dies besser illustrieren als die in Bob Rückerls Abensberger Studio produzierte CD des Regensburger Pianisten und Komponisten Hans Huber. Unverwechselbar deshalb, weil Huber seine Arrangements für eine außergewöhnliche Besetzung konzipiert hat: Nicht weniger als sechs Saxophone samt Klarinette und Flügelhorn durchfluten in unterschiedlichen Konstellationen, aber stets meisterhaft gesetzt, die elf Nummern der Scheibe. Den Klassiker „They can’t take that away from me“ verwandeln sie in ein entspanntes Call-and-Response-Gespräch, in „Indian Summer“ lösen sie die gewöhnliche Hierarchie von Solovorder- und Begleithintergrund sanft der Begleittexte einzelne Stücke zu hören. So kann man etwa mit dem Wissen um die Bedeutung der Wahl einzelner modaler Tonarten bei Renaissancekompositionen Gallus‘ Entscheidung für das Hypodorische, zusätzlich auf g transponiert, in der dritten Komposition seiner „Moralia“, „Usibus edocto si quicquam credis amico“, einer Vertonung von Versen aus Ovids „Tristia“ förmlich nachvollziehen: Das „Klagend, Düstere“ und „Ernsthafte“ des Hypodorischen, noch um einen Grad dunkler durch die Transposition auf g mit einem b-Vorzeichen, wird musikalisch ganz dem Ton der Dichtung Ovids, einem stillen, zurückhaltenden, dabei auch leicht verbitterten und verzagten Ton gerecht. Womit wir auch schon beim letzten Punkt angelangt wären, der Ausführung dieser Musik durch das Ensemble SingerPur. Man muß es einfach so sagen: Hier ist ein Ensemble am Werk, das einfach weiß, wie Renaissancemusik zu interpretieren ist. Zugegeben, es ist inzwischen nichts Neues mehr, daß es national wie international sehr viele (Vokal)-Gruppen gibt, die sich unter dem Blickwinkel der historischen Aufführungspraxis auf höchstem Niveau bewegen. Und betrachtet man den bisherigen Werdegang der Gruppe SingerPur, so ist dies bei der vorliegenden Gallus-CD auch fast zu erwarten. Dennoch ist es beeindruckend, wie sicher und dabei manchmal verspielt und leichtfüßig sich die Musiker (unter Mitwirkung namhafter Gäste – der Bariton Gordon Jones, Mitglied des Hilliard Ensembles ist mit von der Partie) durch die Spruchkompositionen des Jacobus Gallus bewegen. Alle Sängerinnen und Sänger agieren bei ständiger Achtung des Textes und seines unter den Händen von Gallus zu Musik gewordenen Versmaßes und Rhythmus im bis zu achtstimmigen und dabei oft doppelchörig angeordneten Ensemble auf den Punkt, mit vokaler Genauigkeit und Beweglichkeit, das Ganze in einer traumwandlerisch sicheren mitteltönigen Stimmung: Da sitzt jede mitteltönige Dur- oder Mollterz, da klinkt jedes Intervall an der richtigen Stelle ein – kurz gesagt: SingerPur treffen hier als Klangkörper einfach den Kern dessen, was man sich unter gutem „Renaissancesound“ vorstellt. (as) 15 auf, „Topsy“ verleihen sie einen Hauch von Big Band, die Themenvorstellungen von „My Ship“ und „My funny Valentine“ schließlich sind ganz auf den farbig changierenden Bläsersatz hin ausgerichtet. Maßgeblich verantwortlich für den wunderbar geschlossenen Klangeindruck dieser CD ist die warme, gedeckte Grundierung dieser Sätze durch Baßklarinette und Baritonsaxophon, denen Huber überdies zwei seiner eigenen Nummern zugedacht hat. Meisterklarinettist Stefan Holstein stattet die Ballade „A Day in the Life“ mit unnachahmlichem Schmelz aus, Bob Rückerl genießt das ihm gewidmete „Solo für Bob“. Hier wie auch in seinem flötenbetonten „Lullaby for Angie“ erleben wir einen Komponisten und Pianisten Hans Huber, der mit einer hörbar „klassischen“ Haltung an den Jazz herangeht. Seine Stücke sind im Grunde Kammermusik mit den harmonischen und satztechnischen Mitteln des Jazz, seine Soli stets stilsischer und pianistisch untadelig. Und es spricht für die Klasse der Rhythmusgruppe, daß sie sich mit großartigem Einfühlungsvermögen diesem Zugriff nahtlos einfügt: Helmut Nieberle mit punktgenauem, inspirierten Spiel und der wunderschönen eigenen Nummer „Mind the Step“, Christian Diener mit geschmeidigem Begleit- und Melodieklang, Scotty Gottwald mit ebenso unaufdringlicher wie präziser Besenarbeit. Dringende Empfehlung! (jmk) Kartenhauskollektiv Feuchtinger & Gleichauf