Michael Herrschel
Beharrlich am Werk: der Komponist Jens Joneleit
Ein Jugendstilhaus als Experimentierbühne für neue Musik: die hundert Jahre alte Weinschenk-Villa hinter dem Regensburger Dörnbergpark öffnet an einem heißen Sommernachmittag die Türen für einen Besucher, der die leere sonnendurchflutete Halle rasch durchquert – eingehüllt in einen Kokon von Kühle und Schatten, Gedanken und Plänen – und im dunkel getäfelten Konferenzraum seine Blätter ausbreitet, an denen er – als Kartograph einer inneren Welt hinter den erlebten Klängen – beharrlich arbeitet. Der gebürtige Offenbacher Jens Joneleit, der in den USA Komposition bei dem Stefan-Wolpe-Schüler Joel Naumann studierte und 1997 in unserer Region künstlerisches Heimatrecht erwarb, setzt eigene Maßstäbe. Er schafft Akkordformationen, die sich nicht an akademischen Struktur-Erwartungen orientieren, und macht Notenköpfe, Fähnchen, Balken zu Geheimzeichen seiner klingenden Topographie. Da gibt es Berührungen mit bekannten Orten – farbige Schichtungen brechen auf und geben Vertrautes in verwandelter Form frei. Über magnetischem Klanggestein bilden sich Deutungsmuster: der Schlag einer Turmuhr im Laber-Jura, oder – im Klavierstück Schwarzer Fluß – der Stahlsaiten- Brückendonner hoch über jenem Gasthof, in den der Autor Franz Xaver Staudigl seinen Freund Jens Joneleit mehrmals zu gemeinsamer Arbeit einlud. Die Schrift auf den Blättern ist ein erstarrter Strom, der jeden Augenblick losbrechen will. Aufgestaute Kraft will wirksam werden, will sich entladen als wirklicher Klang, der in Träumen das furchige rissige Gesicht der Landschaft überströmt, bis das Bild der Frühe wieder aufscheint und alles Feste in ein ozeanisches Fließen übergeht – dann wird der fossilienstarrende Wacholderhang wieder zum Korallenriff, das er einst war. Was Jens Joneleit auf dem rauhen Rücken der Oberpfalz schrieb, ist in der Weinschenk-Villa aufbewahrt; manches wurde hier uraufgeführt. Das kleine Haus ist ein Gravitationszentrum: Joneleit erforscht es. Ist er ein „Hauskomponist“? Er wehrt ab: „So etwas gibt es hier nicht.“ Aber mit Phantasie und Neugier hat er mehr klangliche Perspektiven in dem urbanen Bau entdeckt als je irgendeiner zuvor. Sogar der Erker, von dem aus er beim Schreiben in den Garten blickt, diente einmal als Aufführungsort seiner Musik – seiner leisen nadelspitzen Sternenmusik für Celesta solo, in einer Julinacht 1999. Aus jedem Winkel kommen hier unerhörte Klänge – die meisten Spielmöglichkeiten bietet der Hauptraum mit der geschwungenen Treppe. Joneleit erinnert sich: „Als ich den hohen Saal das erste Mal betrat, dachte ich an die Eingangshalle von Haus Wahnfried in Bayreuth, an Beschreibungen der Ring-Proben mit den Instrumentalisten unten und den Sängern auf der Galerie…“ – daraus folgte die Idee, mit einer quasi umgedrehten Anordnung musikalische Hörspiele zu gestalten: unten sprachen vor verdunkeltem Auditorium die Schauspieler Dorothee Hartinger und Wolf Euba, die Autoren Margret Hölle und Albert von Schirnding – und aus der Höhe antworteten ihnen Foto: privat 11 Ausschnitt aus Jens Joneleits Lux perveniet (UA 1999, Symphonisches Blasorchester Regensburg) 12 atmosphärisch dichte Raumkompositionen wie die Capricen des Prinzen von Theben für wandernde, jäh kadenzierende Altflöte, die Auletika für langsam zum Englischhorn heranreifende Oboe, das Condor-Trio mit variablen, schwindelerregend überkreuzten Ostinato- Metren – und der Harfenzyklus fremdes klirren, Miniaturen an der Lautgrenze und an den Rändern der mit Fingerkuppen, Fingernägeln und Fingerhüten ertasteten Klangfarben. Wortmusikalisch entfaltet sich im kleinen Raum jeder nur mögliche Raum: das reale Ambiente weist im Halbdunkel polyphoner Imaginationen über sich hinaus. „Wenn das Licht ausgeht, die Zuhörer mit ihren Gesprächen langsam verstummen, dann wird aus dem Haus ein Theater. Es wird lebendig, und der geistige Nachhall einer Epoche, die voller Lust auf Neues war, wird zum Ansporn. Das Neue ist das Unerkannte, das Nichtselbstverständliche, das leben und großwachsen will“, sagt Jens Joneleit. Seine Modellaufführungen in der Weinschenk-Villa enthalten auch ein Moment orchestraler Utopie. Und manchmal ist es nicht weit zur orchestralen Erfüllung: im Kopiergeschäft um die Ecke wurde Joneleit von Franz Hummel beobachtet und auf seine Notenblätter angesprochen – Ergebnis der Unterredung war die Uraufführung seines Weidengesangs beim Sinfonischen Sommer in Riedenburg. Und nur Stunden nach der Begegnung mit Hummel hörte er in der Kreuzgasse eine Probe von Wolfgang Graefs Bläserphilharmonie, für deren geplantes Konzert in der Dreieinigkeitskirche ein titelgebendes Stück fehlte. Joneleit schrieb es und läutete es mit den Glocken der Gotteshauses ein: Lux perveniet. Eine riesige Maschinerie von Posaunen, Saxophonen, Baßtuben setzt sich in Bewegung; hinter dem Kirchturm erscheinen Schlote, Gleise, Flammen, Lärm. Aufbegehrende Neuzeit verschlingt den Glockenklang und gibt erinnerte Choralverse frei… Die Schlußsteigerung ist von einer eisgrauen Wucht, als höre man Martin Luther selbst predigen. Im Pianissimoglanz der neun Trompeten zuvor birgt sich eine Ahnung unverhoffter Gnade. Es war nicht beabsichtigt und ist doch von dezenter historischer Symbolik, daß diese Uraufführung am Reformationstag 1999 stattfand, dem Tag einer gemeinsamen Erklärung von Christen, deren unterschiedliche Bekenntnisse aus ein und derselben Wurzel entspringen. Sehnsucht nach dem Dialog prägt Joneleits ganzes Schaffen. Deshalb sein Interesse an kontrastierenden Themen und an der Verbindung von Wort und Musik, deshalb seine Wanderung zwischen Städten und Regionen, Klassik und Jazz, tonalen Zentren und freier Atonalität; deshalb auch sein Faible für Erstaufführungen an Orten, wo sie eher unüblich sind – zum Beispiel an Schulen. Am Regensburger Von-Müller-Gymnasium setzen seine Stücke ab und zu provozierende Farbtupfer in den Stundenplan… Es ist eine spielerische Anregung für junge Leute, „sich nicht davor zu verstecken, daß Musik schwierig und fordernd sein kann – nicht nur für die Finger beim Üben, sondern für den ganzen Menschen, der mit wachen Sinnen herausfinden möchte, warum ein Komponist genau so und nicht anders in Klängen denkt. Manche Menschen fürchten sich davor. Das halte ich für falsch. Musik kann man lernen – wie eine fremde Sprache! Jeder Komponist konfrontiert uns mit seiner eigenen Sprache, seinen eigenen künstlerischen Formeln für die unendliche Kartenhauskollektiv 13 Vielfalt, aber auch Widersprüchlichkeit des Lebens. Und dann spitzt man die Ohren und merkt plötzlich, daß dieses Leben mehr bedeutet als nur einen irgendwie funktionierenden Alltag. Daß man mehr ist als nur Ameise!“ Das Besondere, das über den Alltag hinausweist, ist eine Befreiung – in jedem neuen Werk macht sich Jens Joneleit auf die Suche danach. Seine Regensburger Arbeiten für 2004 stehen fest. Im Herbst ein neuer Hörspielabend: eine Exkursion in die labyrinthische Phantastik von Gustav Meyrinks Buch Der Golem, mit Wolf Euba und der Harfenistin Sigrid Hopperdietzel vom Klangkonzepte-Ensemble Nürnberg. Und vorher oder nachher, in einem Gesprächskonzert, die Uraufführung der dreiteiligen Vision Feuer, bernsteinkalt für Mezzosopran und Klavier nach Gedichten von Wiebke Dresp, der Autorin des Romans Schattenhand. Umsponnen vom sphärischen Nebel ungedämpfter Klaviersaiten, beobachtet man in dieser jüngsten Komposition von Joneleit eine zitternde, ruhelos schillernde Linien- und Akkordbildung; es entwickeln sich fließende Transparent-Gemälde, und darin – schwerelos – ein Gehen, Schreiten, das nur selten, nur unter absolutem Zwang zum Stillstand kommt. Anpeitschender Zustrom von Kräften trägt den Gesang mit sich fort. In der Begleitung verstärkt die klaffende Distanz zwischen viergestrichenen Gipfeltönen und tief aufgetanen Donner-Zisternen der Kontraoktave die verwirrende Gleichzeitigkeit von Weite und Bedrängnis, Getriebensein und Kraft. Hinter dem Schlußstrich dieses kämpferischen Werkes beginnt Jens Joneleit sein nächstes zu entwerfen, einen Zyklus für Vokalensemble a capella: Gradus ad fontem – Schritte zur Quelle. Sieben geistliche Betrachtungen, sieben Meditationen über jüngst geschriebene Worte eines Mannes, der für den Frieden betet. Aber das ist schon Teil einer anderen Geschichte… Portrait-CD: ensemble gelber klang spielt kammermusikwerke von jens joneleit. cybele 360.601 Informationen im Internet: www.ascap.com/audioportraits/jensjoneleit.html www.rollernet.org/gelberklang/presse.html www.bezirk-oberpfalz.de/php/anzeige/aktuelles/aktuelleseintrag. php?key=216