Mälzels Magazin

Zeitschrift für Musikkultur in Regensburg

Schriftzug Mälzels Magazin
Hefte2004Nr. 4
mälzels magazin, Heft 4/2004, S. 14–16
URL: http://www.maelzels-magazin.de/2004/4_05_theater.html

Gerhard Dietel (gd) / Juan Martin Koch (jmk)

Geschichten und Gesichter einer Bühne

Zwei Neuerscheinungen zur Regensburger Theaterhistorie

Magnus Gaul: Musiktheater in Regensburg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Studien zu Repertoire und Bearbeitungspraxis Tutzing (Verlag Hans Schneider) 2004, 612 S., ISBN 3-7952-1118-2, EUR 68,00 Ein Abglanz der Metropole Paris fiel in die bayrische Provinz: Am 9. September 1844 konnten die hiesigen Theaterfreunde die Regensburger Erstaufführung von Meyerbeers Hugenotten erleben, und „auf vieles Verlangen“ wurde das Werk kurz danach ein zweites Mal gespielt. Der Kenner dieser „Grand opéra“ beginnt selbstverständlich zu stutzen und nachzudenken: wie konnte das Regensburger Theater mit seinen bescheidenen Möglichkeiten ein solches Werk mit großen Tableaux und spektakulären Massenszenen überhaupt auf die Bretter bringen? Mit heutigen Vorstellungen von „Authentizität“ darf man die damalige Theaterpraxis freilich nicht messen. Es war gang und gäbe, Werke des Musiktheaters bedenkenlos lokalen Gegenheiten anzupassen. Man strich Nummern und fügte umgekehrt andere hinzu, ersetzte nicht vorhandene Instrumente und vereinfachte den Orchestersatz, legte mit Rücksicht auf die vorhandene Besetzung Singstimmen tiefer, und, gerade was Regensburg betrifft, ließ Ballettszenen völlig weg, wenn man keine Tänzer zur Verfügung hatte. In seiner Dissertation über das Musiktheater in Regensburg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigt Magnus Gaul detailliert auf, wie die damalige Regensburger Bearbeitungspraxis im einzelnen verfuhr und auf welches Repertoire sie sich erstreckte. Der Zeitraum seiner Untersuchung ist quasi natürlich begrenzt durch die Eröffnung des Theaters 1804 und das vorläufige Ende des Betriebs durch den Theaterbrand 15 Eva Sixt: Heut geh ich ins Theater. Die große Leidenschaft des Herrn Blank Regensburg (Scriptorium) 2004, 86 S., ISBN 3- 937527-05-2, EUR 9,90 Man kann sich dieses sympathische Büchlein auf zwei Arten zu Gemüte führen: durch betrachtendes Lesen oder durch lesendes Betrachten, wobei die weit über hundert Abbildungen zunächst eher zu Letzterem verführen. Nur allzu gern schweift der Blick über alte Photographien, die Werbe- und Ankündigungszettel und Piano Metz im Juni 1849. Bei seinen Forschungen konnte Gaul sich auf zahlreiche zum Glück erhalten gebliebene Materialien und weitere sekundäre Quellen stützen, die er mit eminentem Fleiß gesichtet und kritisch aufgearbeitet hat, ohne über der Materialfülle den Blick fürs Wesentliche und die klare Linie der Darstellung zu verlieren. Deutlich herausgezeichnet wird der ökonomische Hintergrund der damaligen Bearbeitungspraxis: ein nicht subventioniertes, sondern frei unternehmerisch betriebenes Theater wie dasjenige in Regensburg stand zum einen unter dem Zwang, den Aufwand seines Spielbetriebs zu minimieren, zum anderen jedoch unter dem Druck, in Konkurrenz mit dem sonstigen örtlichen Unterhaltungsangebot attraktiv zu bleiben. So erklärt sich eine Entwicklung, die neben den Stücken des Sprechtheaters immer stärker die Musik in den Spielplan einbezog und das ganze gängige Repertoire des deutschen, französischen und italienischen Musiktheaters inklusive prominenter Zugstücke zu bieten bestrebt war. Im zweiten Teil seiner Arbeit hat Magnus Gaul in einer umfänglichen Dokumentation den Regensburger Spielplan der Jahre 1839 bis 1849 rekonstruiert und damit einen über lokale Interessen hinausreichenden Beitrag zur Repertoireforschung geleistet. Was entstanden ist, mag auf den ersten Blick trocken anmuten. Aber erst so kommt ein realistisches Bild zustande, wie die Gemengelage aus Schauspiel und Musiktheater, aus heute noch Bekanntem und längst verschollener Gelegenheitsdichtung und -musik in der täglichen Praxis ausgesehen hat. Magnus Gauls Dissertation firmiert zugleich als Band 3 der Regensburger Studien zur Musikgeschichte. Es ist erfreulich, dass eine unter Hermann Beck begonnene Bemühung der Musikwissenschaftler der Universität um die lokale Musikgeschichte nach Jahren des Stillstands in jüngerer Zeit wieder an Schwung gewinnt. Die von Detlef Altenburg und David Hiley herausgegebene Reihe wird hoffentlich auch unter Altenburgs Nachfolger Wolfgang Horn ihre Fortsetzung finden. (gd) 16 Ensemblefoto aus der Saison 1918/19, Abbildung aus dem besprochenen Band Heut geh ich ins Theater unwillkürlich bleibt dieser hängen: bei der schmuck über Jochanaans Kopf sich beugenden Alice Sodek als Salome, bei der liebevoll gestalteten und humoristisch angereicherten Fahrkarte zum Liedertafel-Fasching im Paradiesgarten, bei einem illustrierten Theaterzettel zur Vorstellung von „Tschuggmall’s Automaten, Androiden und Metamorphosen“ oder dem „Programm zum Auxetophon-Concert (Grammophon-Starkton- Maschine)“, mit dem die Deutsche Grammophon Gesellschaft Carusos Stimme in den Neuhaussaal transportierte. Und dann fängt man an hineinzulesen in die teils skurrilen, teils nachdenklich stimmenden Dokumente; der Reichtum der Blank’schen Theatersammlung beginnt wie von selbst zu sprechen. Zum Vorteil des betrachtendes Lesens wiederum hat Sixt die Auswahl aus dem Schatz dieses besessenen Theatergängers nicht chronologisch aneinandergereiht, sondern zu lockeren thematischen Kapiteln gebündelt. Daß diese mit allgemeiner gehaltenen Überlegungen zum Phänomen früher Theaterphotographie oder zu den bunten, mit allerlei menschlichen wie technischen Absonderlichkeiten lockenden Revueabenden den rein lokalen Blickwinkel immer wieder verlassen, ist dabei nur von Vorteil. Anstatt einschlägig vorhandene Literatur zur Theaterhistorie Regensburgs zu verdoppeln, illustriert Blanks Sammlung auf diese Weise nicht nur eine erstaunlich reiche hiesige Szene, sondern steht stellvertretend für eine Blütezeit der darstellenden Kunst insgesamt. Und doch sind es am Ende die Portraits, die gesichter und Posen, die dem Band über das Dokumentarische hinaus sein unverwechselbares Gepräge verleihen. So wie Andreas Blank in seinem archivalischen Furor den Künstlerbiographien die größte Aufmerksamkeit schenkte, so verbinden eben auch wir Theater vor allem mit den Menschen, die auf der Bühne stehen, die das Theater leben, es erlebbar machen. Nicht zuletzt davon erzählt dieses Buch. (jmk)
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