David Hiley
Ein Streifzug durch Budavár, Regensburgs Kulturpartner für 2010
Falls der Traum Regensburgs in Erfüllung gehen sollte, in Partnerschaft mit Budavár den Titel Kulturhauptstadt Europa 2010 zu erringen, dann wird unsere Stadt mit einem Ort verbunden werden, der auf ein reiche musikalische Tradition zurückblicken kann. Der folgende Streifzug durch Budavárs musikalische Geschichte und Gegenwart mag vielleicht ein wenig Neugier wecken und erste Fragen beantworten. Der Name ‚Budavár‘ heißt so viel wie ‚Buda Burg‘. Gemeint ist jener Stadtteil des modernen Budapest, auf dem sich die historische Königsburg befindet, also nicht nur „ein Stadtteil von Budapest“, wie unter „www.regensburg2010.de“ zu lesen ist, sondern der Stadtteil, der in der Erinnerung eines jeden Besuchers am längsten haften bleibt: Am Westufer der Donau ragt er empor, von alten Mauern vollständig umzingelt; Königspalast, Matthiaskirche und Fischerbastei prägen die Silhouette. Die Burg ist das Herz der alten Stadt Buda (dt. Ofen). Nördlich von ihr, noch auf der Westseite der Donau, liegt Óbuda, ‚Alt-Buda‘, wo sich vor zwei Jahrtausenden die Römerstadt Aquincum etablierte. Gegenüber auf dem Flachland der Donau- Ostseite erstreckt sich der viel größere Stadtteil Pest. Erst 1872/73 wurden die drei Städte zu ‚Budapest‘ vereint. Im 14. und 15. Jahrhundert war die königliche Burgstadt Buda eines der glänzendsten Kulturzentren Europas. Die Eroberung des Landes durch die Türken führte zu einem Niedergang, doch im 19. Jahrhundert gelangten Buda und Pest wieder zu Weltrang. Heute bewohnen über zwei Millionen Menschen die Metropole, etwa vierzehn mal so viel wie Regensburg. Deshalb ist der Gedanke allein schon aus statistischen Gründen naheliegend, den historischen Kern Budavár als Kulturpartner für Regensburg auszuwählen. Man könnte meinen, daß sich die zwei auch topographisch ergänzen, liegt Regensburg doch (wie Pest) in der Ebene und nicht in königlicher Pracht auf der Winzerer Höhe (wie Buda). Die Margareteninsel inmitten der Donau wäre das Gegenstück zu unserem Oberen und Unteren Wöhrd. Entscheidend ist aber, daß sich in Budavár wie in Regensburg Geschichte und Gegenwart am offensichtlichsten treffen. Erlebnisse musikalischer Art wird der heutige Besucher wohl am ehesten unten in Pest haben, in der wunderschönen Staatsoper im Stil der Neorenaissance oder in der Franz Liszt Musikakademie (seit kurzem: Musikuniversität) mit ihren fabelhaften Konzertsälen im Jugendstil. Vielleicht wird er auch das Nationalmuseum aufsuchen, um einen Abguß von Franz Liszts linker Hand zu bewundern, oder das schöne Franz Liszt Museum in der Vörösmarty utca 35, eine Rekonstruktion von Liszts Wohnung in der ursprünglichen, von ihm gegründeten Musikakademie, mit zahlreichen Tasteninstrumenten des Klaviervirtuosen. Musik am Hof Der Blick zurück in der Musikgeschichte führt jedoch auf die Burg hinauf. Aus dem Mittelalter und der Renaissance ist uns noch einiges über die Musik am königlichen Hof überliefert. Und weil die ungarischen Könige ebenso wie die Monarchen im übrigen Europa daran interessiert waren, dynastische Allianzen zu schmieden und sich durch eine angemessene Musikpflege repräsentieren zu lassen, ist die ungarische Hofmusik eng mit jener in anderen Ländern verbunden. Ende des 12. Jahrhunderts besuchte der vielgereiste Troubadour Peire Vidal (ca. 1205 gestorben) Buda. Zu David Hiley Eines der glänzendsten Kulturzentren Europas Ein Streifzug durch Budavár, Regensburgs Kulturpartner für 2010 Konzert von Franz Liszt im Redoutensaal des Königlichen Palastes von Buda am 18. März 1872 in Anwesenheit Kaiser Franz-Josephs und des ungarischen Königshofes. Ölgemälde von Schams und Lafitte. 12 dieser Zeit war er am Hofe Alfonsos II. von Aragonien beschäftigt, dessen Tochter Konstanze vom Ungarnkönig Béla III. nach Buda gebracht wurde, um seinen Sohn Imre (Emmerich) zu heiraten. Imre wurde 1196 zum König gekrönt und 1198 heiratate er Konstanze. Im Chanson Ben viu a gran dolor beschreibt Peire Vidal den Königshof und Imre. M’en anei en Ongria Al bon rei N’Aimeric, On trobei bon abric, Et aura m ses cor tric Servidor et amic. In Karl Ludwig Kannegießers Übersetzung aus dem Jahr 1852: So zog ich in der Noth Zum Herrn von Ungerland, Zum guten Emmrich hin, Zum Glück mir und Gewinn, Der ich mit treuem Sinn Sein Freund und Diener bin. Höchstes internationales Niveau hatte die Hofmusik unter Matthias Corvinus (1458–1490) aus dem Geschlecht der Hunyadi. (Der Rabe, ‚corvus‘, war das Emblem der Hunyadi.) Er war mit Beatrix von Aragonien vermählt, der Prinzessin von Neapel (siehe Abb., rechte Spalte), wo die burgundische Hofkultur eifrig gepflegt wurde. Eine der schönsten und bedeutendsten Handschriften mit burgundischen Chansons, das sog. „Mellon Chansonnier“, unter Aufsicht des Komponisten Johannes Tinctoris zusammengestellt, wurde für Beatrix angefertigt. Es überrascht nicht, daß die Musik am Budaer Hof von Italienern und Nordeuropäern geprägt wurde. Nichtsdestoweniger wurden bei Festmalen auch Heldenepen in der Volkssprache vorgetragen. Kapellmeister unter Matthias in den Jahren 1481– 1486 war Johannes de Stokem aus Lüttich. Der Ruhm der Kapelle war so groß, daß selbst der Magister der päpstlichen Kapelle, Bartolomeo de Maraschi im Jahr 1483 erklärte, sie sei seiner eigenen überlegen. Der Lautenist Pietro Bono und der Organist Stefano de Salerno zählten zu den Hofvirtuosen. Selbst in der Zeit zwischen der Niederlage Ungarns in der Schlacht von Mohács 1526 und der Eroberung Budas durch die Türken unter Süleiman II. dem Großen 1541 konnte man den großen, international bekannten Lautenist Valentin Bakfárk am Hof des König János Szapolyai hören (siehe Abb. S. 13). Als gutes Beispiel für die Beteiligung Ungarns an der „zentralen“ europäischen Hofmusikkultur am Vorabend der türkischen Eroberung wäre der schlesische Komponist Thomas Stoltzer (ca. 1480–1526) zu nennen. König Ludwig II. von Ungarn stellte ihn im Mai Beatrix von Aragonien und Neapel, Königin von Ungarn, (links); Matthiaas Corvinus, König von Ungarn (rechts) ....................... ......................... ......................... ....................... ........................................................................................................ .............................................................................................................. ........................................................................................................ .................................................................... 13 1522 als Kapellmeister am Budaer Hof an und zwar auf Empfehlung seiner Frau, Königin Maria, Tochter Philipps des Schönen von Burgund. Stoltzers Motette Beati omnes wurde wohl zur Hochzeit des königlichen Ehepaars im Januar 1522 in Buda aufgeführt. Maria beauftragte Stoltzer, Martin Luthers Übersetzungen der Psalmen 12, 13, 37 und 86 zu vertonen. Diese weithin überlieferten Werke wurden als beispielhaft im deutschen Sprachgebiet betrachtet und vielfach imitiert. Nach dem Tod Ludwigs auf dem Schlachtfeld von Mohács verließ Stoltzer Ungarn und starb bald danach in Mähren. Vom damaligen Burgpalast (siehe Abb. S. 14), 1541 niedergebrannt und bei der Rückeroberung 1686 völlig zerstört, ist heute wenig zu sehen. Im Laufe des nächsten Jahrhunderts entstand unter König Karl III. (Kaiser Karl VI.) und seiner Tochter Maria Theresia ein relativ bescheidener Palast, denn der Adel blieb meist in der Nähe zum Wiener Kaiserhof oder zum Reichstag und zur Landesverwaltung in Pozsony (dt. Preßburg, slowakisch Bratislava). Erst die Reformzeit 1825–1848 brachte einen erheblichen wirtschaftlichen Aufschwung vor allem in Pest. Nach der Niederschlagung der Revolution 1848/49 fand 1867 ein Ausgleich mit Österreich statt, kurz danach die Vereinigung der Städte, um mit Budapest eine würdige Hauptstadt für das Königreich festzusetzen. Zwischen 1875 und 1904 wurde der Königspalast zum monumentalen heutigen Gebäudekomplex erweitert. Obwohl die Könige und Königinnen mehr in Wien als in Budapest residierten, fanden zahlreiche Konzerte im Palast statt (siehe Abb. S. 11). Hier wurde die Nationalbibliothek (1802 von Graf F. Széchényi gegründet, als Széchényi Nationalbibliothek bekannt) und die Nationalgalerie Ungarns untergebracht. (Das Nationalmuseum ist unten in Pest zu finden.) Nach der Verstaatlichung der Besitztümer von Adel und Kirche im Jahr 1950 kamen u. a. die besonders umfangreichen Musikbestände der Familie Eszterházy in die Nationalbibliothek, mit Werken von Joseph und Michael Haydn, Albrechtsberger, Süßmayr, Dittersdorf, Fux und anderen. Unter den neueren Beständen befinden sich Autographe von Ferenc Erkel, Franz Liszt, Karl Goldmark, Ernö von Dohnányi und Zoltán Kodály. Kirchenmusik Als Symbol für die Christianisierung Ungarns gilt die Krönung König Stefans an Weihnachten des Jahres 1000 mit einer von Papst Silvester II. übersandten Krone. (Stefan war übrigens mit Gisela von Bayern, Tochter Herzog Heinrichs des Zänkers und Bruder des künftigen Kaisers Heinrich II. verheiratet, wie ein Wandbild in der Alten Kapelle in Regensburg darstellt.) Anfänglich war jedoch Buda kein Bischofssitz. Bis in die Neuzeit gehörte die Stadt der Erzdiözese Esztergom (dt. Gran) an. Erst 1993 wurde die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erbaute Stephanskirche auf der Pester Seite der Stadt in den gleichen Rang wie Esztergom erhoben. Die wichtigste Kirche Budavárs ist die Liebfrauen-Kirche (oder Matthias-Kirche) auf dem Dreifaltigkeitsplatz, die wegen ihrer Nähe zum Hof bei Staatsangelegenheiten als Hofkirche diente. 1867 z. B. war sie Schauplatz eines staatspolitischen wie musikalischen Höhepunkts: der prunkvollen Krönung des Königspaares Franz Joseph und Elisabeth mit der heiligen Stefanskrone. Zu diesem Anlaß komponierte Franz Liszt seine Ungarische Krönungsmesse für Soli, Chor und Orchester. Oper und Konzerte Ende des 18. Jahrhunderts waren auf der Budaer Burg auch Opern zu hören. 1786 ließ Kaiser Joseph II. die ehemalige Karmeliterkirche in ein Theater und Casino umbauen. Neben den Singspielen von Wenzel Müller wurden Stücke von Dittersdorf, Grétry, Cimarosa, Haydn, Benda, Paisiello, Salieri, Sarti und Mozart in deutscher Sprache aufgeführt. (Die Pflege des deut- Titelseite des I. Lautenbuches von Valentin Bakfark (Lyons: Jacques Moderne, 1553) 14 schen Theaters hing mit der germanisierenden Politik Josephs zusammen.) 1793 brachte man das erste ungarische Singspiel, Pikkó Hertzeg és Jutka Perzsi von József Chudy auf die Bühne; es war die Vertonung eines aus dem deutschen übersetzten Librettos mit ‚orientalischem‘ Thema: Evakathel und Schnudi von Philipp Hafner. Ihm folgten weitere Singspiele von András Szerelemhegyi (1762–1826). Nach der Errichtung eines neuen Nationaltheaters in Pest (1837) wurden die Aufführungen von Opern weitgehend von Buda weg verlagert. Die Musik am Budaer Hof war selbstverständlich eng mit der in Wien verbunden. 1800 dirigierte Joseph Haydn dort seine Schöpfung und im selben Jahr konzertierte Beethoven im Burgtheater. Aus Platzgründen und wegen des wirtschaftlichen Aufschwungs in Pest lag die Zukunft der Oper und des Konzertlebens verständlicherweise auf der östlichen Seite der Donau. Aber auch im Zeitalter der bürgerlichen Musikpflege konnte sich die Budai Zeneakadémia (Budaer Musikakademie, 1867–1914) als Sing- und Orchesterverein mit dem Pesti Zenekedvelök (Musikliebhaberverein von Pest, 1867–1906) messen. Das Palais Erdödy Die schönen Gassen nordöstlich der Matthias-Kirche haben viel von ihrem historischen Charakter erhalten. Viele Häuser haben einen gotischen Kern und wurden ab dem 18. Jahrhundert mit barocken bzw. klassizistischen Fassaden versehen. Unter ihnen verdient der Palast der Familie Erdödy besondere Aufmerksamkeit, der als der schönste barocke Profanbau von Buda gilt. 1800 war Beethoven hier zu Gast. Eine enge Freundschaft verband ihn mit der Familie, die er in ihrem Wiener Wohnsitz kennengelernt hatte. Der Gräfin Maria Anna Erdödy (siehe Abb. oben) sind seine zwei Klaviertrios op. 70 (1808) und die zwei Sonaten für Violoncello und Klavier op. 102 (1815) gewidmet. Besonders glücklich war die Idee, dieses Gebäude als Sitz Blick auf Buda aus dem Jahre 1617 von Georgius Houfnaglius 15 des Instituts für Musikwissenschaft der Ungarischen Akademie der Wissenschaften umzuwidmen. Dort befindet sich heute das Bartók-Archiv, mit einer kleinen permanenten Ausstellung. So kann man die Musik Bartóks, aber auch andere Gebiete der Musikgeschichte Ungarns inklusive der Gregorianik und vor allem die Volksmusik an einem auch musikgeschichtsträchtigen Ort studieren. Ein Weltkulturerbe besonderer Bedeutung sind die Aufzeichnungen der Volksmusik, die von Bartók, Kodály u. a. gemacht wurden, unter ihnen die 13 500 Stücke, die Bartók am Vorabend seiner Emigration in die USA an Kodály übergab. Bis Ende der 1950er Jahre waren es um die 28.000 Stücke, die unter der Leitung Kodálys zur Erforschung zur Verfügung standen. Neue Generationen von Forschern haben die Zahl mittlerweile auf 150.000 erhöht. Budavár und Regensburg Musikalische Beziehungen zwischen Regensburg und Ungarn haben eine lange Geschichte. Die vom Emmeramer Mönch Arnold in den 1030er Jahren verfaßten Gesänge zum Festtag des hl. Emmeram wurden nicht in Regensburg sondern in Ungarn erstmals gesungen. (1996 wurden sie wieder in der Emmerams- Basilika von der Schola Hungarica zu Gehör gebracht.) Durch die Bemühungen Regensburger Konzertveranstalter sind ungarische Interpreten der Alten sowie auch der Neueren Musik schon gut bekannt. Zwischen den betreffenden Hochschulen und musikforschenden Institutionen bestehen gute Verbindungen. So dürfte es nicht schwierig sein, den musikalischen Austausch im Rahmen des Projekts „Kulturhauptstadt“ auszubauen, beispielsweise mit einer „Ungarischen Musikwoche“ in Regensburg und dem Gegenstück dazu in Budavár. Besonders interessant wäre einerseits die Hofmusik Budas im 15. Jahrhundert, andererseits – etwa in einem Export-Import-Verfahren – die geistliche Chormusik der Regensburger Tradition. Besonders gern würde man die Motetten Stoltzers gesungen von den Regensburger Domspatzen oder dem Budapester Tomkins Vocal Ensemble hören. Lohnenswert wäre die Rekonstruktion jenes denkwürdigen Konzertes 1871 in der Matthias-Kirche, in welchem Franz Liszt eine Messe von Hans Leo Hassler dirigierte. Bekanntlich war Liszt von der alten Kirchenmusik tief beeindruckt, die er u. a. in Regensburg kennengelernt hatte. Einen weiteren gemeinsamen Nenner zwischen den beiden Städten bilden die Singspiele um 1800 sowie die Instrumentalmusik am Hof der Thurn- und Taxis bzw. am ungarischen Königshof. Auf dem Gebiet der neuen Musik war zwar Budavár im Vergleich zu Pest kaum wegweisend, aber die Anwesenheit des Bartók- Archivs auf dem Burghügel und die Tatsache, daß auch das Gedenkhaus Bartóks in der Budaer Csalán Straße steht (dort finden Kammermusikkonzerte statt), dürfte Anlaß genug sein, Bartók-Initiativen zu lancieren (falls Anna Maria Gräfin Erdödy, Miniatur aus dem Besitz Ludwig van Beethovens 16 eine besondere Begründung dafür überhaupt notwendig wäre). Die Liste der möglichen Projekte ließe sich leicht fortsetzen. Sicher gibt es hier wie dort genug Phantasie, unsere beiden Städte durch musikalischen Austausch enger aneinander zu binden. Tipp: Konzertkalendar Budapest im Internet: www.koncertkalendarium.hu Obwohl auf Ungarisch, sind die Daten – Tag, Monat, Jahr – leicht zu erkennen. Beim Klick auf „Linkalánjó“ erreichen Sie Links zu den Homepages von zahlreichen Künstlern, Ensembles und Institutionen, die oft auch auf Englisch und Deutsch angeboten werden.