Raimund W. Sterl
Zum Tod von Gertraud Kaltenecker
In den ersten Stunden des 16. August 2004 verstarb im Landshuter Klinikum die weit über ihre engere Heimat hinaus bekannt gewordene Regensburger Komponistin und ehemalige Konzert- und Oratoriensängerin Gertraud Kaltenecker. Ein erfülltes Leben für die Musik und die schönen Künste ging zu Ende. Gertraud Kaltenecker kam am 20. Mai 1915 in Regensburg zur Welt. Sie wuchs in einem konservativen, gottesfürchtigen und der Musik gegenüber aufgeschlossenen Elternhaus heran, genoß Musikunterricht im Rahmen ihrer schulischen Ausbildung am Institut der Englischen Fräulein, und wandte sich dann zum „Broterwerb ohne seelische Belastung“ – so ihr eigener Ausspruch – der Tätigkeit als Verwaltungsangestellte beim Arbeitsamt Regensburg und später beim Versorgungsamt zu. Ihr Wunsch nach einem Musikstudium sollte sich erst nach dem Krieg erfüllen. 1935 bis 1940 unterwies sie Max Jobst in Kompositions- und Harmonielehre. Es folgte ein Hospitationsjahr an der Kirchenmusikschule Regensburg. Dann studierte sie 1946 bis 1948 an der Akademie der Tonkunst in München Komposition bei Joseph Haas und Gustav Geierhaas, Gesang bei Franz Theo Reuter, Klavier bei Maria Hindemith-Landes, Dirigieren bei Heinrich Knappe, Musikgeschichte bei Hans Mersmann und Karl Gustav Fellerer. In der Rückschau auf ihre große kompositorische Hinterlassenschaft ist es kaum zu verstehen, daß sie von 1949 an künstlerisch nur nebenberuflich aktiv geworden ist. Ihr Schaffen würdigte ihre Heimatstadt Regensburg mit der Verleihung des Kulturpreises (1990) und der Kulturbund im Bezirk Oberpfalz mit der Vergabe des Nordgaupreises (2002). Kalteneckers vielseitiges kompositorisches Werk umgreift Musik für Tasteninstrumente, vornehmlich für die Orgel, Liedvertonungen, insbesondere Klavierlieder, Gesänge für gemischten Chor (sowohl liturgischer als auch weltlicher Art) bis hin zur achtstimmigen Besetzung, instrumentale Kammer- und kleinere Orchestermusik. Ihre Tonschöpfungen orientierten sich fast immer an den alten Meistern, besaßen Klarheit und Format, waren weniger von homophoner als von vitaler kontrapunktischer Art. Sie bekannte sich zu einem herben, mit Quinten- und Quartgängen Haas’scher Prägung durchsetzten, tonal gebundenen und von Dodekaphonie oder Atonalität unberührten Stil. Der Avantgardismus unserer Zeit strahlte auf sie nicht ab. Freitonale sowie zwölftönige Elemente haben in ihre Kompositionen keinen Eingang gefunden. Musik dieser Art blieb ihr fremd. Ihr Kompositionsstil wurde durch lineare Führung der Einzelstimmen, durch gelegentlich harmonisch leicht verfremdete Akkordverdichtungen und fast stets durch meisterhafte Kontrapunktik geprägt. Dissonanzen, wie beispielsweise in einer Psalmmeditation aus dem Jahr 1981, ergaben sich aus der musikalischen Abfolge als logische Konsequenz. In den fünfziger und sechziger Jahren feierte Gertraud Kaltenecker auch als Sängerin Erfolge. Die Regensburger Erstaufführung von Paul Hindemiths Marienleben im April 1958 nannte die Musikkritik eine „eminente Leistung in jeder Hinsicht, physisch, stimmtechnisch, musikalisch, künstlerisch“. Bis kurz vor ihrem Tod nahm sie am Kulturleben ihrer Heimatstadt Anteil. Viele ihrer gleichaltrigen und jüngeren Musikerkollegen nahmen im Requiem und am Grabe Abschied von der stets bescheiden gebliebenen und liebenswerten Künstlerin. Den kompositorischen Nachlaß Gertraud Kalteneckers verwaltet jetzt die Bischöfliche Zentralbibliothek in Regensburg. Ein Großteil ihrer Kompositionen befindet sich im Manuskriptearchiv des Deutschen Tonkünstlerverbandes in München. Piano