Juan Martin Koch
Die Regensburger Tage Alter Musik 2005
„… mit sonderbahren in der Christlichen Kirchen nit gewohnlichen Ceremonien ….“ begingen die Regensburger Bürger am 4. Juli 1627 ein Fest, dessen Stattfinden angesichts der herrschenden politischen und konfessionellen Lage mehr als verwunderlich erscheint: die Grundsteinlegung für den Neubau der evangelisch-lutherischen Dreieinigkeitskirche. Die militärischen Erfolge Tillys und Wallensteins in den vorangegangenen Jahren hatten die Anhänger der protestantischen Konfession in ganz Bayern in starke Bedrängnis gebracht. Zwar genoss das reichsfreie Regensburg in dieser Hinsicht einen gewissen Sonderstatus, ein deutlicher Einfluss der Geschehnisse im Umland auf die Stadt ist jedoch nicht zu verleugnen. Die Position des Fürstbischofs Albert IV. von Törring (1613–1649) wurde gestärkt, er unternahm sogar Versuche, bei Kaiser Ferdinand II. die Rekatholisierung der Stadt durchzusetzen. Vier Kirchenräume standen den Protestanten zu dieser Zeit für ihre Gottesdienste zur Verfügung: zunächst die 1542 mit dem Übertritt der Reichsstadt zum neuen Glauben umgewidmete Neupfarrkirche, seit 1553 die Spitalkirche St. Oswald, die 1563 im Handstreich zur Simultankirche erklärte Dominikanerkirche sowie ab 1622 die Bruderhauskirche St. Ignatius am Emmeramsplatz. Zwar wurde 1568 das Simultanverhältnis mit den Dominikanern vertraglich geregelt, die Mönche strebten jedoch stets eine vollständige Rückgabe an. Am 1. Juli 1626 kam es schließlich auf Vermittlung des Reichshofrats in Wien zu einem Vergleich mit dem Rat der Stadt, wonach der Orden die Kirche innerhalb von drei Jahren gegen die Zahlung von Abb. 1: Grundsteinlegung der Dreieinigkeitskirche Regensburg 1627, Kupferstich von Matthäus Merian 5 6000 fl ablösen konnte. Die evangelische Gemeinde Regensburgs, welche u. a. durch die zahlreichen in die Stadt strömenden Exulanten aus der Oberpfalz und Österreich stark angewachsen war, sah sich nun – inmitten der Wirren des Dreißigjährigen Krieges – gezwungen, innerhalb kürzester Zeit eine neue Kirche zu errichten, um der herrschenden Raumnot abzuhelfen. Der Beschluss des Rates zum Bau erfolgte am 18. Februar 1627. Als Ort wählte man ein stadteigenes Grundstück gegenüber des Gymnasium Poeticum, auf dem ein erst 1613 errichtetes Gebäude abgebrochen wurde. Am Mittwoch, den 4. Juli 1627 schließlich erfolgte die Grundsteinlegung für den Kirchenbau, welcher der heiligen Dreifaltigkeit geweiht werden sollte. Die Wahl des Ulrichstages – also des Patroziniums der Dompfarrkirche – dürfte eine nicht ganz unpolitische Entscheidung seitens des Stadtrates gewesen sein, wollte man doch dem katholischen Hochstift und den Klöstern mit einem eigenen steingewordenen Glaubenszeugnis begegnen. Über den Verlauf der mehrstündigen Feier berichten mehrere Augenzeugen, deren Aufzeichnungen sich in den Beständen des Evangelischen Pfarrarchivs erhalten haben. Auch die musikalische Gestaltung wird darin mehrmals erwähnt, weshalb ihr nachfolgend eine genauere Betrachtung zukommen soll. Ausgangspunkt ist die bekannteste und zugleich anschaulichste Quelle, die „Aigendtliche Abbildung der zu Regenspurg gehaltenen Solennien“, ein Kupferstich Matthäus Merians (Abb. 1). Detailliert sind darauf die Teilnehmer der Feier abgebildet, die sich innerhalb des noch nicht vollständig geräumten Bauplatzes versammelt haben. An prominenter Stelle zwischen den beiden Grundsteinen sowie rechts und links des Bauplatzes sind „Die drey Chor der Musicanten“ zu sehen, jeweils bestehend aus mehreren Sängern, einem Regal und zwei oder drei weiteren Instrumenten. Die Anordnung der Chöre auf der Abbildung entsprach offenbar den Verhältnissen vor Ort, bemerkt doch der Küster Simon Staudacher, dass neben dem Tisch mit dem Kirchenmodell „… auch noch 3 ander Tisch mit 3 Regalen gestehen Vnd darbey die Musica gehalten worden …“ und der „Kriegsschreiber“ Hans Palloer berichtet: „Nordseits gegen und Vor ermelten Teatrum sindt 3 Chor mit Töppich und maÿen geziert zur Music …“ Da außer den Regalen kein weiteres Instrument in den schriftlichen Aufzeichnungen Erwähnung findet, lässt sich die Besetzung der „drey Chor“ ledig-lich aus dem Stich Merians erschließen. Geht man davon aus, so bestand jede der drei Gruppen aus etwa sechzehn Sängern – zum größten Teil Zöglinge der „Poeten Schul“ – und einem Regal. Dazu treten beim ersten Chor links (Abb. 2) eine Laute und ein Zink, beim zweiten in der Mitte (Abb. 3) eine Laute und eine Zugposaune oder -trompete sowie beim dritten Chor rechts (Abb. 4) eine Fiedel, ein Clarin und eine Viola da Gamba oder Violone. Die gemischte Besetzung von Streich-, Zupf- und Blasinstrumenten innerhalb der Chöre spricht dafür, dass diese lediglich zur Unterstützung der Sänger dienten und nicht auf unterschiedliche Klangwirkung hin ausgerichtet waren. Offensichtlich wurde kein Spaltklang gewünscht – wie bei mehrchöriger Musik zu vermuten –, sondern vielmehr ein Mischklang. Für den musikalischen Abb. 2 und 3: Ausschnitte aus dem Kupferstich 6 Zusammenhalt der drei Chöre untereinander sorgten vermutlich die Regalspieler, welche den Blickkontakt mit dem Kantor hielten, der beim rechten Chor stehend mit einer Papierrolle in der Hand dirigierte. Kantor war zu dieser Zeit Paul Homberger (1560–1634), dessen Leben und Werk bereits Thema eines Beitrags zur Reihe „Regensburger Musikgeschichte in Straßennamen“ in Mälzels Magazin (1/2004) war. Bei der Abbildung Hombergers handelt es sich um die einzige bekannte Darstellung des Kantors. Ein Kurtzer Summarischer Bericht des Superintendenten Sebastian Hemminger berichtet vom Ablauf der gesamten Zeremonie und erwähnt dabei auch die Stellen, an denen Musik und Gesang erklangen. Über die aufgeführten Stücke schweigen sich die Quellen aus, sodass dazu nur Vermutungen angestellt werden können. Die Feier beginnt „… umb halbzehn uhr/ nach dem man angefangen zu musiciren ….“ mit dem Einzug der geistlichen und weltlichen Würdenträger vom Hof des dem Bauplatz gegenüberliegenden Gymnasium poeticum. „Unter wehrend eingang hat mann auf den 3 Chörn zugleich gar Lieblich zuhörn Musicirt.“, schreibt Palloer, und Hemminger fährt fort, dass „Bald nach disem/ [Einzug] und als die Musica mit dreyen Choris (g.g.g.) außgewest/ …“ der Stadtsyndicus Jacob Wolff mit einem umfangreichen Vortrag begann, dem eine Lesung sowie die Predigt des Superintendenten folgten. Welche „Musica mit dreyen Choris“ am Beginn der Grundsteinlegung stand, kann nicht genauer gesagt werden. Unter Umständen weist ein Druck mit Werken Michael Praetorius’ in die richtige Richtung: Die Polyhymnia Caduceatrix & Panegyrica. Darinnen Solennische Friedt- und Freuden-Concert (Wolfenbüttel 1619), heute in der Musikabteilung der Bischöflichen Zentralbibliothek Regensburg (Signatur A. R. 27) zu finden, waren ursprünglich in städtischem bzw. protestantischem Besitz, wie das auf dem Einband jedes Stimmbuches angebrachte Wappen der Stadt erkennen lässt. Aufgrund zahlreicher handschriftlicher Eintragungen unschwer als Gebrauchsexemplar zu erkennen, enthält die Sammlung 40 Gesänge in den unterschiedlichsten Besetzungen von 1–21 Stimmen in bis zu sechs Chören. Unter Umständen war eine Komposition hieraus zu hören. Der Predigt des Superintendenten folgte ein gemeinsames Gebet, daran anschließend ist „… das Te Deum laudamus, Herr Gott dich loben wir etc. in teutscher Sprach/ figuraliter gesungen worden.“ – Karl Schwämmlein stellte die Vermutung an, dass eventuell ein dreichöriges Te Deum aus der Urano-Chorodia (Wolfenbüttel 1613) des Praetorius zur Aufführung kam. Hinweise auf die Existenz des entsprechenden Notenmaterials in Regensburg finden sich jedoch bisher nicht, wenngleich die Überlegung nahe liegend ist. Palloers Bericht spricht lediglich davon, dass „Nochmals auf den 3 Chörn widerumb zugleich Lieblich Musicirt“ wurde. Die Durchsicht der erhaltenen Notenbestände aus den protestantischen Kirchen eröffnet jedoch noch eine andere, wahrscheinlichere Möglichkeit. Es befindet sich darunter ein Te Deum und eine Litanei des Straßburger Kantors Christoph Thomas Walliser (1568–1648), die den Bedürfnissen bei der Grundsteinlegung genau entsprechen: „… Uffs new/ mit V. und VI. Stimmen gesetzt. Vnd Beneben der Gemein/ auff drey vnterschidliche Choros, beydes conjunctum vnd dann auch separatim, … zu Musicirn angestellt …“ Das Te Deum sieht die Gruppen „Pueri figurales“, „Pueri Chorales“, „Organum“ (= fünfstimmiger Gesamtchor) sowie „Populus“ vor, was nach der Anordnung der drei Chöre auf Merians Stich genau die Wirkung erzielen musste, die Walliser im Vorwort anspricht, wenn er fordert, die „Musica allhiero / sonderlich auff vnterschidliche Choros ein vnd abzutheilen ...“ Im Laufe des Stückes wechseln sich die beiden Gruppen der Pueri sowohl untereinander als auch mit dem Gesamtchor bzw. der Gemeinde ab, sodass man einer-seits „mehrchörig“ musiziert, andererseits aber auch die Abb. 4: Ausschnitt aus dem Kupferstich Merians 7 Teilnehmer der Feier mit eingebunden werden. Die Mitwirkung der Gemeinde und ihre Anteilnahme zeigt sich auch in der Schilderung Hemmingers, wonach an das Te Deum noch ein allgemeines Lied angeschlossen wurde: „Zu noch mehrerer bewegung Christlichen eyffers vnd andachts/ hat man das tröstliche Gesang/ Nun frewt euch liebe Christen gemein/ etc. choraliter angefangen zusingen/ vnd vernommen/ daß vil Christen/ die wegen enge deß Platzes/ disen Actum nicht sehen können/ von jhren Häusern herab/ als sie den schall deß Christlichen Gesangs gehört/ auß hertzlicher andacht mit gesungen / ...“ Nach diesem Gesang begann die eigentliche Grundsteinlegung mit der Versenkung von Münzen und Weinflaschen in die beiden bereitstehenden Grund- und zugleich Ecksteine. Als die Öffnungen der Steine mit einem „Marmelsteinen Deckel“ verschlossen worden waren, sang man „… mit voriger andacht den 103. Psal. Nun lob mein Seel den HErrn etc. …“, wiederum also ein allgemeines Lied. Seit Beginn der Feier waren zweieinhalb Stunden vergangen, als um Punkt zwölf Uhr mittags die Grundsteine zugleich an ihrem endgültigen Platz gesetzt wurden. „Sobald es zwölff geschlagen/ vnd man die Stein auff den Grundt sincken lassen/ hat die gantze Gemein angefangen/ die Litaney teutsch zusingen/ darin dann sonderlich begriffen gewesen/ daß Gott disen Baw benediciren wolle/ …“ Wie oben bereits erwähnt, könnte es sich bei der „Litaney“ um die Komposition Wallisers handeln, zumal ein im Vorfeld der Feier abgegebener Entwurf für ihren Ablauf die „Litaneÿ figuraliter gesungen“ vorschlägt. Zwei Chöre alternieren im Vortrag der Anrufungen bzw. Antworten, wobei der erste Chor wiederum in „Pueri figurales“ und „Pueri Chorales“ unterteilt ist, die sich von Vers zu Vers ebenfalls abwechseln. Nach dem Bericht Hemmingers endete die Feier mit einem gemeinsamen Gebet. Eine Komposition Paul Hombergers, die in engem Zusammenhang mit der Grundsteinlegung der Dreieinigkeitskirche steht, ist die GRATULATIO HARMONICA OCTO VOC (Abb. 5). Ob das Werk tatsächlich am 4. Juli 1627 aufgeführt wurde, ist fraglich; es könnte auch erst nachträglich komponiert und dem Rat der Stadt gewidmet worden sein. Die Formulierung „coram maxima hominum frequentia factum“ klingt eher nach einer abgeschlossenen als nach einer bevorstehenden Handlung. Allerdings ist es auch möglich, dass bei der Grundsteinlegung aus einem Manuskript gesungen wurde, das erst später in Druck gegeben wurde. Auch der Text der achtstimmigen Motette bringt in dieser Hinsicht keine Aufklärung: „Hoc tibi sancta Trias, devoto corde dicamus templum, verbi in eo vox sonet usque tui, surge opus ex humili sancti ad spiramine fiatus, nec hoc tardent, orbis et orcus opus“ (Dir, heilige Dreieinigkeit, weihen wir mit demütigem Herzen dieses Gotteshaus, …). Es handelt sich hierbei um eine der zahlreichen Gelegenheitskompositionen, die Homberger im Laufe seines Lebens verfasste. Zwei vierstimmige Chöre treten einander in einem weitgehend homophonen Satz gegenüber, der mehrmals, vor allem zum Schluss hin zur vollen Achtstimmigkeit geführt wird. Aufgrund des relativ geringen Umfanges des Werkes (insgesamt acht Seiten) sind die Stimmen Cantus, Altus, Tenor und Bassus jeweils untereinander auf eine Seite gedruckt, links der „Primus Chorus“, rechts der „Secundus Chorus“. Diese Satzweise ermöglichte es, Abb. 5: Titelblatt der Gratulatio harmonica Paul 8 dass jedes Exemplar von jedem Sänger benutzt werden konnte – eine Vorstufe zur heutigen Partitur. Auf der letzten Seite des Druckes sind schließlich noch zwei kurze Kanons „in Vnisono“ zu finden, bei denen es sich jedoch um spätere Zufügungen handeln dürfte, da damit der leere Platz aufgefüllt wurde („Ne hæc pagellula vacaret …“, Abb. 6). Zusammenfassend ist zu bemerken, dass es sich bei der Grundsteinlegung zur Dreieinigkeitskirche um eine relativ schlichte Zeremonie handelte, in bewusster Abgrenzung zum weitaus aufwändigeren Ritus der katholischen Kirche. Nichtsdestoweniger wurde offenbar auf die musikalische Gestaltung größter Wert gelegt, da sonst kaum der Aufwand getrieben worden wäre, drei mit Teppichen und Bäumchen verzierte Bereiche einzurichten, um den Sängern und Instrumentalisten einen adäquaten Platz zu verschaffen. Offenbar verstand es Paul Homberger – trotz mancher Auseinandersetzungen, die sich an seiner Person entzündeten – als Kantor musikalische Belange gegenüber der kirchlichen Obrigkeit wirkungsvoll zu vertreten. Die Darbietungen des Chores bildeten nach den Schilderungen der Augen- und Ohrenzeugen nicht nur einen würdevollen Rahmen, sondern waren integraler Bestandteil einer Feier, die ihre Teilnehmer zutiefst bewegte. Quellen: Kirchenbucharchiv Regensburg, Evangelisches Kirchenarchiv Regensburg Nr. 251, 252 Sebastian Hemminger, Kurtzer Summarischer Bericht Was auß befelch Eines Edlen Ehnv: Raths der Statt Regenspurg / bey legung der ersten Stein zu dem vorhabenden Gebäw einer newen Kirchen zu den Evangelischen Predigten / für Cæremonien vnd Solennien den 4. Julij An. 1627. fürgangen, Regensburg 1627 Paul Homberger, Gratulatio Harmonica Octo Voc., Regensburg 1627 Michael Praetorius, Polyhymnia Caduceatrix & Panegyrica, Wolfenbüttel 1619 Christoph Thomas Walliser, Das Uhralte Kirchen Gesang Te Deum Laudamus sampt derselben Litania Teutsch, Straßburg 1617 Literatur: Petra Lorey-Nimsch, Die Grundsteinlegung zu Dreieinigkeitskirche 1627, in: Feste in Regensburg, hg. von Karl Möseneder,Regensburg 1986, S. 162–167 Karl Schwämmlein, Paulus Homerbergus Ratisbonensis, in: Regensburger Almanach 1994 (Bd. 27), hg. von Ernst Emmerig und Konrad M. Färber, Regensburg 1995, S. 208–216 Wir danken dem Landeskirchlichen Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern für die Erlaubnis zum Abdruck der Abbildungen. Abb. 6: Die beiden Kanons der Gratulatio harmonica