Juan Martin Koch
Nachschub für Singer-Pur-Fans: drei neue CDs des Vokalsextetts
Singer Pur featuring The Hilliard Ensemble: Rihm – Sciarrino – Moody – Metcalf Oehms Classics OC 354 Wer am Karfreitag dieses Jahres den Auftritt von Singer Pur mit der Regensburger Kantorei erlebt hat, wird sich an die beiden Passionsmotetten Wolfgang Rihms erinnern, welche die Widmungsträger mit der ihnen eigenen Eindringlichkeit des vokalen Ausdrucks bei gleichzeitiger perfekter Stimmkontrolle ausgestalteten. Den kompletten Zyklus der vier Motetten haben Singer Pur nun auch auf CD vorgelegt, deren Höhepunkt diese gleichzeitig bilden. Rihms Auseinandersetzung mit den radikalen Chromatisierungen der Spätrenaissance sind somit in einer maßstabsetzenden Interpretation zu erleben. Was das Ensemble in der Schärfung der Intervallkonstellationen, ihrem Auseinanderfalten bis in die extreme Oktavspreizung am Ende des Ecce vidimus eum leistet, wie es Rihms Zurücknahme der Bach’schen Rezitativdramatik im Velum templi scissum est umsetzt und im abschließenden Tenebrae factae sunt vom rückhaltlosen Ausbruch in die Grenzbereiche des Vokalen in ein Verklingen mündet, das schon nicht mehr von menschlichen Stimmen herzurühren scheint, das ist A-Capella-Kunst auf der Höhe eines faszinierenden Repertoires. Auch die übrigen Werke dieser CD knüpfen an traditionelle Modelle geistlicher Vokalmusik an, ohne freilich Reflexionsniveau und Dichte der Rihm-Motetten zu erreichen. Salvatore Sciarrino lässt aus der gregorianischen Melodie des 53. Psalms immer wieder eine Stimme mit expressiven Schwellern sich herauslösen und ein Eigenleben entwickeln. Eine stetig wachsende Individualität fordert diese ein, um am Ende die übrigen Stimmen mit sich zu reißen. Fest in der Dur-Moll-Tonalität ist Ivan Moodys Lamentation of the Virgin auf einen Text aus den Car-mina Burana verwurzelt. Moody weitet sie bisweilen expressiv aus, vertraut ihr aber ansonsten als einem Platzhalter traditioneller Wortausdeutung, die auch vor pathetischer Affirmation nicht zurückschreckt, wenn etwa das Wehklagen des Beginns sich abschließend über das refrainartig wiederholte Trisagion („Heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger Unsterblicher…“) legt. Dantes Vision der Jungfrau Maria aus dem „Paradiso“ nimmt Joanne Metcalf zum Ausgangspunkt eines für Singer Pur und das als Gast an der CD mit-wirkende Hilliard Ensemble geschriebenen Werks. Textvertonung in unterschiedlicher Stimmkonstellation und melismatische Umschreibungen des Namens Mariae steigern sich bis zu einem abschließenden Zusammenführen beider Ensembles. Juan Martin Koch Von Grenzbereichen zurück ins Kerngeschäft Nachschub für Singer-Pur-Fans: drei neue CDs des Vokalsextetts Singer Pur & Go Guitars: Electric Seraphim (Werke von Perotinus, Dufay, Pipelare, Gesualdo, Cage, Pärt, Hirsch, Zeller, Weidner). Maulbronn Monastery Edition, K&K Verlagsanstalt KuK 98 In experimentellere Regionen führte ein ebenfalls auf CD erschienenes Konzertprojekt, das Singer Pur mit der E-Gitarren-Formation „Go Guitars“ im Kloster Maulbronn zusammenbrachte. Die leicht 15 schnarrende Tongebung der Männerstimmen im eröffnenden Perotin-Organum „Sederunt principes“ weist schon auf das sich anschließende Arrangement durch Fredrik Zeller voraus. Dessen PeroPop Sederunt erweist sich allerdings über weite Strecken als bloß dekorative Provokation der Alte-Musik-Szene, die in eine Art Esoterik-Rock mündet. Auch Michael Hirschs Anlaufen Aufschwingen Abstürzen kann der originellen Besetzung von fünf E-Gitarren und sechs Stimmen wenig Bemerkenswertes entlocken, und die Gegenüberstellung einer vokalen und einer instrumentalen Version von Gesualdos Languisce al fin bringt nicht mehr als die Erkenntnis, dass dessen Chromatik ein (schmerz)verzerrtes Gesicht nicht sonderlich gut steht. Bernhard Weidners Rilkefragment Schwebende Lerchen dagegen überzeugt als eigenständige Klangstudie zwischen Verschmelzung und Auseinanderdriften dieser beiden Klanginseln. Rein vokal franst John Cages Five in diesem im Booklet leider kaum kommentierten Livemitschnitt genüsslich vom Volksliedhaften ins Happening aus, Arvo Pärts Credo-Vertonung „Summa“ verströmt bewährte Spiritualität, wunderbar gestaltet nehmen Motetten Pipelares und Dufays vom Kirchenraum Besitz. Ein etwas disparates, gleichwohl anregendes Dokument der Neugier und Offenheit des Vokalsextetts. Singer Pur: Herztöne – Love Songs Oehms Classics OC 516 Gewissermaßen auf ihr Kerngeschäft ziehen sich die Sechs auf der zweiten, bei Oehms erschienenen CD zurück. Unter dem Motto „Herztöne“ widmen sie sich einem ebenso unspektakulären wie liebens-würdigen Programm von Liebesliedern, das in der Hauptsache dem 19. und 20. Jahrhundert entstammt. Der makellose, klanglich wunderbar abschattierte Ensemblegesang spannt dies alles unter einen gemeinsamen Bogen, nie kommt bei dieser von Volksliedbearbeitungen über Schumann, Brahms und Mendelssohn bis zu Jazzklassikern und Billy Joel sich erstreckenden Auswahl der Eindruck eines Potpourris auf. Die Kehrseite dieser bewundernswerten Homogenität, eine gewisse Einebnung der stilistischen Vielfalt, ist vielleicht am ehesten bei den Jazznummern zu beklagen, was freilich schon in den behutsam romantisierenden Arrangements von Hans Huber und anderen angelegt ist, die – durchaus nahe liegend – nicht versuchen aus Singer Pur eine Art A-Capella-Klon von Manhattan Transfer zu machen. So halten sich, bis auf ein von Manuel Warwitz schön gesungenes Flügelhorn-Solo in Chick Coreas Crystal Silence die Überraschungsmomente in Grenzen, wofür aber die innige Intensität mehr als entschädigt, mit der die Vokalisten gerade den Volksliedton etwa der Königskinder oder – ein Höhepunkt der Aufnahme – die stille Verzweiflung in Schumanns Sommerlied treffen.