Jens Luckwaldt
Zu Enjott Schneiders neuer Kammeroper
Am 20. Januar 1999 steht dem Regensburger Publikum mit der Uraufführung einer zeitgenössischen Oper im Theater am Haidplatz ein außergewöhnliches Ereignis bevor. Albert – Warum?, so lautet etwas sperrig der Titel des Werkes, das vom Theater Regensburg in Auftrag gegeben und von Enjott Schneider in Musik gesetzt wurde. Es ist nicht das erste Musiktheaterstück des in München ansässigen Komponisten, doch stellt es schon seiner Entstehung nach eine Besonderheit dar. Denn dem Werk liegt ein 1978 entstandener Film gleichen Titels zugrunde. Kommt es nicht eben selten vor, daß Opern oder Theaterstücke auf die Kinoleinwand wandern, so ist der umgekehrte Fall, die Adaption eines Films für die Bühne, eher die Ausnahme. Und liegt doch nahe für einen Komponisten, der sich intensiv mit Musik zu bewegten Bildern beschäftigt hat.
Enjott (früher Norbert Jürgen) Schneider, geboren 1950, begann seine musikalische Laufbahn als Organist und erhielt bereits im Alter von 29 Jahren eine Professur für Musiktheorie in München. Aus seiner Feder stammen zahlreiche Buchveröffentlichungen pädagogischer und analytisch-theoretischer Natur. Als Komponist zunächst in „klassischen“ Domänen wie Liederzyklen, Kammermusik oder Symphonischem zuhause, begann er schon bald, Werke für Film und Fernsehen zu schreiben. Mit der Partitur zu Joseph Vilsmaiers Herbstmilch wurde 1988 sein Name einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, und er kann heute als der deutsche Filmkomponist gelten. Seine Erfahrung gibt er mittlerweile auch an junge Studenten weiter: seine Kompositionsklasse für Film und Fernsehen an der Musikhochschule München steht in der Verbindung von klassisch fundiertem Kompositionsunterricht mit einer betont berufspraktischen Ausrichtung in Deutschland einzigartig da.
Wie für viele seiner Kollegen, so mag auch für Schneider Filmmusik deshalb eine besondere Attraktivität besitzen, weil man hier einerseits mit moderner Musik ein ungewöhnlich breites Publikum erreicht und sich andererseits – je nach dramaturgischer Erfordernis – einer großen Bandbreite von Emotionen und stilistischen Mitteln bedienen kann.
Schneiders Arbeiten sind zeitgemäß und doch verständlich, so auch seine neue Oper. Albert – Warum? erzählt die Geschichte eines „Dorfdeppen“, der, aus der Nervenheilanstalt entlassen, in seinem Heimatort ein Ausgestoßener bleibt und schließlich ein tragisches Ende nimmt. Josef Rödl, der seinerzeit schon für den Film verantwortlich zeichnete und nun auch in der Regensburger Bühnenfassung Regie führt, hat ein neues Textbuch verfaßt und dabei, in enger Zusammenarbeit mit dem Komponisten, den vom Film gänzlich verschiedenen Anforderungen der Bühne Rechnung getragen. Die Gliederung in Szenen (Handlung) und Zwischenspiele (musikalischer „Kommentar“) scheint von den Kammeropern Benjamin Brittens, namentlich von The Turn Of The Screw, ebenso beeinflußt wie die Besetzung: das Orchester umfaßt in der bei der Uraufführung erklingenden Fassung neben Solo-Flöte oder -Violine auch ungewohntere Instrumente wie Akkordeon; die zehn Musiker sind mit dankbar virtuosen Stellen bedacht. Unter den sechs Darstellern ist die Hauptfigur dadurch hervorgehoben, daß sie nicht von einem Sänger, sondern von einem Schauspieler verkörpert wird, der zudem mehr lallt als spricht; zusätzlich ist Albert der Gesang eines Tenors und eines Knabensoprans zugeordnet, der auf eher lyrische Weise und abgetrennt von seiner szenischen Präsenz seine „innere Stimme“ verkörpert. Alberts Isolation findet so auch musikdramatisch ihre sinnfällige und eindringliche Entsprechung.
Solche und andere Mittel, etwa ein bewußter Wechsel der Spielweisen, Klänge und Stile, dienen dazu, dem Publikum das Gezeigte unmittelbar zugänglich zu machen und es zum Mitfühlen anzuregen – in diesem Sinne eine Oper im ganz klassischen Sinne. Hoher ethischer Anspruch bei vergleichsweise schlichten Mitteln, eine Geschichte „vom Dorf“ in archetypischer Überhöhung, schließlich der filmische Einfluß, der sich neben Buch, Musik und szenischer Umsetzung auch in der Ausstattung niederschlagen soll: man darf gespannt sein, ob diese Mischung „zündet“.