Magnus Gaul
Dom-Musik im Blickfeld (Teil I)
Seit wenigen Jahren stehen zwei Zentren des kirchenmusikalischen Interesses in Regensburg, die Stelle des Domkapellmeisters und die des Domorganisten, unter neuer Federführung. Die Reihe Dom-Musik im Blickfeld widmet sich im Rahmen zweier Fortsetzungbeiträge dieser Situation, um die beiden Musiker-Persönlichkeiten, die das facettenreiche Bild Regensburgs als Kirchenmusikstadt weit über die Stadtgrenzen nach außen vertreten, in ihrer musikalischen Arbeit etwas näher kennenzulernen.
Generationswechsel sind in der langen Geschichte traditionsreicher Chöre keine Besonderheit. Sänger kommen, Sänger gehen, Dirigenten kommen, Dirigenten gehen, und nicht immer geschieht die Ablösung homogen. Auch der Regensburger Domchor, weltweit bekannt unter dem Namen „Regensburger Domspatzen“, ist von solchen Wechseln nicht ausgenommen: Kirchenmusiker-Persönlichkeiten vom Rang eines Franz Xaver Engelhardt, Theobald Schrems, Georg Ratzinger, die das Amt des Domkapellmeisters seit dem Jahre 1892 innehatten, verdienen gebührende Anerkennung auf Grund ihrer Verdienste um die Tradition einer Musica sacra Regensburger Prägung und seien hier stellvertretend genannt. Daher ist es durchaus bemerkenswert, daß mit Roland Büchner zum ersten Mal in der über tausendjährigen Geschichte ein Nicht-Geistlicher die Belange des Chores vertritt, ein Chorleiter, der in Regensburg selbst seine Studien aufnahm und daher mit der kirchenmusikalischen Tradition der Stadt bestens vertraut ist.
Nachdem Büchner an der hiesigen Fachakademie für katholische Kirchenmusik und Musikerziehung seine Ausbildung begonnen hatte, führten ihn seine Studien weiter an die Hochschule für Musik nach München. Prägende Lehrer-Persönlichkeiten, von denen entscheidende Impulse für seinen weiteren Weg ausgingen, waren in diesen frühen Jahren nach seinen eigenen Worten Karl Norbert Schmid, Oskar Sigmund (Regensburg) und Godehard Joppich, Franz Lehrndorfer und Gerhard Weinberger (München). Während seines A-Kirchenmusik-Studiums bekleidete Büchner bereits die Stelle des Stiftskapellmeisters in Altötting (Obb.), wo er wichtige Erfahrungen in der Direktion des Kapellchores, darüber hinaus in der Aufbauarbeit eines Kinder-, eines Jugendchores sowie eines eigenen Orchesters sammeln konnte. Zum Kern seines Aufgabenbereiches gehörten die sonntäglichen Orchestermessen, die an die Salzburger Kirchenmusik-Tradition angelehnt waren. Büchner zog es jedoch bald wieder zurück an den Ausgangspunkt seiner musikalischen Ausbildung, die Kirchenmusikschule in Regensburg. Zunächst mit Lehraufträgen für Orgel (1984) und Chorleitung (1985) betraut, denen im Jahre 1987 der Umzug der Familie nach Regensburg folgte, faßte er schnell Fuß und konnte schließlich als hauptamtlicher Dozent für Chorleitung und Orgel seine Vorstellungen musikalisch umsetzen.
Mit den Regensburger Domspatzen ist dem Chorleiter seit September 1994 ein „Instrument“ an die Hand gegeben, mit dem er seine in den Jahren der Ausbildung gereiften Klangvorstellungen noch zielgerichteter zu verwirklichen sucht. Als seine vornehmste Aufgabe betrachtet er dabei den liturgischen Dienst des Chores im Dom. Dabei strebt er eine Verschmelzung von Kirchen-Raum und A-cappella-Klang an, die nach seiner Auffassung gar in der Lage sei, mystische Züge anzunehmen. In der Literaturauswahl legt Büchner einen Schwerpunkt auf die klassische Vokalpolyphonie (z. B. Palestrina und Lasso), vernachlässigt jedoch nicht die spätere A-cappella-Literatur. Insbesondere in den Kompositionen der Moderne sieht er eine Herausforderung (Norbert J. Schneider u. a.), wie die Werke aus dem Bereich der Aleatorik belegen, die bereits in verschiedenen Konzerten zur Aufführung gelangten. In jüngster Zeit konnte Büchner durch die Kooperation mit verschiedenen Orchestern Aufsehen erregen: Im Gedächtnis geblieben sind die Aufführung der Bachschen Johannes-Passion gemeinsam mit der Akademie für Alte Musik, Berlin, und der Großen Messe in C-Dur von Ludwig van Beethoven, die in Zusammenarbeit mit dem Philharmonischen Orchester der Stadt Regensburg anläßlich des 1. Sinfoniekonzertes der Spielzeit 1998/99 erklang.
Wer Roland Büchner als Chorleiter erlebt, wird erkennen, daß er in seinem nuancenreichen Dirigat die von ihm intendierte musikalische Gestaltung zum Ausdruck bringt. Mit einem ausgesprochenes Gespür für musikalische Differenziertheit versteht er es, situationsangemessen Abstufungen im Chorklang vorzunehmen und darüber hinaus gesangstechnische Hilfen für den korrekten Stimmsitz einzubinden. In der Probenarbeit wird Büchners stimmbildnerischer Ansatz deutlich, die Sprache „nach vorn“ zu bringen, ohne den Konsonantenansatz zu vernachlässigen. Die Verständlichkeit des jeweils erarbeiteten Textes soll damit weiter gefördert werden. Diese Maßnahme, die er neben der stimmtechnischen Beherrschung der Werke als Notwendigkeit ansieht, stellt er in den Dienst eines kraftvollen Chorklanges, der sich auch zusammen mit einem Orchester als tragfähig herausstellt. In seinem Umgang mit dem Knabenchor setzt Büchner auf einen demokratischen Führungsstil. Übertriebene Strenge liegt ihm ebenso fern wie ein Musizieren mit Angst. Vielmehr plädiert er für ein „Tun mit Freude“, das in primärer Motivation aus der Musik selbst und dem Auftrag, der erfüllt wird, erwächst. Dabei wird eine Tendenz spürbar, Umstellungen behutsam vorzunehmen und erst nach und nach die eigenen Vorstellungen einzubringen.
Der Problematik des ständigen Sängerwechsels, der dem Aufbau eines Repertoires Büchners Ansicht nach im Grunde entgegensteht, wird mit gezielten Maßnahmen bereits seit Jahren begegnet, sei es in der fruchtbaren Aufbauarbeit der musikalischen Früherziehung, der Vorchöre und der Vorschule, die einen geeigneten Sängernachwuchs heranbilden. Mit Blick auf die immer früher eintretende Mutationszeit der Knaben steht er dennoch der Einbeziehung von Mädchenstimmen in den Knabenchor, wie sie beispielsweise in zahlreichen italienischen Chören praktiziert wird („voci bianche“), ablehnend gegenüber und bekennt sich damit auch in diesem Punkt zur Regensburger Tradition. Seinen Standpunkt begründet er primär aus der Perspektive des Chorleiters: Er verfolgt die Erhaltung des spezifischen Zusammenklanges der Knabenstimmen, einer Klangvorstellung, die in den vergangenen 80 Jahren herangewachsen sei und den er nicht aufgeben möchte.
Der regen Konzerttätigkeit, besonders des 1. Chores, wird Büchner auch in Zukunft einen hohen Stellenwert einräumen, da sie den Domspatzen für ihre verschiedenen Aktivitäten die notwendige Finanzierung sichert. Das gleiche Ziel verfolgen im übrigen seine bis dato eingespielten CD-Aufnahmen, die das Bestreben erkennen lassen, dem Publikumsgeschmack entgegenzukommen und ein Repertoire abzudecken, das sich gut verkauft: Maria Himmelskönigin (1996), Deutsche Volkslieder (1997), Weihnachtslieder (1998). Inhaltlich setzt sich Büchner in den Konzerten eine weitere Erschließung neuer Musik und die projektbezogene Erarbeitung barocker Oratorienliteratur zum Ziel, für die er den Ansatz der historischen Aufführungspraxis favorisiert. Die traditionellen Konzertreisen sollen weiterhin dazu beitragen, sich den Herausforderungen auch auf internationalem Terrain zu stellen und die bestehenden Kontakte lebendig zu erhalten. Die gute Kooperation von Schule, Internat/Tagesschule und Chor sieht er dabei als wichtige Voraussetzung für alle genannten Aktivitäten an.
Roland Büchner, so scheint es, wird den Regensburger Domchor mit Elan in das kommende Jahrtausend führen. Dem neuen Domkapellmeister ist neben der aktiven Verbundenheit mit der Tradition und damit mit der Besinnung auf die Stärken des Chores vor allem auch der Mut zu wünschen, innerhalb der Möglichkeiten neue, eigene Wege zu gehen, die den Chor auszeichnen und eine unverwechselbare Prägung verleihen können. Dies betrifft nicht nur den Chorklang, sondern vor allem die repräsentierte Literaturauswahl. Zugegeben, die Tendenz findet sich in einer „Weihnacht mit den Kastelruther Spatzen“ (CD-Produktion 1998) ob ihres populären Einschlages weniger verwirklicht, sie ist dem Chor unter ihrem neuen Leiter jedoch durchaus zuzutrauen. Im Gespräch jedenfalls läßt Büchner seine Offenheit für Anregungen aller Art erkennen und darüber hinaus eine Zielstrebigkeit, den Namen des Chores in unvermindertem Wohlklang zu repräsentieren, Intentionen, die uns mit Interesse die weitere Entwicklung beobachten lassen.