Mälzels Magazin

Zeitschrift für Musikkultur in Regensburg

Schriftzug Mälzels Magazin
Hefte1999Nr. 1
mälzels magazin, Heft 1/1999, S. 16–17
URL: http://www.maelzels-magazin.de/1999/1_08_bolz.html

Claus Lochbihler / Juan Martin Koch

An Errand Girl for Rhythm

Annette Bolz über Vibratoschleudern, alte Ehepaare und die „Heiligkeit“ des Jazz

Gerade mal ein Jahr in der Region, ist die Jazz-Sängerin Annette Bolz schon fester Bestandteil der Regensburger Szene. Anläßlich der im Januar anstehenden Präsentation ihrer Duo-CD mit Gitarrist Helmut Kagerer hat sie im „Blindfold-Test“ mit Claus Lochbihler und Juan Martin Koch ein paar Platten durchgehört und sich über ihr bekannte und unbekannte Kollegen und Kolleginnen unterhalten.

Fleurine: Meant to be

A.B.: Sie hat was von Anita O’Day

M.M.: Sie ist aus Holland, wo Du ja studiert hast: Fleurine.

A.B.: Von der Sprache her, hätte ich mir das auch gedacht. Bei einem solchen Stück fällt es nicht so auf, aber als Sängerin ist sie eigentlich furchtbar. Sie hat einen so kleinen Tonumfang: In der Tiefe kommt nichts, und oben kommt auch nichts. Aber was sie wahnsinnig gut kann, ist Texte schreiben. Sie gehört ja auch zu den zwei oder drei Leuten, die zur Musik von Thelonious Monk Texte schreiben dürfen. Flotte, swingende Nummern und Mittellage liegen ihr – also genau das, was wir gerade gehört haben.

Helmut Nieberle / Helmut Kagerer: Take the Wes’ Trane

A.B. (schmunzelnd): Zwei Gitarristen! Hat das vielleicht ganz zufällig mit Regensburg zu tun? Die Helmuts! Die sind cool, die sind wirklich schön zusammen. Die benehmen sich auch schon wie ein altes Ehepaar. Das ist eigentlich das Ideal des Duospiels, weil es einfach stimmt: Die mögen sich und spielen sehr geschmackvoll.

M.M.: Wie sah das mit den Arrangements bei Deinen Aufnahmen mit Helmut Kagerer aus?

A.B.: Für die meisten Stücke hatte ich schon Ideen. Nicht wirkliche „Hammerarrangements“, mir ging’s mehr darum, die Stücke zu singen, die ich mag – mit Gitarre.

M.M.: Was gefällt Dir an der Kombination Gitarre – Gesang?

A.B.: Im Unterschied zum Klavier läßt die Gitarre mehr Raum, d. h. mehr Raum nach unten in der Dynamik: Man kann also leiser singen. Bei Nummer wie Twisted oder Four ist es dann so, daß man besser swingt. Ich singe dann auch vom Text her deutlicher, was mir wichtig ist. Auch Gretje Kauffeld – meine Lehrerin – hat oft nur das eine zu mir gesagt: Sing leiser.

Lou Rawls: Blues is a woman

A.B.: Das swingt, ist mir aber zu bluesig: Aber der hat was in der Stimme, wer ist denn das? (...) Lou Rawls? Noch nie gehört! Eine sehr männliche Stimme, aber diese ewige Blues-Fraktion ist einfach nicht meins. (Lachend) Da bin ich einfach zu fröhlich.

Diana Krall: I’m an errand girl for rhythm

A.B.: Ich kenn das, ist das Diana Krall? Die hat auch was in der Stimme.

M.M.: Aber sie hat doch auch eine eher dünne Stimme, wie Fleurine.

A.B.: Nein, dann könntest Du ja auch Shirley Horn in den Mülleimer werfen! Erstens mal braucht man zum Jazz-Singen keine voluminöse Stimme. Nur da, wo man singt, braucht man was. Im Jazz kann man eben jedes Stück in „seiner“ Tonart singen. Der gemeine Jazzstandard hat eine Range von einer Oktave und einer Quart. Billie Holiday hat z. B. meistens nur in der Range einer Oktave gesungen. Und eine richtig schöne Stimme hat sie ja auch nicht gehabt, aber sie war eben doch die erste Jazz-Sängerin, weil sie in jeden Song eingetaucht ist.

M.M.: Wen hörst Du gern von den aktuell angesagten Sängerinnen?

A.B.: Diane Reeves, weil sie unheimlich vielseitig ist, eine sehr schöne Stimme hat und genau weiß, was sie macht. Sie hat mir mal bei einem Workshop gesagt, bevor sie zu einem Lied nicht tanzen kann, geht sie nicht auf die Bühne. Auch für mich gibt es eigentlich kein größeres Kompliment, als wenn die Leute anfangen zu tanzen, aber beim Jazz traut sich oft niemand, weil er „heilig“ ist.

Helen Humes: Someday my prince will come

A.B.: Irgendwer aus der Musical-Ecke. Judy Garland? Es gefällt mir nicht wirklich, auf solche Vibratoschleudern steh’ ich nicht. Das ist dann so der Punkt, wo es zum Musical geht.

M.M.: Wie war das, als Du Musical gesungen hast?

A.B.: Ich hab’ beim Starlight-Express ja nur im Chor gesungen. Wer da mehr als zehnmal mitgemacht hat, der bekam die Krise. Für Musiker ist dieses Geschäft seelische Folter. Andrew Lloyd-Webber macht’s genial: Ein Klischee, noch ein Klischee und noch eins; viel Mediantik, Formenverkürzung und fünf Motive, die er durchzieht, aber mit Musik hat es nicht viel zu tun.

Björk: Like someone in love

A.B.: Was will man da sagen: Das ist einfach Björk. Ganz speziell und total stimmig, auch wenn ich es mir nicht lange anhören kann. Die Idee, das mit Harfe zu machen, ist typisch für sie, sie macht grundsätzlich alles anders. Das ist auch ein Stilmittel, allerdings eines, das irgendwann nervt. Ich würde sie gerne mal live hören.

Chet Baker: Just friends

A.B.: Wenn man einen Sänger fragt, wie man improvisieren lernt, fällt sofort der Name Chet Baker. Auch spielend ist er dem Gesang immer am ähnlichsten. Sehr intensiv, aber keiner von den „Abdrückern“. Es gab eine Zeit, da hab’ ich seine Soli rausgeschrieben.

Carmen McRae: The Christmas Song

A.B.: Weihnachten? Diane Reeves? (...) Carmen McRae! Ja, ja, die kann einfach alles singen: Combo, Duette, aber auch richtige Big-Band.

Edith Piaf: Cri du cœur

A.B.: Ich vergleiche sie immer mit Billie Holiday, weil beide keinen so wahnsinnigen Stimmumfang und tendenziell eher häßliche Stimmen hatten. Die eine war heroinsüchtig, die andere morphiumabhängig. Letztens hat ein Rezensent etwas ganz falsch verstanden: „Annette Bolz als Piaf“. Das ist genau das, was ich nicht machen wollte. Ich sehe nicht aus wie Piaf, und ich singe nicht wie Piaf. Ich habe mir ein paar Sachen von ihr gemerkt, z. B. wie sie das Wort „l’amour“ ausspricht. Aber ich singe um Gottes willen nicht wie Piaf.

M.M.: Apropos Je ne regrette rien: Bereust Du irgendetwas an Deinem bisherigen Werdegang?

A.B. (lachend): Nein, ich bin ja froh um alles, was ich bisher gemacht habe. Die klassische Ausbildung war, glaube ich, ganz in Ordnung: Schulmusik – also Klavier, Gesang, Posaune, Dirigieren etc. Das war insgesamt die beste Grundlage überhaupt.

Diskographische Angaben mit Aufnahmejahr der genannten Stücke:
Fleurine: „Meant to be!“ (bluemusic 1001) 1995
Helmut Nieberle / Helmut Kagerer: „Wes’ Trane“ (Edition Collage 452-2) 1992
Lou Rawls with Les McCann Ltd.: „Stormy Monday“ (Capitol Records/Blue Note CDP 7 91441 2) 1962
Diane Krall: „All for you – A dedication to the Nat King Cole Trio“ (Impulse 11642) 1995
Helen Humes: „Swingin’ with Humes“ (Contemporary/OJCCD-608-2) 1961
Björk: „Debut“ (Island 521 323-2) 1993
Chet Baker: „Let’s get lost“ (Giants of Jazz 53100) 1955
Edith Piaf: „Les plus grands succès“ (Columbia C 73 340) 1960
Carmen McRae: „Sings Loverman and other Billie Holiday Classics“ (Columbia/Legacy CK 65115) 1961 Text

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