Michael Wackerbauer
Der Hofkammermaschinist Johann Nepomuk Mälzel
Es könnte durchaus sein, daß sich Anfang August 2022 im Anzeigenteil der Mittelbayerischen Zeitung unter Verschiedenes folgender Aufruf findet:
Für den Festakt anläßlich des 250. Geburtstages von Johann Nepomuk Mälzel am 25.
August im Velodrom werden noch weitere Instrumente gesucht!
Als musikalischer Höhepunkt der geplanten Feierstunde wird neben Beethoven/Mälzels Wellingtons Sieg oder die
Schlacht bei Vittoria
György Ligetis Poème symphonique –
Musikalisches Zeremoniell für 100
Metronome
aufgeführt. Pyramidenförmige Taktmesser werden gemäß dem Willen des Komponisten bevorzugt aufgestellt.
Zusagen unter Chiffre Ta-ta-ta.
Rätselhafte Zeilen! Nach dem ersten Kopfschütteln drängt sich natürlich eine Reihe von Fragen auf, wie: Wer ist Mälzel? Geht’s da wirklich um Musik? Was hat das alles miteinander und mit Regensburg zu tun?
Jeder kennt natürlich Beethoven, und so mancher hat schon das zweifelhafte Vergnügen mit dem tickenden Kästchen gemacht, nach dem hier in größerer Stückzahl gefahndet wird. Aber wie steht es um die seltsame symphonische Dichtung, die Ligeti mit einhundert der kleinen, aber unbestechlichen Maschinchen instrumentiert hat? In der verbalen Partitur – einer Partitur, die gänzlich ohne Noten auskommt – gibt Ligeti auf komisch-umständliche Weise mehrere Empfehlungen, wie man sich die geforderte Zahl Metronome beschaffen kann (siehe beispielsweise obige Anzeige), und Anweisungen zur Durchführung des Musikalischen Zeremoniells durch zehn Spieler, die die Instrumente auf ein Zeichen des Dirigenten hin aufziehen müssen und anschließend mit unterschiedlicher Pendelgeschwindigkeit ablaufen lassen (Knessl, S. 104ff.). In einem Brief von 1966 schreibt Ligeti: „Ich denke, das wesentliche kompositorische Moment im Stück besteht daraus, daß die Ausführenden das Podium – und damit das Publikum – verlassen, Maschinen und Publikum bleiben miteinander allein konfrontiert“ (Nordwall, S. 7). Ligeti stellt mit der „totalen Mechanisierung der Aufführung“ eine Situation her, der sich bereits seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine zunehmende Zahl Hör- und Schaulustiger in Konzertsälen und auf Jahrmärkten aussetzen konnte: Es beginnt die Zeit der rasanten Entwicklung großer mechanischer Musikmaschinen.
Eine der Brutstätten für Erfindung und Bau von musikproduzierenden Automaten befand sich damals mitten in Regensburg – in der Witwangerwacht, Anwesen F 113 (= Unter den Schwibbögen 7), wo ein gewisser Melzl in seiner hochgotischen Behausung seine Orgelbauwerkstatt eingerichtet hatte. In diese von Technik und Musik geprägte Atmosphäre wurde um den 15. August 1772 ein Kind hineingeboren, das nach dem Vater Johann Nepomuk getauft wurde. Es sollte den selbst in Regensburg so gut wie unbekannten Familiennamen in Form eines weltweit verbreiteten und millionenfach gedruckten Kürzels unvergessen machen: M.M. = Metronom Mälzel, die allgemein gebräuchliche Skalierung auf den bekannten Taktmessern, deren Erfindung sich Mälzel Zeit seines Lebens rühmte.
Wie Johann Nepomuk Mälzel jun. seine ersten beiden Lebensjahrzehnte in Regensburg am nördlichen Rand des Dombezirkes verbrachte, kann man nur aus seinen späteren Professionen erschließen. Naheliegenderweise arbeitete er wohl in der väterlichen Werkstatt mit und ergänzte seine handwerkliche Ausbildung auf der künstlerischen Seite, indem er Klavier spielen lernte.
Als Klavierlehrer und Mechaniker trat Mälzel ab 1792 in Wien, der nächstgelegenen europäischen Metropole, in Erscheinung. Von der Übersiedlung – übrigens im selben Jahr, in dem sich Beethoven endgültig in Wien niederließ – versprach er sich offenbar die besten Voraussetzungen, einen eigenständigen Betrieb in größerem Stil aufzubauen. Das sollte ihm im Jahre 1800 auch endlich gelingen, als er erstmals mit einer Hinweistafel vor seiner Werkstätte nahe der Karlskirche auf seine Tätigkeit als musikalischer Kunstmaschinist aufmerksam machen durfte. Im März des Jahres erschien in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung (im folgenden: AMZ) auch gleich ein umfangreicher Bericht über ein von ihm gefertigtes „Instrument“, welches „ein ziemlich vollständiges Orchester in sich vereinigt, und der Aufmerksamkeit des musikalischen Publikums gewiß nicht unwürdig ist.“ Es scheint Mälzels erster Versuch gewesen zu sein, eine Musikmaschine größerer Dimension zu bauen, mit der vor allem Blasinstrumentenklang (Metallzungenstimmen) und Schlagwerk zu Gehör gebracht werden sollten. In dem Bericht heißt es weiter: „Ich hörte mehrere Haydnsche Kompositionen [und] eine Ouvertüre von Mozart mit der größten Präcision abspielen, und wer das Instrument nicht vor Augen hat, wird standhaft behaupten, daß eine Gesellschaft von sechs bis acht Musikern an dem Konzert Antheil nehme. Es giebt schon ähnliche Orchesterinstrumente, aber keines, welches so vollstimmig wäre.“ Hier werden bereits zwei der bekanntesten Komponisten der Zeit genannt, die Originalkompositionen für mechanische Musikinstrumente schrieben und deren Musik unterschiedlichster Genrezugehörigkeit in mannigfachen Bearbeitungen mechanisch exekutiert wurde. Daß hierfür ein nicht geringer Markt bestand, zeigt alleine schon die große Zahl an Werkstätten für derlei Automaten: Um 1800 befanden sich allein im Raum Wien rund fünfzehn Instrumentenbauer, die sich auf die Fertigung von Flötenuhren, mechanischen Musikpuppen oder Orchestrions spezialisiert hatten, über deren neuesten Entwicklungsstand regelmäßig in den einschlägigen Musikzeitungen informiert wurde. Hier findet man auch den Namen des seit 1803 zum Hofkammermaschinisten ernannten Mälzel immer wieder.
Besondere Aufmerksamkeit finden dort sein hölzerner Trompeter, der auf einer Konzerttournee im Wechsel mit einer Sängerin auftrat, und vor allem sein 1805 fertiggestelltes Panharmonicon. Dabei handelt es sich um eine monströse Weiterentwicklung des oben beschriebenen Orchesterinstruments, die insgesamt 259 Einzelinstrumente in sich vereint. Dazu gehören u. a. 38 Klarinetten, 37 Flöten, 36 Oboen, 16 Fagotte, 8 Trompeten und 3 Waldhörner sowie umfangreiches Schlagwerk mit großer Trommel, zwei Pauken, Becken und vieles mehr. Wie beeindruckend und überzeugend diese phantastischen Konstruktionen auf die Zeitgenossen gewirkt haben müssen, belegt exemplarisch folgende Aussage, mit der E. T. A. Hoffmannsche Phantasiewelten (Der Sandmann, 1816) gestreift werden: „Die Erfindung [des Panharmonicons] greift übrigens sichtlich ein in die Weise der jetzigen Welt: man braucht keine Menschen, nur gute Maschinen wofür dann jene anders verbraucht werden können“ (AMZ, Nr. 36, 1810).
Publikumswirksame Attraktionen müssen natürlich an den Mann gebracht werden – und das nicht nur in Wien. Geschäftstüchtig wie er war, schaffte Mälzel sein automatisiertes Orchester im Frühjahr 1807 nach Paris, wo es in den Sommermonaten auf Grund der hohen Nachfrage zweimal täglich in einem Concert d’harmonie vorgeführt wurde. Als ‚Software‘ für seine Maschine hatte Mälzel mehrere Walzen mit Bearbeitungen von Werken Mozarts, Mehuls, Cherubinis und Haydns (Militärsinfonie) im Gepäck. Ende des Jahres ging das Panharmonicon für angeblich 60.000 Francs in das Eigentum des französischen Hofes über. Durch mehrere Hände gelangte das Instrument schließlich in die Bestände des Württembergischen Landesgewerbemuseums (heute Landesmuseum) in Stuttgart, wo es 1905 aufgebaut und ausgestellt wurde. Heute erinnern nur mehr ein paar unscharfe Photographien und zwölf erhaltene Walzen an ein technisches Meisterwerk, das wohl einst dem großen französischen Feldherren den Marsch geblasen hat und selbst der Barbarei des 2. Weltkrieges zum Opfer gefallen ist.
Mälzel muß 1808 bereits an einem zweiten Panharmonicon gebaut haben, mit dem er sich im folgenden Jahr erneut auf Tournee befand. Es ist wohl das Instrument, das 1813 in Wien zur Schau gestellt wurde und Auslöser für eine enge musikalische Zusammenarbeit zwischen Mälzel und Beethoven werden sollte. Mälzel, für den gute Kontakte zu den Musikproduzierenden in Wien, wie natürlich auch in anderen europäischen Städten, lebenswichtig waren, hat sicherlich schon früh Bekanntschaft mit Beethoven gemacht. Seinen Namen findet man jedenfalls auf der Subskriptionsliste zu Beethoven Klaviertrios op. 1, die 1795 in Druck gegangen sind. Praktisch profitierte Beethoven von Mälzels Erfindungsgabe seit 1812, als die Schwerhörigkeit des Komponisten bereits so weit fortgeschritten war, daß man sich mit ihm nur noch schreiend oder mit Hilfe der berühmten Konversationshefte unterhalten konnte. Mälzel konstruierte in den folgenden Jahren mehrere Hörinstrumente, die es Beethoven entgegen landläufiger Meinung bis kurz vor seinem Tod ermöglichten, wenigstens zeitweise Gesprochenes und Musik schwach wahrzunehmen. Vier der Hörrohre, die nach zeitgenössischen Berichten auch in Kombination mit anderen schallverstärkenden Vorrichtungen von Beethoven benutzt wurden, werden heute im Museum Beethoven-Haus in Bonn ausgestellt.
„Herr Maelzel hatte mir Gehörmaschinen versprochen. Um ihn aufzumuntern, setzte ich ihm die Siegessymphonie auf seine Panharmonika“, schreibt Beethoven in einem Brief im Juli 1814. Die Rede ist hier natürlich vom zweiten Teil der grossen vollstimmigen Instrumental- Komposition: Wellingtons Sieg in der Schlacht bei Vittoria op. 91. Als im Juni 1813 die Nachricht von der schweren Niederlage, die Napoleon im Baskenland gegen die Briten erlitten hatte, Wien erreichte, nutzte Mälzel sogleich die euphorische Stimmung im Lande. Etwa im August – also zu dem Zeitpunkt, als Österreich an der Seite Rußlands und Preußens in die antinapoleonische Koalition eintrat – dürfte Mälzel Beethoven mit der Komposition einer speziell für sein Panharmonicon eingerichteten Siegessymphonie beauftragt haben, mit der der britische Triumph gebührend gefeiert und natürlich gutes Geld verdient werden sollte. Beethoven hatte bislang für Mälzels Automaten noch nichts geschrieben, hatte aber mit seinen Stücken für Flötenuhr WoO 33 (1799) einschlägige Erfahrungen gemacht. Zudem konnte er auf einige Vorarbeiten Mälzels zurückgreifen. Ignaz Moscheles berichtet hierzu: „Ich war Zeuge von dem Ursprunge und dem Fortschreiten dieses Werkes und erinnere mich, daß Mälzel nicht allein mit Entschiedenheit Beethoven überredete, dasselbe zu schreiben, sondern ihm sogar den ganzen Plan desselben vorlegte; er selbst schrieb alle Trommelmärsche und Trompeten-Signale der französischen und englischen Armeen, gab dem Komponisten mancherlei Winke, wie er die englische Armee beim Erklingen des Rule Britannia ankündigen, wie er das Malbrook mit ungeheurer Kraft einführen, die Schrecken der Schlacht schildern und das ‚God save the King‘ mit Effecten versehen sollte, welche die Hurrahs einer großen Menge darstellten. Sogar der unglückliche Einfall, die Melodie des God save the King zum Thema einer Fuge in schneller Bewegung zu machen, stammt von Mälzel“ (Thayer, S. 386). Beethoven schaltete auf eigene Initiative der Siegessymphonie noch eine Schlachtszene vor. Die Automatenpartitur für das Panharmonicon ist zwar in einer revidierten Abschrift von Beethovens Hand überliefert, wurde von Mälzel aber nie auf eine Spielwalze übertragen. Möglicherweise hatte Mälzel erkannt, daß das zweisätzige Werk die Möglichkeiten seiner Musikmaschine überstieg. Jedenfalls veranlaßte er Beethoven, eine Version für großes Orchester zu erstellen.
Konnte Mälzel schon nicht mit seinem Panharmonicon glänzen, so betätigte er sich wenigstens als geschickter Konzertveranstalter, der all seine Kontakte in Wien zu nutzen wußte. Bei der Uraufführung des Werkes unter Beethovens Leitung am 12. Dezember 1813 im großen Saal des neuen Universitäts-Gebäudes wirkte alles mit, was Rang und Namen in der Wiener Musikwelt hatte: In dem zweigeteilten und gewissermaßen als feindliche Armeen doppelchörig gegeneinander aufgestellten Orchester – Trompeten und Schlagwerk wurden sinnvollerweise zweifach besetzt – finden sich Namen wie Schuppanzigh, Spohr, Dragonetti, Hummel, Moscheles und Romberg. Salieri war für Trommeln und Kanonaden zuständig. Neben der Schlachtensymphonie, die den lärmenden Abschluß der ungeheuer erfolgreichen und vier Tage später wiederholten Veranstaltung bildete, kam auch Beethovens 7. Symphonie op. 92 zu ihrer ersten Aufführung. Da es bei Mälzel nicht ganz ohne Automat gehen konnte, durfte außerdem sein mechanischer Feldtrompeter „zwey Märsche für die Trompete von Dussek und Pleyel mit Begleitung des ganzen Orchesters“ vortragen. Die publizistischen Reaktionen auf die Schlachtensymphonie waren sehr unterschiedlich und kreisten bei eingehenderer Diskussion meist um die Frage: „Kann Musik allein eine Schlacht anschaulich machen? und, wo nicht: soll man sie, und ihre herrlichen Mittel dazu verwenden?“ (AMZ vom 8.5.1816).
Als Mälzel mit dem Erfolgsstück auf Tournee ging, kam es mit Beethoven zu einem langwierigen und unschönen Streit um das Urheber- und Vermarktungsrecht an dem Werk, das Mälzel für sich beanspruchte. Wie sich noch zeigen wird, blieb dies nicht der einzige Versuch Mälzels, fremdes geistiges Eigentum ungeniert zum eigenen finanziellen Vorteil zu nutzen. Tiefe Narben scheint die Auseinandersetzung nicht hinterlassen zu haben, denn am 14.2.1818 konnte man in der AMZ folgende von Beethoven und Salieri unterzeichnete Erklärung lesen: „Mälzels Metronom ist da! – Die Nützlichkeit dieser seiner Erfindung wird sich immer mehr bewähren; auch haben alle Autoren Deutschlands, Englands, Frankreichs ihn angenommen.“ Was war inzwischen geschehen? Mälzel war ab 1814 viel in Europa unterwegs: bei öffentlichen Vorstellungen setzte er eine Reihe spektakulärer Maschinen, etwa sein Panharmonicon und einen Schachautomaten, gewinnbringend in Szene. Im Sommer 1814 nutzte Mälzel einen längeren Aufenthalt in Amsterdam, um einen Kollegen, den Instrumentenbauer D. N. Winkel (1777–1826) aufzusuchen. Winkel, der sich wie Mälzel auf den Bau mechanischer Musikinstrumente spezialisiert hatte, barg in seiner Werkstatt den Prototyp eines Gerätes, für das sich Mälzel besonders interessierte: einen Apparat zur musikalischen Zeitmessung, genannt Chronometer. Mälzel selbst hatte sich bereits seit einiger Zeit mit der Entwicklung einer ähnlichen Maschine beschäftigt und in der AMZ vom 1. Dezember 1813 die Entdeckung eines neuen Chronometers verkündet. Es sollte – so jedenfalls die Ankündigungen im Juni 1814 ebda. – zu niedrigem Preis auf den Markt kommen. Was Mälzel da anpries, war eine etwas unhandliche und zerbrechliche Apparatur, die mit einem langen schwingenden Pendel arbeitete und sich nicht wesentlich von den zahlreichen Konstruktionen unterschied, die zum selben Zwecke und mit wenig praktischem Erfolg seit dem späten 17. Jahrhundert entworfen worden waren. Was Winkel etwa zeitgleich mit Mälzel entwickelt hatte, brachte dagegen tatsächlich einen wesentlichen Fortschritt. Er verlängerte das Pendel mit dem schwingenden Hauptgewicht jenseits seines Befestigungspunktes und versah diesen „nach oben“ ragenden Teil mit einem verschiebbaren Gegengewicht. Damit entstand eben der Mechanismus, den wir von den heute handelsüblichen Metronomen kennen. Winkel stellte seine Erfindung beim holländischen Institut der Wissenschaften vor und bekam präzise Funktion und Widerstandsfähigkeit des Gerätes bescheinigt. Zudem war die Konstruktion kompakt und lief bei allen Tempoeinstellungen praktisch störungsfrei.
Mälzel machte sich sofort die Idee zu eigen, verpackte Winkels Mechanik in das mittlerweile klassische pyramidenförmige Gehäuse und ergänzte den Teil des Pendels mit dem verschiebbaren Gewicht um eine eigens entwickelte Skalierung. Ohne Zeit zu verlieren, ließ er sich das Gerät sogleich auf den nächsten Etappen seiner Tournee in Paris und London unter dem Namen Metronom patentieren und serienmäßig herstellen. Die Erfolgsstory des Metronoms begann damit, daß Mälzel europaweit 200 Exemplare an Musiker und andere Multiplikatoren der Branche verschenkte. Das weitgehend positive Echo in der Fachpresse war ungeheuer: Eine Reihe der bedeutendsten Komponisten setzte sich öffentlich für den Gebrauch des Metronoms ein (s. o.) und gab ihre Tempovorstellungen in „M.M.“ an. Der Taktmesser war auf diese Weise fest mit dem Namen Mälzel verbunden. Winkel, der eigentliche Erfinder, ging dabei komplett leer aus. Als er von Mälzels großen Geschäften erfuhr, versuchte er durch Gegendarstellungen in der AMZ – dem Hauptforum für Mälzels Werbefeldzug – zu seinem Recht zu kommen, doch Erfolg hatte er damit nicht. In dem jahrelangen Streit um die Autorschaft an dem Gerät wurde zwar Winkel zunehmend Gehör geschenkt, und bei einer Gegenüberstellung der beiden Kontrahenten im Jahre 1820 in Amsterdam gestand Mälzel den Vorwurf des Plagiats mit Einschränkungen ein, doch bremsen konnte dies den dreisten und unbeirrbaren Geschäftsmann nicht. Mälzel vermarktete die Metronome weiterhin ausschließlich zum eigenen finanziellen Vorteil.
Mälzel hatte im Lauf der Zeit mit einer Vielzahl von selbstentwickelten und aufgekauften Apparaten eine Menge Geld verdient. Die spektakulärsten Auftritte hatte er wohl mit dem Schachautomaten des Wolfgang von Kempelen (1734–1804). Mälzel erwarb die 1769 konstruierte Denkmaschine bereits in seinen ersten Wiener Jahren (1794) von den Erben des Erfinders. Als prominentester Gegner spielte Napoleon 1809 im Schloß Schönbrunn gegen den Schachautomaten, der sich als exotisch bekleideter hölzerner Türke mit langer Tabakspfeife an einem kommodenartigen Spieltisch präsentierte. Die Figur führte mit der linken Hand ihre Spielzüge aus und wurde von Mälzel ab 1819 mit einer Sprechmaschine ausgestattet, die das Wort „échec“ (Schach) hervorbringen konnte. In einer Vielzahl zeitgenössischer Publikationen wurde der Versuch unternommen, hinter das Geheimnis des Schachtürken zu kommen. Im April 1836 lieferte E. A. Poe in The Southern Literary Messanger seinen Beitrag zu dem Thema: Maelzel’s Chess Player. Mälzel hatte zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahre als Schausteller in Amerika verlebt. Seine erste Station in den USA war natürlich New York, wo er im Dezember 1824 ankam. Nach kurzen Anlaufschwierigkeiten wurden die Veranstaltungen mit dem Schachtürken eine Sensation. Begleitet von seinem Assistenten William Schlumberger, den er bezeichnenderweise in einem Pariser Schach-Café kennengelernt hatte, gastierte Mälzel u. a. in Boston, Philadelphia, Baltimore, Richmond, Washington, New Orleans und auch in Havanna. Bald gingen Gerüchte um, daß Schlumberger, den man immer nur vor und nach der Vorführung in Erscheinung treten sah, irgendwie in der Maschine stecken mußte. Doch auch E. A. Poe, der den Schachtürken 1835 in Richmond beobachtet hatte, konnte sich in seinem minutiösen Bericht nur in Spekulationen über das Innenleben des Schachtürken ergehen. 1865 ist die Maschine mit ihren Geheimnissen in Philadelphia einem Feuer zum Opfer gefallen.
Nach Regensburg ist Mälzel wohl nicht noch einmal zurückgekehrt. Er starb weit ab von Europa auf einem Segelschiff, der Brigg Otis, auf einer Passage von Havanna kommend vor der amerikanischen Ostküste. Mit Gewichten beschwert wurde Mälzels Leiche am 21. Juli 1838 vor Charleston dem Atlantik übergeben. So bliebe weder Grab noch eine andere Stätte der Erinnerung an den rastlosen Musiker, Erfinder, und Geschäftsmann, wäre da nicht sein Geburtshaus Unter den Schwibbögen 7, in dem er bis zu seinem 20. Lebensjahr gelebt hat. An der Fassade findet man zwar bis heute keine der üblichen Gedenktafeln, doch wird im Inneren des Hauses Mälzels Name häufig im Munde geführt. In einem langen kreuzgratgewölbten Raum im Erdgeschoß hat sich vor etwa zwei Jahren der kleine Musikverlag Edition Molinari eingerichtet. Wo einst die Orgeln der Familie Mälzel gefertigt wurden, entstehen heute sorgfältig edierte Notenausgaben von Werken vor allem für Holzblasinstrumente und natürlich Mälzels Magazin. So mag der Passant in manch lauer Sommernacht aus einem der Fenster einen mehrstimmigen Gesang auf die Gasse tönen hören – den Anton Schindler zugeschriebenen Kanon: „Ta-ta-ta-ta, lieber, lieber Mälzel, leben Sie wohl, sehr wohl – Banner der Zeit – großer Metronom. Ta-ta-ta-ta ...“
George Th. Ealy: Of Ear Trumpets and a Resonance Plate: Early Hearing Aids and Beethoven’s Hearing
Perception, in: 19th Century Music XVII/3 (Spring 1994), S. 262–273
Lothar Knessl: Humor am Rande der Notenlinien, Salzburg o. J.
Henrike Leonhardt: Der Taktmesser. Johann Nepomuk Mälzel – Ein lückenhafter Lebenslauf, Hamburg 1990
Ove Nordwall: György Ligeti. Eine Monographie, Mainz 1971
Hans W. Schmitz: Johann Nepomuk Mälzel und das Panharmonicon, in: Das mechanische Musikinstrument, 6. Jhrg.,
Nr. 19 (März 1981), S. 25–33
Raimund W. Sterl: Johann Nepomuk Mälzel und seine Erfindungen, in: Musik in Bayern, Heft 22 (1981), S.
139–150
Alexander W. Thayer: Ludwig van Beethovens Leben, Bd. 3, Berlin 31923
Philippe J. van Tiggelen: Über die Priorität der Erfindung des Metronoms, in: H. Schneider (Hrsg.): Aspekte
der Zeit in der Musik, Hildesheim 1997, S. 98–126