Mälzels Magazin

Zeitschrift für Musikkultur in Regensburg

Schriftzug Mälzels Magazin
Hefte1999Nr. 2
mälzels magazin, Heft 2/1999, S. 10–13
URL: http://www.maelzels-magazin.de/1999/2_04_rumstadt.html

Juan Martin Koch

„Eine Zeit des Aufbruchs“

Ein Gespräch mit GMD Guido Johannes Rumstadt

M.M.: Herr Rumstadt, seit September letzten Jahres sind Sie nun Generalmusikdirektor am Theater Regensburg, wie fällt Ihre erste Zwischenbilanz aus?

Rumstadt: Sehr gut, ich freue mich schon auf die Zeit, wenn ich mehr da sein werde. Ich will in der nächsten Spielzeit etwa zwei Drittel meiner Zeit hier verbringen, das schreckt mich nicht, und ich werde wahrscheinlich sechs statt der bisherigen vier Produktionen leiten. Man muß natürlich aufpassen, daß es nicht zu einer Art Monokultur wird, das habe ich in Frankfurt erlebt.

M.M.: Was bedeutet für Sie der Wechsel einerseits von einem großen Haus, wie es Frankfurt darstellt, zu einem kleineren und andererseits der Wechsel in die höhere Position?

Rumstadt: Was mich an der Aufgabe gereizt hat, ist zum einen das Zwischenmenschliche, der Umgang mit den Mitarbeitern, sie zu motivieren und die große Frage, wieviel Demokratie möglich ist in so einem Apparat. Das hat ja auch einen dirigiertechnischen Aspekt: An einem bestimmten Punkt muß jemand sagen, wie es gemacht werden soll, aber natürlich kommen immer wieder Angebote von den Musikern, und das alles einzubinden, das ist es, was ich zunehmend spannend finde. Dazu kommt die ganze organisatorische Arbeit, die ich mir nicht so umfangreich vorgestellt habe. Diese Verantwortung zu übernehmen, das halte ich für höchst interessant, und ich glaube, das kam für mich zum richtigen Zeitpunkt.

M.M.: Bevor wir zur weiteren Arbeit am Theater kommen, kurz zu Ihrem Werdegang: Wer oder was hat Sie musikalisch besonders geprägt?

Rumstadt: Es gibt für mich keinen Idoldirigenten, ich habe immer einen ‚Meister‘ gesucht, wenn man so sagen kann, aber ich glaube, den gibt es nicht für das Dirigieren. Ich habe ihn jedenfalls nicht gefunden und glaube auch nicht, daß ich ihn in Amerika entdeckt hätte. Als ich dorthin gehen wollte, kam das Angebot vom Theater, und ich habe dann in der Praxis meine Ausbildung gefunden.

M.M.: Also die klassische Theaterlaufbahn: Korrepetitor, zweiter Kapellmeister etc.?

Rumstadt: Ja, ich habe den ganz normalen Weg gemacht, ich fand das für mich richtig. Natürlich verzweifelt man manchmal, wenn man jüngere Leute sieht, die weiter sind. Aber ich habe es immer für wichtig gehalten, daß man auf der Stufe der Leiter, auf der man steht, nicht immer nach oben schielt, sondern daß man auch die Höhe, die man gewonnen hat, festigt und die Sachen, die man tun soll, auch wirklich kann.

M.M.: Sie haben ja auch Kirchenmusik studiert. Welche Instrumente spielen für Sie noch eine Rolle neben der Orgel und dem Klavier?

Rumstadt: Orgel spiele ich für mein Leben gern, im Moment bleibt aber nur Zeit zum Klavierspielen. Mit der Trompete habe ich während der Studienzeit häufig in Orchestern mitgespielt und habe von daher einen gewissen Einblick in die Einstellung eines Orchestermusikers. Ich kenne viele der Frustrationen und weiß auch, wie sich da gruppendynamische Prozesse entwickeln. Plötzlich ist ein gemeinsames Ziel da: Der Dirigent ist schlecht oder in dieser Kirche kann man nicht spielen. So etwas kann sich ganz schnell formieren, ohne daß man es kontrollieren kann. Ich glaube, das wäre auch für die Dirigentenausbildung wichtig: den Umgang mit solch kritischen Situationen zu lernen.

M.M.: Wie gehen Sie an neue Werke heran, die einzustudieren sind?

Rumstadt: Ich halte die Beschäftigung mit den Quellen, mit der Sekundärliteratur, mit dem Umfeld für sehr wichtig. Natürlich bleibt oft wenig Zeit dafür, aber welche Wohltat ist es, wenn man ein Stück wirklich gut vorbereitet hat, mit dem nötigen Hintergrund! Auch Ausgrabungen unbekannterer oder vergessener Stücke haben mich immer gereizt, z. B. für die Festspiele in Zwingenberg.

M.M.: Wie kommt man dazu, mit dreiundzwanzig Jahren Opernfestspiele zu gründen?

Rumstadt: Das war z. T. Frustration über die Ausbildung in Hamburg, weil ich nicht zum Dirigieren mit Orchester kam. Ich dachte an das Schloß Zwingenberg am Neckar mit der danebengelegenen ‚Wolfsschlucht‘, und es blitzte mir durch den Kopf: da machst du den Freischütz. Das war ein enormer Organisationsaufwand, das waren auch meine ersten Begegnungen mit Politikern.

M.M.: Das findet nun jedes Jahr statt?

Rumstadt: Ja, es ist ein Verein gegründet worden. Der Freischütz ist immer dabei, jedes Jahr in einer anderen Inszenierung. Ansonsten haben wir unbekanntere Werke gemacht, z. B. die Königskinder von Humperdinck, Schumanns Genoveva, aber auch kleinere Sachen: die Pilger von Mekka von Gluck oder den Soliman von Joseph Martin Kraus. Auch in Regensburg ist in Zusammenarbeit mit dem musikwissenschaftlichen Institut der Universität geplant, eine weitgehend vergessene Oper des Mozart-Zeitgenossen Giovanni Paisiello aufzuführen, das Material liegt in der Thurn und Taxis Hofbibliothek.

M.M.: Damit sind wir wieder bei der Arbeit hier am Theater. Sie haben ja in der letzten Spielzeit zwei Aufführungen im Stadtheater geleitet: Wie beurteilen Sie im Vergleich die Bedingungen im Velodrom, und was wären Ihre Wünsche für die Renovierung?

Rumstadt: Frühzeitig einen Akustiker einzubinden. Wie es scheint – bei allen Problemen, die das Velodrom hat –, spielen hier die Musiker ja doch lieber und besser als im Orchestergraben des Theaters. Das muß einem zu denken geben. Der Graben soll wohl größer werden, mit einem Hubpodium, so daß die Möglichkeit besteht, zu variieren. Außerdem gibt es Skizzen darüber, wie man sich schon früher Gedanken gemacht hat, die Resonanz zu verbessern, etwa die Brandmauer wegzulassen oder sie aus anderem Material zu machen. Das muß jetzt in diesem planerischen Stadium geprüft werden. Man darf den Akustiker nicht erst kommen lassen, wenn es zu spät ist.

M.M.: So wie im Velodrom?

Rumstadt: Ja, man hätte den Graben niemals rechteckig anlegen dürfen. Es gibt schon Pläne, das abzumildern. Auch fehlt bei der großen seitlichen Ausdehnung die Tiefe, damit der Klang sich entfalten kann. Als ich hier einmal zwischen den Musikern gesessen bin, war ich erschüttert: Man sieht z. B. den Klarinettisten neben sich spielen, und der Ton fällt förmlich vor ihm auf den Boden. Wenn das drüben im Graben wirklich noch schlechter war ... Da kann man ja auch nicht über Jahrzehnte die Moral halten. Ich finde, daß das Orchester jetzt in einem ganz glücklichen Zustand ist. Natürlich ist hier in dieser Übergangszeit wenig äußerer Glanz, aber hier ist eben ein anderer Ton angesagt, ein ehrlicher Ton, wie ich finde. Und es ist ja auch eine Zeit des Aufbruchs, und ich habe den Eindruck, daß dies auf das Orchester sehr gut wirkt. Ich würde mir wirklich wünschen, daß es im Laufe der kommenden Jahre ein anderes Selbstbewußtsein bekommt.

M.M.: Wie sieht es mit der Stellenaufstockung für den B-Status aus?

Rumstadt: Die zehn zusätzlichen Stellen sind noch eingefroren, aber ich schätze das kulturpolitische und wirtschaftliche Klima hier schon so ein, daß es nicht hoffnungslos sein sollte, diese Stellen anzupeilen, das will ich für meine Musiker schon hoffen.

M.M.: Als Ihre Berufung feststand, haben Sie davon gesprochen, ein Haus dieser Größe müsse etwas Besonderes anbieten, sich auf seine Stärken besinnen, aber auch seine Grenzen kennen. Inwieweit wird der neue Spielplan danach ausgerichtet sein?

Rumstadt: Ganz und gar, würde ich sagen. Wir werden drei Werke bringen, die Ausgrabungen oder ganz neu sind und werden uns mit der großen Oper, glaube ich, nicht vergreifen. Ich denke jetzt im Vergleich dazu an Salome, so gerne ich das auch mache. Vielleicht kommt ein solches Werk im richtigen Moment für das Orchester, dort sind die Gefühle allerdings gemischt, soweit ich sehe.

M.M.: Elektra hat sie also nicht überzeugt?

Rumstadt: Nein.

M.M.: Aber hinter der Salome stehen sie jetzt?

Rumstadt: Doch. Es gab lange Diskussionen um die Besetzungsstärke. Es geht ja nicht darum, ob man ein Heckelphon hat oder nicht, oder die acht Klarinetten. Acht Celli und zehn Bratschen sollten es aber schon sein, das ist einfach wichtig für die Klangbalance. In der nächsten Spielzeit werden wir, glaube ich, die Grenzen besser einhalten. Auch wollen wir die Chancen des Ensembletheaters stärker nutzen. Es ist einfach nicht einzusehen, daß wir jetzt für die Operette zwei Gäste brauchen. Deshalb ist es mir ein Anliegen, im Ensemble sieben Stellen wieder zu bekommen, damit wir die Stücke doppelt besetzen können. Ein Ensemble erfüllt das Theater mit Leben, das ist die Substanz. Auch junge Sänger sind wichtig, und ich glaube daß die Verweildauer der Sänger, aber auch der Dirigenten, im großen und ganzen zu lange ist. Natürlich mag es das Publikum, wenn es mit einem Sänger alt wird, aber daneben muß es auch Fluktuation geben.

M.M.: Gibt es sonst irgendwelche Neuerungen in der Programmstruktur, ist eine Zusammenarbeit mit dem Ballett geplant?

Rumstadt: Ja, es wird ein Projekt mit Orchester, Chor und Ballett geben. Auch bei der Kinder- und Jugendarbeit will ich verstärkt ansetzen. Was die Sinfoniekonzerte betrifft, so beginne ich jetzt einen Mahler-Zyklus. Wir fangen mit den Orchesterliedern und der ersten Symphonie an. Dazu soll es aber viele neue Werke geben, eine Retrospektive am Ende des Jahrhunderts: z. B. Helmut Lachenmann, Charles Ives, John Cage und den Sacre du Printemps von Stravinsky.

M.M.: Eingebunden in ‚gemäßigtere’ Programme?

Rumstadt: Natürlich, ich stelle mir das ähnlich vor, wie jetzt bei meinem ersten Sinfoniekonzert. Das habe ich ja vorgefunden als Strauss-Pfitzner-Jubelfeier und habe es ein bißchen ‚aufgemischt‘ mit Ullmann und Bloch. Damit es, wie gesagt, keine Monokultur gibt, finde ich es außerdem wichtig, daß einmal in der Spielzeit ein sehr guter Dirigent da ist, an dem sich das Orchester auch ein bißchen reiben kann, wie jetzt z. B. Michael Boder.

M.M.: Sehen sie in solchen Zusammenstellungen also die Abgrenzung von den großen Orchesterprogrammen im Audimax?

Rumstadt: Absolut, ja, wobei ich natürlich nicht abschätzen kann, wie es angenommen wird. Doch Tilo Fuchs hat z. B. hier auch schon lange Jahre interessante Programme gemacht, und so habe ich keine Angst, daß das jetzt als Schock wirkt.

M.M.: Es war ein Opernprojekt für das Jahr 2000 im Gespräch, möglicherweise als Auftrag bei Franz Hummel?

Rumstadt: Ich hatte daran gedacht, bei ihm eine Oper zu bestellen über diese Geschichte vom Bruckmanderl, die ich so theatralisch finde. Er meinte aber, er sei ausgebucht, außerdem interessiere es ihn schon lange nicht mehr, eine Geschichte zu erzählen. Ich denke aber, daß man das mit einem anderen Komponisten trotzdem machen könnte, in Verbindung mit dem Brückenfest, das ja auch 2000 sein wird.

M.M.: In einer Aufführung von Hoffmanns Erzählungen haben Sie mit einer Gedenkminute des Todes von August Everding gedacht: Was bedeutet sein Vermächtnis für den Theaterbetrieb, oder: wie politisch ist die Tätigkeit des GMD?

Rumstadt: Politisch in dem hohen Sinne wie Kultur politisch ist. Was sind die Mittel, Gemeinschaft möglich zu machen? Es ist ja immer wieder erstaunlich zu sehen, daß das Zusammenleben so funktioniert: Auf der einen Seite diese totale Organisation von allem, auf der anderen Seite die vollkommene Negierung von Angewiesensein auf den Nächsten – jeder will für sich selber zurecht kommen. Genau in diesem Feld liegt, glaube ich, die politische Aufgabe von Kulturschaffenden: diese Diskrepanz bewußt zu machen, zu zeigen, wie traurig es oft ist, wie wenig gut es geht, aber eben auch wie gut es gehen könnte. Konkreter: Im Umgang mit den Stadtpolitikern – was hier nicht so ein Problem ist – die Berechtigung von Kultur, die Notwendigkeit von Subventionen zu verfechten, das konnte Everding natürlich meisterhaft. An ihm selbst – ich habe ihn leider nicht persönlich gekannt – imponiert mir die Fähigkeit, die Dinge im Abstand klarer sehen zu können, Zusammenhänge zu erkennen, aber dabei jederzeit eine Durchlässigkeit in den Humor zu haben. Und was die Kunst betrifft: zu ‚Eliten‘ zu stehen, den Baum an Traditionen mitzunehmen, aber gleichzeitig immer zu erkennen, daß es auch etwas anderes gibt. Er war unheimlich wach, und das ist es vielleicht, woran man sich am meisten orientieren kann.

© mälzels magazin 1998–2005
Alle Rechte vorbehalten.
© mälzels magazin 1998–2005