Hildegard Wild
oder: Musikwissenschaft wird lebendig
In einer bislang einmaligen Kooperation verschiedener Institutionen der Universität – Institut für Musikwissenschaft (Leitung: Prof. Dr. Detlef Altenburg), Studententheater (Dr. Reinhart Meyer) und Universitätsorchester (Graham Buckland) – wurde am 19. und 20. Februar im Audimax der Universität ein interessanter Versuch unternommen: Die enge Verbindung von Musik und Drama im Schauspiel der Goethezeit sollte am Beispiel eines zu jener Zeit häufig aufgeführten Werkes veranschaulicht werden, das für die Rezeptionsgeschichte in vielerlei Hinsicht bedeutsam, mittlerweile aber weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Auf dem Spielplan stand William Shakespeares Macbeth in der Übersetzung von Gottfried August Bürger (gedruckt Göttingen 1783) mit der dazugehörigen Schauspielmusik von Johann Friedrich Reichardt (1752–1814).
Versierte Theatergänger werden vermutlich zunächst den Kopf geschüttelt haben: Ein selten inszeniertes Shakespeare-Drama, und das ausgerechnet in einer äußerst freien deutschen Übersetzung? Und was soll die Live-Musik? Und wo bleibt der Bezug zum Goethejahr?
Nun, William Shakespeare gehörte gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu den meistgespielten Autoren auf den deutschen Bühnen; seine Werke wurden überwiegend in mehr oder minder freien Bearbeitungen heute zumeist vergessener Dichter und Übersetzer aufgeführt. Dabei war es üblich, wie schon zu Shakespeares Zeiten bestimmte Szenen musikalisch zu untermalen; so erklang Musik etwa bei Bankettszenen, als Einlagelied oder als kurze Fanfare, aber auch als Signum für den Eintritt in eine irreale oder übersinnliche Sphäre (Geisterwelt, Traum etc.). Darüber hinaus wurden zu dieser Zeit Schauspiele in der Regel mit einer Ouvertüre eingeleitet, mit einer Schlußmusik beendet und die Aktpausen mit Musikeinlagen überbrückt. Diese Schauspielmusiken wurden des geringen Aufwandes wegen meist aus einzelnen Sätzen verschiedener Orchesterwerke (Symphonien, Konzerte, Tänze) aus dem Notenfundus des jeweiligen Theaters zusammengestellt, nicht selten wurden jedoch auch für bestimmte Werke eigene Schauspielmusiken komponiert, wie im Falle der in Regensburg gehörten Musik zu Macbeth.
Johann Friedrich Reichardt, von 1775 bis 1794 Hofkapellmeister in Berlin, schrieb die Musik zu den Hexenscenen aus Schakespear’s Macbeth (so der Titel des 1789 erschienenen Klavierauszugs) für eine Aufführung der Bürgerschen Bearbeitung am dortigen Königlichen Nationaltheater. Die Vertonung umfaßt – neben der Ouvertüre – ausschließlich die (von Bürger um hinzugedichtete Szenen erweiterten) Hexenszenen, was eine Gewichtsverlagerung auf die unheimlich-schauerliche Hexensphäre bewirkt, die sich durch die Musik deutlich von der fiktiven Realität der Dramenhandlung um Macbeth abhebt. Bereits während der Premiere am 28. Dezember 1787 wurde Reichardts Musik vom Publikum begeistert aufgenommen und erlangte in der Folgezeit eine derartige Popularität, daß sie auch in andere Macbeth-Bearbeitungen übernommen wurde. So erklangen die Hexenscenen auch in den – stilistisch ganz andersartigen – Übersetzungen Friedrich Schillers (bereits seit der Uraufführung unter Goethes Leitung am 14. Mai 1800 in Weimar) und Johann Heinrich Voß’ (1810). Reichardts Musik wurde an fast allen Theatern Deutschlands aufgeführt – wenn auch bisweilen stark gekürzt und der jeweils inszenierten Macbeth-Bearbeitung angepaßt – und avancierte schließlich zu einer der populärsten Schauspielmusiken der Goethezeit.
Die Regensburger Wiederaufführung dieser Komposition wurde in einer an der Berufspraxis orientierten Übung des Instituts für Musikwissenschaft vorbereitet. In diesem „Projekt Schauspielmusik“ untersuchten Studierende unter der Leitung von Prof. Dr. Detlef Altenburg (der sich seit geraumer Zeit in einem Forschungsschwerpunkt mit diesem Genre beschäftigt) und dem theatererfahrenen Leiter des Universitätsorchesters, Graham Buckland, die lediglich handschriftlich überlieferten und zum Teil äußerst schlecht erhaltenen Partituren sowie den gedruckten Klavierauszug und diskutierten die Problematik einer möglichen Edition. Parallel zu dieser Veranstaltung wurde mit Hilfe eines computergestützten Notenschreibprogramms das komplette Aufführungsmaterial mit Partitur, Klavierauszug und Einzelstimmen erstellt, um die Einstudierung der Musik durch das Universitätsorchester zu ermöglichen.
Zur Realisierung auf der Bühne konnte das Regensburger Studententheater gewonnen werden, das unter seinem Leiter Dr. Reinhart Meyer bereits Erfahrung in der Inszenierung von Werken des 18. Jahrhunderts mit passender Schauspielmusik sammeln konnte – man erinnere sich an die gelungenen Aufführungen zweier Regensburger Jesuitendramen und Goethes Die Mitschuldigen zusammen mit dem Ensemble La Sfera im vergangenen Jahr.
Für den Macbeth wechselte man nun vom recht beengten Studententheater ins Audimax, dessen großzügiger Bühnenraum geschickt genutzt wurde: In Anlehnung an die Simultanbühne der Shakespeare-Zeit wurde hier die Bühne mit Hilfe von Beleuchtungsdifferenzierung (Ein- und Ausblenden, Spots etc.) in einzelne Sektionen aufgeteilt, was rasch aufeinanderfolgende Szenenwechsel ermöglichte. Allerdings blieben dadurch die Deutung Shakespeares durch Bürger und die Übertragung des Dramas auf die „Guckkastenbühne“ der Goethezeit ausgeklammert. Bürgers Macbeth-Bearbeitung entstand ja nicht zuletzt im Dunstkreis der zu jener Zeit beliebten „Spektakelstücke“, die unter Ausnutzung des gesamten Maschinenapparats des Theaters (Donner-, Blitz-, Sturmmaschinen; Versenkungen, Flugmaschinerie etc.) gerade Geister- und Hexenauftritte sehr effektvoll und „actionreich“ in Szene setzten. Die äußerst schwierig darzustellenden weissagenden Erscheinungen im vierten Aufzug wurden im Audimax allerdings recht geschickt durch Diaprojektionen realisiert.
Bedauerlicherweise mußte in der Regensburger Aufführung für die Darstellung der drei Hexen, die singend und wilde Tänze vollführend ihr Unwesen treiben und bei Bürger (unterstützt durch die Musik Reichardts) eigentlich zu den Hauptfiguren zu zählen sind, unter den gegebenen Umständen eine etwas unbefriedigende Kompromißlösung gefunden werden: Drei professionelle Sängerinnen (Judy Moore, Brigitte Thoma, Irmingard Pauer) sangen, hinter Tüchern weitgehend verborgen, zu den pantomimischen Bewegungen der sechs Hexendarstellerinnen. Im Gegensatz dazu dürfte die Wirkung der auch schauspielerisch voll integrierten Sängerinnen im Theater der Goethezeit sicherlich um ein vielfaches größer gewesen sein. Der Effekt der Reichardtschen Musik kam dennoch stellenweise gut zur Geltung. In einer für die Entstehungszeit durchaus ungewöhnlichen Weise – unter Verwendung elementarer Mittel wie Dissonanzen, große Intervallsprünge, rasche Unisono-Passagen, Tonrepetitionen, abwechslungsreiche Dynamik, aber auch mit Hilfe ausgefeilter Instrumentationsdetails – bringt sie das Häßliche und Unheimliche bewußt zum Ausdruck. Hervorzuheben sei hier vor allem die Szene der Altfrau (Hexenmeisterin) im vierten Aufzug, die, mit minimalem Aufwand dargestellt, durch die eindrucksvolle melodramatische Gestaltung eine äußerst gespenstische und schauerliche Wirkung erzielte.
Die Aufführung des Macbeth in Regensburg war ein im Rahmen des Möglichen erfolgreiches Experiment, Werke aus Forschungsgebieten der Musikwissenschaft zum Leben zu erwecken; man darf auf weitere Projekte dieser Art gespannt sein.