Magnus Gaul
Dom-Musik im Blickfeld (Teil II)
Nachdem in der vergangenen Ausgabe von Mälzels Magazin in einem ersten Beitrag zur Regensburger Dom-Musik bereits die musikalische Arbeit des Domkapellmeisters näher vorgestellt worden ist, gilt die Aufmerksamkeit an dieser Stelle dem Auftritt eines Mannes, der seit etwa drei Jahren im Szenario der Regensburger Kirchenmusik mitwirkt, als er zum Domorganisten am Dom St. Peter zu Regensburg berufen wurde.
Im März 1996 trat Franz Josef Stoiber, der gebürtige Niederbayer aus der Gemeinde Oberpöring bei Plattling, die Tätigkeit an seiner neuen Wirkungsstätte an und erfüllte sich damit einen Traum: Schon seit früher Jugend übte die Orgel eine unbeschreibliche Anziehungskraft auf ihn aus, eine Faszination, die sie bis auf den heutigen Tag nicht verlor. Motiviert auch durch den schulischen Musikunterricht, nahm Stoiber zielstrebig seine Ausbildung unter Anleitung der beiden damaligen Domorganisten Eberhard Kraus (Regensburg) und Walther R. Schuster (Passau) auf, die er im Anschluß an den Musikhochschulen Würzburg (Orgel bei Prof. Gerhard Weinberger, Tonsatz bei Prof. Zsolt Gárdonyi) und Stuttgart (Künstlerisches Hauptfach Orgel bei Prof. Jon Laukvik) fortsetzte. Nach einer dreijährigen Tätigkeit als hauptamtlicher Musikalischer Assistent am Dom in Würzburg und als Lehrbeauftragter für Musiktheorie an der dortigen Musikhochschule wechselte er im Jahre 1989 zunächst als Dozent für Orgel und Musiktheorie an die Fachakademie für katholische Kirchenmusik und Musikerziehung nach Regensburg und näherte sich damit wieder seiner niederbayerischen Heimat, in der er die ersten Schritte – bezeichnenderweise als Autodidakt – auf ‚seinem‘ Instrument unternommen hatte.
Waren es in den Anfangsjahren noch eigene Lied-Begleitsätze, die er sich selbst erarbeitete, so entwickelte Stoiber jedoch auch frühzeitig ein Faible für die Improvisation. Dieses ‚freie Spiel‘ auf der Orgel, das allenfalls an ein vorgegebenes oder zuvor gewähltes musikalisches Thema angelehnt ist, bildet einen musikalischen Bereich, der heute – bezogen auf unsere abendländische Musik – außer in der Orgelimprovisation beinahe nur noch im Jazz beheimatet ist. Nach intensiven Studien, die Stoiber zu dem Wiener Domorganisten Prof. Peter Planyavsky und zu zahlreichen Fortbildungskursen bei weiteren international angesehenen Organisten führten, reifte im Laufe der Jahre eine Domäne heran, die ihm heute in der musikalischen Gestaltung der Dom-Gottesdienste zugute kommt und ihn gegenüber vielen Kollegen seines Faches auszeichnet. Bemerkenswert, daß Stoiber in der Lage ist, sein Spiel stilistisch nach den Erfordernissen auszurichten und konsequent beizubehalten. Kreativität und Spontaneität in der Gestaltung musikalischer Abläufe sind darüber hinaus Qualitäten, die sich neben seiner versierten Technik in besonderer Weise Geltung verschaffen. Als persönliche Stärken dürften einerseits die Improvisationen angesehen werden, die in einer barocken ‚Sprache‘ angelegt sind, zum anderen diejenigen, die sich – betont klanglich ausgerichtet – im Stil der französischen Moderne bewegen. Wenn der neue Domorganist auch in seinen Konzerten, die ihn bislang in zahlreiche Städte des In- und Auslandes führten, stets eine Vorliebe für die Improvisation zu erkennen gibt, vernachlässigt er keinesfalls das Orgel-Literaturspiel. Besonders erwähnt werden muß in diesem Zusammenhang die Aufführung des gesamten Bachschen Orgelwerkes, die er 1991/92 vornahm, und die für das Frühjahr geplante CD-Einspielung mit Werken der oberpfälzer Komponisten Max Reger und Joseph Renner jun.
In Regensburg selbst bietet die Reihe der regelmäßig veranstalteten Domkonzerte, für die Stoiber zusammen mit Domkapellmeister Roland Büchner verantwortlich zeichnet, ein vielfältiges Programm. ‚Hausgemachte‘ musikalische Aufführungen, unter denen die konzertanten Auftritte des Regensburger Domchores und die Orgelbeiträge des Domorganisten zu nennen sind, wechseln sich mit Gastspielen renommierter Künstler ab. Für den kommenden Sommer kann sich das Regensburger Publikum beispielsweise auf die versierten Wiener Organisten Michael Radulescu und Hans Haselböck freuen. Darüber hinaus wird immer wieder jungen Regensburger Nachwuchsensembles und -chören Gelegenheit gegeben, sich dem Publikum vorzustellen. Abende, die unter einem biblischen Thema stehen, ergänzen das Programm und bieten dem Zuhörer mit der Verbindung von Text und musikalischer Ausdeutung eine besondere Form der Meditation. Ein ähnliches Ziel dürfte auch eine neue ‚Miniatur‘-Konzertreihe verfolgen, die Stoiber unter dem Titel Orgelpunkt am Dom St. Peter ins Leben rief. In den Sommermonaten Juni bis September bringt er dabei einmal in der Woche zur Mittagsstunde berühmte Werke der Orgelliteratur zu Gehör und bietet einige Kostproben seiner Improvisationskunst. Diese jeweils zwanzigminütige Veranstaltung – alles andere als ein eintönig ruhender ‚Orgelpunkt‘ – fand nicht nur bei Besuchern der Stadt bisher beachtlichen Anklang und wurde als Möglichkeit zu einer etwas anderen Mittagspause angenommen.
Neben seinen künstlerischen Aktivitäten legt Franz Josef Stoiber großen Wert auf die Arbeit mit Schülern und Studenten. Dazu gehören die bereits erwähnte Lehrtätigkeit an der Kirchenmusikschule, die Beschäftigung als Orgellehrer bei den Regensburger Domspatzen und als Lehrbeauftragter für Harmonische Analyse an der Universität Regensburg. Seit mehreren Jahren ist Stoiber außerdem regelmäßig als Gastdozent bei Sommerkursen für Orgel und Musiktheorie in Fátima (Portugal) tätig. Sein im Jahre 1995 veröffentlichtes Unterrichtswerk Tonsatz – Gehörbildung – Improvisation (ConBrio, Regensburg) vermittelt dazu auf prägnante Weise wichtige Grundlagen und Übungsmöglichkeiten, die in seinen Unterricht einfließen. Dem weiten Feld der harmonischen Analyse nähert er sich darüber hinaus immer wieder mit Aufsätzen und Vorträgen, die seine pädagogische Tätigkeit abrunden.
Fazit: Für die Regensburger Dom-Musik kann die Berufung eines Mannes, der auf vielen musikalischen Gebieten beheimatet ist, nur einen Gewinn bedeuten. In der Tat ist es die Praxis, die den neuen Domorganisten auszeichnet. Wer seine Art der musikalischen Gestaltung kennt, wird bereits zu schätzen gelernt haben, daß eben nicht immer große Orgelwerke erklingen müssen, um den Gottesdienstbesucher auf die Liturgie des Tages einzustimmen. Betrachtet man jedoch Stoibers vielseitige Aktivitäten, so muß sich dem Beobachter der Szene zwangsläufig die Frage aufdrängen, inwieweit eine Domorgel, die in Gestalt und Klang doch mehr eine große Chororgel verkörpert, die künstlerischen Qualitäten eines Organisten seines Formats überhaupt zur Geltung bringen kann. Sicherlich, die kirchenmusikalische Tradition der Stadt ist zu Recht in hohem Maße dem A-cappella-Ideal und damit der Chormusik verhaftet. Ein Instrument, das der Weite des Raumes gerecht wird, könnte jedoch darüber hinaus helfen, das musikalische Potential nicht nur auszuschöpfen, sondern im Dienste einer für den Dom würdigen ‚Musica Sacra‘ fruchtbar zu machen.