Mälzels Magazin

Zeitschrift für Musikkultur in Regensburg

Schriftzug Mälzels Magazin
Hefte1999Nr. 3
mälzels magazin, Heft 3/1999, S. 9–13
URL: http://www.maelzels-magazin.de/1999/3_04_geigenbauer.html

Michael Wackerbauer

„Lautten- und Geigenmacher, Pedponti prope Ratisbonam“

Saiteninstrumentenbau in Regensburg und Stadtamhof bis ins 19. Jahrhundert

„Sein Vortrag ist Gesang der reinsten Menschenstimme. Wir wüßten keinen Zweig der Virtuosität auszugeben, worin Hr. L. Spohr nicht befriedigte. Dabei ist sein Spiel höchst solid, und weit von aller Charlertanerie entfernt. Wenn uns noch ein Wunsch erlaubt ist, so wäre es der, daß Herr L. S. ein Instrument wählte, welches einen helleren, kräftigeren Ton hält, als jenes, worauf er gegenwärtig spielt.“ Bei der Geige, über die der Rezensent anläßlich eines Konzertes am 17. Dezember 1812 in Wien in der Wiener allgemeinen musikalischen Zeitung so kritisch urteilt, dürfte es sich um ein Stadtamhofer Produkt gehandelt haben. Spohr – einer der absoluten Superstars auf den Konzertpodien in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts – spielte, nachdem ihm im Jahre 1804 seine wertvolle Guarneri gestohlen worden war, in den frühen Jahren seiner Karriere auf einem Instrument aus der hiesigen Werkstatt Gabriel David Buchstetters. Spohr war mit der Geige offensichtlich über einen längeren Zeitraum zufrieden. Seinen Lebenserinnerungen kann man jedenfalls entnehmen, daß er sich erst im Frühjahr 1816 für ein anderes Instrument, eine Lupot, entschied: „Ich gewann die Geige bald so lieb, daß ich sie meiner bisherigen Konzertgeige, einer alten deutschen von Buchstetter, vorzog und von nun an auf allen meinen Reisen spielte. Erst im Jahre 1822 [...] erkaufte ich von Madame Schlick in Gotha mein jetziges Instrument, eine Stradivari.“ Guarneri – Buchstetter – Lupot – Stradivari: Das ist eine Ahnenreihe, der anzugehören eine Geige durchaus stolz sein kann!

Auf lokaler Ebene steht das Instrument natürlich ebenfalls für eine Ahnenreihe: die der Regensburger und Stadtamhofer Geigenbaumeister. Beiderseits der Steinernen Brücke läßt sich dank der archivalischen Recherchen von Raimund W. Sterl seit dem 15. Jahrhundert eine stattliche Zahl an Lauten- und Geigenbauern nachweisen. Da aus der Frühzeit keine Instrumente überliefert sind, kann man über deren Machart nur spekulieren. Daß das Geigenbauzentrum Füssen auch auf Regensburg ausstrahlte, läßt sich aus der Herkunft einiger Meister schließen.

Erst mit Hans Wöndner (1629/30–1670) wird der Geigenbau in Regensburg durch eine erhaltene Violine konkret faßbar. Der gebürtige Niederösterreicher gilt traditionell als erster bedeutender Meister in der Stadt und wird als Stammvater einer 300jährigen Tradition bezeichnet. Entgegen den damals vorherrschenden Füssener oder Tiroler Einflüssen orientierte er sich am ehesten an der Schule von Brescia.

Hans Wöndner
(ca. 1630–1670)
|
Georg Müller
(?–?)
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Christoff Andre Buchstetter
(1687–1741)
|
Gabriel David Buchstetter
(1713–1773)
/
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Joseph Buchstetter
(1746–nach 1776)
|
Veit A. Widhalm
(1756–1801)
Ferdinand A. Kosler
(?–?)

Joseph Fischer
(1768–1834)
/
\
Petrus Schulz
(1808–1871)
Simon J. Schmidbauer
(1805–1848)
|
Xaver Kerschensteiner
(1839–1915)
|
F. S. P. Kerschensteiner
(1869–1935)
/
Kurz
(1827–1879)
\
Fraundorfer
(1830–1870)

Auch wenn die hier abgedruckte Übersicht eine klare Lehrer-Schüler-Abfolge suggeriert, befindet man sich im 17. Jahrhundert noch auf einem kaum dokumentierten Gebiet. Inwieweit die berühmte Familie Buchstetter aus Stadtamhof ihre Lehrer in den Regensburger Meistern Wöndner und Müller hatte, bleibt zu verifizieren. Lütgendorff, Verfasser des klassischen Standardwerkes zur Geigenbaugeschichte, sieht zwar bei Georg Müller stilistische Ähnlichkeiten mit Wöndner und noch bei Christoff Andre Buchstetter (1687–1741) den Einfluß der Brescianer Schule, doch gibt es weder schriftliche Belege noch heute greifbare Instrumente, die eindeutige Schlüsse zuließen.

Das ändert sich mit der nächsten Buchstetter-Generation, aus deren Mitte mit dem oben erwähnten Gabriel David wohl der profilierteste hiesige Geigenbauer hervorgegangen ist. Er wird im Dezember 1713 als eines von fünf Kindern Christoff Andres geboren. Während zwei seiner Brüder als Musiker und Geigenmacher nachgewiesen sind, beschäftigte sich Gabriel David wohl ausschließlich mit dem Handwerk: Gabriel David Buchstetter, Lautten- und Geigenmacher, Pedeponti prope Ratisbonam. Anno 17.. so lautet einer der Geigenzettel, der in lateinischen Worten („am Fuß der Brücke nahe bei Regensburg“) auf die Lage der Werkstatt im bayerischen Nachbarort der Freien Reichsstadt hinweist. Von Gabriel David ist eine Reihe von Instrumenten erhalten. So kann man auch in Regensburg immer wieder Musiker antreffen, die auf einer Buchstetter-Geige oder -Bratsche musizieren. Ein Violoncello befindet sich in den Sammlungen des Historischen Museums der Stadt Regensburg, außerdem zwei zu Gitarren umgebaute Lauten in Museen in Nürnberg und Graz. Einige seiner Violinen sind nach italienischem oder deutschem (Stainer) Vorbild gebaut. Besonders gelobt werden jedoch die Instrumente, welche er nach einem eigenen Modell fertigte: Sie haben eine flache Wölbung, sind überdurchschnittlich lang (über 36 cm) und dabei schmal, mit fallenden Schultern. Eine ähnliche Form findet man nur noch bei Gabriel Davids Sohn Joseph und bei Geigen der großen und weitverzweigten Geigenbauerdynastie der Thumhart, von denen das eine oder andere Familienmitglied wohl bei Gabriel David in die Lehre gegangen sein mag. Ein weiteres sehr auffallendes Merkmal einiger Buchstetter- und Thumhart-Geigen ist eine sternförmig ausgeschnittene Öffnung auf der Rückseite der Schnecke auf der Höhe des vierten Wirbels (s. Abbildung). Möglicherweise sollte hierdurch das Aufziehen der a-Saite erleichtert werden.

Gabriel Davids Werkstatt wurde zunächst von seinem Sohn Joseph weitergeführt und nach dessen Tod von Veit Anton Widhalm (1756–1801) aus der bekannten Geigenbauerfamilie in Nürnberg übernommen. Somit vereinen sich in Widhalms Arbeiten die Erfahrungen aus der Werkstatt seines berühmten Vaters Leopold mit der Buchstetter-Tradition. Daneben ahmte er auch die klassischen italienischen und deutschen Modelle von Stradivari und Stainer.

Wenig bekannt ist über einen weiteren Schüler Gabriel Davids, den in den 1770er Jahren nachgewiesenermaßen in Regensburg tätigen Ferdinand Andreas Kosler oder Kossler. Er hat mehrere seiner streng an seinem Lehrer orientierten Instrumente an das fürstliche Haus geliefert.

Unabhängig von dieser Linie hat sich in Regensburg im 17. und 18. Jahrhundert eine Reihe von Saiteninstrumentenbauern etabliert, unter denen vor allem die Namen Hädl und Ebner erwähnenswert sind. Johann Hädl (1652/53–1729) war um 1700 aus dem Salzburgischen in die Regensburger Wildwercherwacht gezogen, wo er und seine Söhne Johann und Peter Geigen nach dem hochgewölbten Stainer-Modell fertigten. Ähnliche Instrumente kamen aus der Werkstatt des aus Hallein bei Salzburg stammenden Gotthard Ebner, der mehrfach Aufträge für die Neupfarr- und die Dreieinigkeitskirche erhielt.

Um 1790 wird in der Malergasse von einem gewissen Joseph Fischer (1768–1834) eine neue Werkstatt eröffnet, die sich als Keimzelle für hochqualitativen Saiteninstrumentenbau bis ins 20. Jahrhundert erweisen sollte. Fischer kam aus der Geigenbauerstadt Füssen und lernte dort bei Johann A. Gedler und in Wien bei Franz Geissenhof und Johann G. Thier sein Handwerk. Neben dem Bau von Geigen nach italienischen Vorbildern versuchte sich Fischer in verschiedenen neuen Formen wie z. B. der sogenannten Gitarrengeige.

Von den diversen Schülern Fischers haben zwei nach ihrer Lehrzeit ihr Auskommen in der Donaustadt gefunden. Der eine – Simon Jakob Schmidbauer (1805–1848) – zog es angeblich vor, auf Geigen zu spielen, statt sie zu bauen. Ein dreisaitiger Kontrabaß von seiner Hand befindet sich im Besitz der hiesigen evangelischen Kirche. Schmidbauer hat wiederum zwei Geigenbauer ausgebildet, die sich zeitweise als Geigenbaufirma Kurz & Fraundorfer in Regensburg zusammentaten.

Weit bedeutender war Fischers zweiter Schüler Petrus Schulz (1808–1871), der gemeinsam mit Gabriel David Buchstetter zu den hervorragendsten deutschen Geigenbauern gezählt wird. Der gebürtige Regensburger führte nach Lehr- und Wanderjahren im In- und Ausland die Werkstatt seines Meisters in der Malergasse weiter. In der Produktpalette nahmen neben den hochwertigen Geigen nach italienischen Modellen und Gitarren auch Zithern einen wichtigen Platz ein. Das Historische Museum der Stadt Regensburg besitzt vier Zithern Salzburger Form, eine Baßgitarre und ein Kindervioloncello des Meisters.

Der Bau von Zithern war auch eine Spezialität von Xaver Kerschensteiner (1839–1915), der als Schüler und Schwiegersohn das Geschäft von Petrus Schulz übernahm. Er hatte sich bei mehreren Meistern im bayerisch-österreichischen Raum einen breiten Erfahrungshorizont verschafft, bevor er sich 1865 als Teilhaber der Firma Schulz & Kerschensteiner in der Pfarrergasse 10 niederließ. Natürlich baute Kerschensteiner auch Gitarren und Geigen, für die er vielfach mit Auszeichnungen und Medaillen geehrt wurde, doch galt seine Liebe besonders in seinen späteren Jahren der Zither, über deren Bau er u.a. das Lehrbuch Das Griffbrett der Zither verfaßte.

Seit 1908 hatte Xaver Kerschensteiner mit seinem Sohn Franz Seraph Peter (1869–1935) einen neuen Teilhaber in der Firma Xaver Kerschensteiner, königlich bayerischer Hoflieferant, Saiten und Instrumentengeschäft. Franz Seraph Peter war zwar ausgebildeter Geigenbauer, zeichnete sich aber weniger in diesem Handwerk als durch seine vielseitigen Interessen aus. Neben seiner kommerziellen Tätigkeit als Instrumentenhändler betätigte er sich als Musikschriftsteller, Bratscher und Komponist bislang ungedruckter Kammermusik. Nach seinem Tode wurde Werkstatt und Inventar von der Firma Weidlich übernommen, die noch bis zum zweiten Weltkrieg den Zitherbau weiterführte.

Mit Franz Seraph Peter Kerschensteiners Ableben fand die mehrhundertjährige Regensburger Geigenbautradition ein vorläufiges Ende. Erst Otto Laudi, der 1964 seinen Meisterbetrieb eröffnete, hat den Geigenbau in Regensburg wieder fest etabliert. Über seine Tätigkeit, sowie die Werkstätten seines Schülers und Nachfolgers Helmut Pöser und der Familie Goldfuss wird in späteren Nummern des Magazins ausführlicher zu berichten sein.

Walter Hamma: Geigenbauer der Deutschen Schule des 17. bis 19. Jahrhunderts, 2 Bde., Tutzing 1986
Willibald L. Freiherr von Lütgendorff: Die Geigen- und Lautenmacher vom Mittelalter bis zur Gegenwart, 2 Bde., Frankfurt a. M. 61922, Repr. Liechtenstein 1968
dto. Ergänzungsband, erstellt von Thomas Drescher, Tutzing 1990
Konrad Ruhland: Musikinstrumente aus Ostbayern (Niederbayern / Oberpfalz) vom 17.–19. Jh., Kataloge des Stadtmuseums Deggendorf Nr. 10, Deggendorf 1992
Raimund W. Sterl: Regensburgs Musikinstrumentenbauer von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zur Neuzeit, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg, 113. Band (1973), S. 145–160

Ich danke Herrn Geigenbaumeister Otto Laudi für anregende Gespräche und die Bereitstellung photographischer Aufnahmen.

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