Claus Lockbihler
Vergleichende Eindrücke vom „Jazz Baltica“-Festival in Salzau
Im Vergleich zum „Bayerischen Jazzweekend“ in Regensburg liegt das „Jazz Baltica“-Festival in Salzau nicht nur geographisch am anderen Ende Deutschlands: Es markiert alljährlich auch das, was das hiesige Jazzweekend gewiß nicht darstellt und nach dem man auch nicht uneingeschränkt streben sollte, wenn man die Substanz und die von Richard Wiedamann entwickelte Grundidee des Bayerischen Jazzweekends erhalten möchte: Einen Mega-Event des Jazz im wahrsten Sinne des Wortes, ein mit sehr viel Geld und Fernsehbeteiligung zustandegekommenes Großereignis der improvisierten Musik, in dessen Mittelpunkt wegen des Eventcharakters nicht die lokale Jazz-Szene steht und stehen kann, sondern die teuer eingekauften, medial vermittelbaren Stars meist amerikanischer Provenienz.
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Festivals, die dem Publikum in geballter Ladung und gut organisiert an nur einem Wochenende alles von Charlie Hadens Quartet West über die Piano-Legende Tommy Flanagan bis hin zum Newcomer Esbjörn Svensson bieten, stellen ein ausgesprochenes Erlebnis dar. Zumal, wenn sie in so reizvoller Umgebung stattfinden wie Jazz Baltica, das seit neun Jahren in einer Konzertscheune vor der Kulisse eines weißgetünchten Märchen-Schlosses aus dem 19. Jahrhundert inmitten einer Hecken- und Seenlandschaft östlich von Kiel stattfindet. Bei aller Euphorie über diese idyllische Auftrittsstätte sollte man jedoch nicht vergessen, daß es Festivals wie Salzau – Gott sei Dank! – mittlerweile zahlreich gibt, Veranstaltungen wie das Regensburger Jazzweekend dagegen an der Hand abzuzählen sind.
Die Unterschiede zwischen einem Jazz-Event à la Salzau und dem ganz anders konzipierten Regensburger Wochenende liegen auf der Hand: Bei einem Event läßt man sich ganz unweigerlich – bewußt oder unbewußt – auf Nachteile und Einschränkungen ein, die das Jazzgeschehen unterhalb eines gewissen Vermarktungslevels ganz und gar außen vor lassen. So stellt ein Festival wie Jazz Baltica im Gegensatz zum Jazzweekend für junge Musiker alles andere als ein belebendes Forum dar. Junge Gruppen aus der regionalen, aber keineswegs provinziellen Szene wie das Kieler Saxophon Quartett oder blue kazoo dürfen zwar – im Schatten der Stars – als Teil des Rahmenprogramms im Zirkuszelt auf grüner Wiese spielen, aber das Hauptaugenmerk gilt ganz eindeutig den Auftritten in der großen Konzertscheune, also den Heroen, Legenden und Newcomern des Jazz. Daß eine solche auf Nummer Sicher hin konzipierte „Leistungsschau des Bewährten“ (Kieler Nachrichten), bei der Plattenfirmen wie ACT oder Motor Music (Verve) in Sachen Programmgestaltung natürlich mitmischen, nicht ausschließlich große Musik zu bieten hat, versteht sich von selbst. Denn große und teure Namen garantieren im Jazz noch weniger als in anderen Musikformen inspirierte, spannende Musik: Neben großartigen Konzerten wie denen von Dee Dee Bridgewater, Marylin Mazur und Esbjörn Svensson gab es zahlreiche, groß angekündigte Enttäuschungen. So entpuppten sich die als „Prinzessin des Dancefloor“ promotete Monday Michiru – eine Tochter Charlie Marianos und Toshiko Akiyoshi – und ihre japanische Band live als Langweiler, die bei einem solch hochkarätig besetzten Jazz-Festival auch dann nichts zu suchen hätten, wenn sie zufällig mal nicht vom Jetlag geplagt werden. Und der große Hardbop-Saxophonist Johnny Griffin klang mit weniger Promille auch schon mal besser.
Wer auch immer mit guten Argumenten über eine Erweiterung oder eine Kommerzialisierung des hiesigen Jazzweekends nachdenkt, sollte sich der faszinierenden Einzigartigkeit dieser bewährten, bei Musikern wie Publikum allseits geschätzten Veranstaltung bewußt sein. Und den Gefahren eines „Events“.
Wo sonst gibt es ein Festival, das mit verdammt wenig Geld und für das Publikum kostenfrei drei Tage lang die bayerische und süddeutsche Szene in seiner stilistischen Vielfalt vom Hobby- und Amateur-Jazzer bis hin zum aufstrebenden Jung-Profi so unverzerrt abbildet wie das Jazzweekend? Wo sonst spielen Jazz-Musiker primär aus Spaß an der Freud’? Wo sonst folgt das Publikum mehr seinen Ohren als den großen Namen? Wo sonst wird in der direkten Begegnung mit dem Livegeschehen – also nicht über die Vermittlung der Medien – eine so beachtliche Breitenwirkung für den Jazz über das übliche Jazz-Ghetto hinaus erreicht?