Juan Martin Koch und Claus Lochbihler
Der Jazz-Gitarrist Helmut Nieberle
Regensburger Jazz-Urgestein, Vater der hiesigen Gitarrenszene (beides ungeachtet seines Alters), oder Helmut Kagerers ‚bessere Hälfte‘ – das wären einige Attribute, mit denen man Helmut Nieberle belegen könnte. Die Regensburger Jazz-Szene war eines der Themen, über die sich Claus Lochbihler und Juan Martin Koch mit ihm unterhalten haben, nicht ohne den Versuch zu wagen, ihn mit ein paar Gitarrenaufnahmen zu überraschen.
M.M.: Wie bist Du eigentlich nach Regensburg gekommen?
Nieberle: Von München aus. Ich hatte von der Regensburger Jazzszene gehört, von Richard Wiedamanns privatem Jazzkeller „Rabozil“, das war Ende der siebziger Jahre. Als ich nachfragte, ob ich in der Musikschule Unterricht geben könnte, sagte Richard erst: nein, kein Bedarf an Gitarrenlehrern. Dann spielte ich abends auf der Session mit, und er fragte mich, wann ich anfangen könnte!
M.M.: Gab es damals irgendeine Form von Jazzunterricht in Regensburg?
N.: Richard hat Klavier gemacht, dann hat er mich geholt, dann Axel Prasuhn für Saxophon, und so hat sich das entwickelt.
M.M.: Es gab damals also keine Gitarrenszene?
N.: Ich kannte nur ein paar Leute aus dem Blues- und Folkbereich, sonst gab’s praktisch nichts. Dann kam Yankee Meier aus der Versenkung, später Helmut Kagerer, und außer den beiden sind oder waren wahrscheinlich die meisten Schüler von mir.
M.M.: Was hältst Du von der Tendenz seit den achtziger Jahren, den Jazz auch an den Musikhochschulen zu institutionalisieren?
N.: Eigentlich gar nichts. Ich glaube nicht, daß man Jazz studieren kann, es gibt kein Programm, das man absolviert haben muß, es ist eine individuelle Sache. Sie funktioniert erstens nur über Einzelunterricht, und zweitens nicht nach Programm. Es gibt keinen objektiven Maßstab dafür, was man alles beherrschen muß. Sollte man wirklich alle Skalen in allen Tonarten draufhaben? Ich tendiere eher dazu, ein Repertoire aufzubauen aus den alten Stücken, den Standards, ganz praxisnah. Ich habe mich erst kürzlich mit Jim Mullen darüber unterhalten: die Berklee-Abgänger klingen alle gleich. Da werden bestimmte Patterns eingepaukt und durch die Tonarten gejagt, und so klingt es dann auch.
M.M.: Glaubst Du, daß sich, vielleicht über diesen Umweg der Jazzstudiengänge, zumindest der Stellenwert des Jazz im etablierten Musikleben geändert hat?
N.: Er ist jetzt sicher anerkannter – aber noch nicht genug, vor allem finanziell! (lacht)
M.M.: Wie schätzst Du Regensburg als Jazzstadt ein?
N.: Die Szene ist von den Musikern her super. Ich glaube, das gibt’s nirgends in Deutschland, daß man sich wie etwa jetzt im Amapola einfach zusammensetzt und spielt. Da ist zum einen keine Konkurrenz, andererseits sagt keiner: „mit dem spiele ich nicht“ oder „der ist mir zu gut oder zu schlecht.“ Fast jeden Abend kann man Jazz hören: Im Hallenbad-Restaurant, in der New Morning Bar, in der Music Academy, bei der Session im Ambrosius, im Leeren Beutel ... Was allerdings fehlt, ist eine echte Jazzkneipe mitten in der Stadt, wo jeden Abend Livemusik sein kann. Es müßte sich jemand drum kümmern, der sich in der Szene auch auskennt und Ahnung vom Jazz hat.
M.M.: Wenn Du zurückblickst auf Deinen Werdegang, wie würdest Du den stilistisch einschätzen, welche Stationen hast Du durchlaufen?
N.: Angefangen habe ich natürlich mit dem Blues, als Autodidakt. Dann lernte ich die Musik Django Reinhardts kennen, entscheidend war aber ein Solokonzert mit Barney Kessel, der mich einfach begeistert hat. Der Lehrer, zu dem ich dann gegangen bin, Hans Schramke an der Jazz School in München, hat aber sehr schnell aufgehört, mir was zu zeigen, nachdem er gemerkt hat, daß ich es sehr schnell kapierte. Er wollte nicht, daß jemand spielt wie er, wollte keine Konkurrenz. Also bin ich herumgefahren zu allen möglichen Workshops: Joe Pass, Herb Ellis, Barney Kessel, Jim Hall, Attila Zoller, das waren dann so meine Lehrer.
M.M.: Wußtest Du schon früh: So will ich klingen, das ist mein Stil?
N.: Ich war schon auf der Suche und hatte auch eine kurze John Scofield-Phase, Anfang der achtziger Jahre. Ich kaufte mir 14 Platten und versucht alles ‚auszuchecken‘, was er so machte.
M.M.: Dieser modernere Jazz hat Dir aber nicht so viel gegeben?
N.: Ich steh’ eben mehr auf Melodien, ich mag diese Standards, mit Text: das American Songbook. Modale Kompositionen sind nicht so mein Geschmack, wenn über zwei Akkorde ewige solistische Ergüsse kommen. Da muß sich harmonisch schon was rühren.
M.M.: Was sind Deine Vorlieben, was Besetzungen angeht, Du giltst ja zum Beispiel nicht gerade als Schlagzeugfan?
N.: Na ja, wenn der Scotty Gottwald so mit dem Besen begleitet, das mag ich schon (lacht); das Instrument soll ja noch klingen, und da ich akustische Gitarren, keine E-Gitarren spiele, ist es wie bei der Geige: Je weniger Du verstärkst, um so besser klingt es. Da bin ich eben etwas altmodisch. Bei Besetzungen mag ich die Abwechslung: Mal alleine, mal im Duo mit Helmut Kagerer, Charlie Meimer oder Axel Prasuhn, mal in größerer Besetzung bei Cordes Sauvages oder wie jetzt bei meinem neuesten Projekt (da proben wir bis jetzt nur): Pit Müller an der Trompete, Stefan Holstein, Klarinette, Bob Rückerl, Baritonsax, Christian Diener, Baß und Scotty Gottwald am Schlagzeug. Ich schreibe die Arrangements, was mir einen Heidenspaß macht, gerade für diese Bläserkombination. Das Arrangieren ist ein bißchen aus der Langeweile entstanden: Wenn ich eine Session höre, dann langweilt mich das; es kommt ein Solist, dann noch ein Solist, dann noch einer, oder einer bläst sechs Chorusse. Das halte ich nicht aus, da muß was Spannendes passieren, so wie im Jazz der fünfziger Jahre: Chet Baker, Jimmy Giuffre, Jim Hall, das waren tolle Arrangements. Für meine Arbeiten habe ich allerdings auch einen kompetenten Helfer: Den Klavierlehrer und Komponisten Hans Huber, dem ich oft meine Sachen zeige und der mir manchen Tip gibt.
M.M.: Wie kam es zu dem Duo mit Kagerer, mit dem Du über Regensburg hinaus wohl den größten Erfolg hast?
N.: Er kam Mitte der Achtziger hierher, und abgesehen davon, daß er hervorragend spielte, stellten wir fest, daß wir dieselben Sachen hörten, z. B. Barney Kessel. Und das war dann auch unsere erste Aufnahme: Solostücke von Barney, für zwei Gitarren arrangiert. Das haben wir ihm dann geschickt, und als wir ihn Jahre später trafen, meinte er nur: „Why don’t you play your own music?“ Da war er gar nicht begeistert!
M.M.: Was ist das besondere an Eurem Duo?
N.: Es ist eben selten, daß sich zwei musikalisch so gut verstehen und so ‚ausgefuchste‘ Sachen machen. Da begleitet nicht der eine, und der andere spielt das Thema oder soliert. Das besondere sind die Arrangements. Auf unserer neuen CD werden wir Stücke von Bix Beiderbecke aufnehmen, Klavier-Solosachen aus den zwanziger Jahren, zum Teil ziemlich wild, und eben für zwei Gitarren eingerichtet.
Im „Blindfoldtest“ erwies sich Nieberle als schwer zu überraschender Kenner. Nach der etwas müden Einleitung der Rhythmusgruppe („Jamie Aebersold?“) war ihm sofort klar, wer da die Sache bluesig auf den Punkt brachte: „Das ist Kenny Burrell! Selbst wenn man genau die gleichen Akkorde spielt, klingt das nie wie beim ihm. Und immer Blues.“
Zu seiner angesprochenen Vorliebe für den arrangierten Jazz der Fünfziger paßte das Trio mit dem kürzlich verstorbenen Red Norvo am Vibraphon, Tal Farlow an der Gitarre und Charles Mingus am Baß: „Typisch fünfziger Jahre: das ist eine echte Band, wie es sie heute praktisch nicht mehr gibt; sehr viel ist durcharrangiert, keine langen Soli. Tal Farlow war der erste wirkliche Bebop-Gitarrist. Wie so viele kam auch er von der Ukulele, die er als Kind spielte. Das war einfach ein kleines und billiges Instrument. Man hört es noch an seiner Spielweise: Mit der linken Griffhand benutzt er die oberen vier Saiten wie bei der Ukulele, die Baßsaiten greift er nur mit dem Daumen.“
Ein wenig zu knacken hatte er zunächst bei Bruno de Filippis Version von Stardust: „Das Gitarrenintro klingt wie Barney Kessel, vom Akkordmelodiespiel her. Er ist es aber nicht, der Sound ist etwas heller.“ Einen Verdacht hatte er aber, und der bestätigte sich prompt mit Beginn des schnelleren Teils: „Ah, Bruno de Filippi“.
Das klassische Duo der Brüder Sergio und Odair Assad kennt und schätzt Nieberle über deren Piazzolla-Projekt. Den Klang der klassischen Gitarren hört er sehr gern, auch deren modernes brasilianisches Repertoire. „Altmodische, klassische“ Gitarrenstücke begeistern ihn weniger.
Neu war ihm immerhin die Grant Green-Aufnahme von Django: „Ein sparsamer Spieler, von dem man viel lernen kann, was die Phrasierung betrifft; er scheut sich auch nicht, einen Einfall in einem Solo drei oder viermal zu bringen. Ein reiner Single-Note-Spieler, von ihm gibt’s keine Akkordsoli. Benson hat viel gelernt von ihm.“
Diskographische Angaben:
– Kenny Burrell: I’m just a lucky so and so („Soul Call“, Prestige 1964)
– The Red Norvo Trio: I’ll remember April („The Savoy Sessions“, Denon 1950/51)
– Bruno de Filippi: Stardust („B. d. F. in New York with Don Friedman Trio“, Carosello Rec. 1992)
– Sergio und Odair Assad: Baiäo Malandro („Alma brasileira“, Electra/Nonesuch 1988)
– Grant Green: Django („Idle moments“ Blue Note, 1963)
Auswahldiskographie Helmut Nieberle:
– mit H. Kagerer: „Wes’ Trane“ (Löffler Verlag); „Skyliner“ (Art by Heart Rec.)
– mit Cordes Sauvages: „Sommer in Wolfsegg“ (Egal Rec.); „Salut to Django“ (Jardis Rec.)
– mit Ch. Meimer: „Life at Berkeley Square“ (Selbstverlag)