Mälzels Magazin

Zeitschrift für Musikkultur in Regensburg

Schriftzug Mälzels Magazin
Hefte2000Nr. 3
mälzels magazin, Heft 3/2000, S. 4–7
URL: http://www.maelzels-magazin.de/2000/3_03_bertali.html

Michael Wackerbauer

Barocke Festoper in Regensburg

Antonio Bertalis L’inganno d’amore von 1653

Das übliche Schicksal barocker Opernhäuser war ein früher Feuertod. Die praktische Bauweise aus Holz und anderen leicht modellier- aber auch brennbaren Stoffen, gepaart mit einer aufwendigen Beleuchtungseinrichtung, die mit offenem Licht arbeitete, war hierfür verantwortlich. Auch Regensburg hat Mitte des 17. Jahrhunderts sein erstes Opernhaus bereits nach kurzer Frist verloren, doch ging es hier ohne eigentliche Zerstörung zu. Das komplette Gebäude wurde einfach zerlegt und um vierhundert Kilometer versetzt in der kaiserlichen Residenzstadt Wien wieder aufgerichtet.

In Wien nahm die etwas eigenartige Geschichte um das mobile Opernhaus auch ihren Anfang. Hier liefen ab 1651 die Planungen für den nach Regensburg ausgeschriebenen ersten Reichstag seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges an. Kaiser Ferdinand III. war daran gelegen, den Rahmen für die Versammlung diesmal besonders prunkvoll zu gestalten, um die Vormachtstellung des Hauses Habsburg im Reich zu demonstrieren.

Der Kaiser hatte sich für seinen Aufenthalt in Regensburg vom Dezember 1652 bis Mai 1654 einiges vorgenommen. Neben den anstehenden Verhandlungen, die sich mit Fragen zur Verfassung des Reiches in Konsequenz des Westfälischen Friedens beschäftigten, verliehen zwei Krönungen im Jahre 1653 dem Reichstag zusätzliches Gewicht: Ferdinands Sohn Ferdinand IV. wurde nach seiner Wahl im Dom zum Römischen König, seine dritte Frau, Königin Eleonora, zur Römischen Kaiserin erhoben.

Dieser Häufung hochkarätiger politischer Geschehnisse hat Regensburg ein herausragendes musikalisch-szenisches Ereignis zu verdanken: Die Aufführung der Oper L’inganno d’amore (Der Liebesbetrug) am Faschingsmontag 1653. Die Anfänge des Musiktheaters in Regensburg sind unmittelbar mit den Aktivitäten der Habsburger auf den Reichstagen und folglich eng mit der italienisch geprägten Musikkultur am Kaiserhof in Wien verknüpft. Die freie Reichsstadt gehörte auf diese Weise zu den ersten Orten nördlich der Alpen, an denen das noch relativ junge italienische Importprodukt Oper in seinen verschiedenen frühen Ausprägungen präsentiert wurde.

Den Anfang dürfte im Jahre 1623 eine inventione con un baletto gemacht haben, die Kaiser Ferdinand II. für seine Frau veranstalten ließ. Dabei handelte es sich wahrscheinlich um ein Ballett, dem eine musikdramatische Einleitung vorangestellt war. Für die folgenden Jahre sind einige Aufführungen dokumentiert, die im Bereich zwischen Ballett und Venezianischer Oper anzusiedeln wären (Seifert 1996, S. 40f.). Als Spielstätte wurde vor allem der Reichssaal im Alten Rathaus genutzt, der um die Mitte des 14. Jahrhunderts als städtischer Tanz- und Festsaal errichtet worden war und seit dem 15. Jahrhundert hauptsächlich dem Rat und dem Patriziat der Stadt zur Repräsentation diente.

Im Hinblick auf den bevorstehenden Reichstag machte man sich natürlich Gedanken zur räumlichen Disposition innerhalb der Stadtmauern. Da der Reichssaal durch die politischen Versammlungen belegt war, wurde im Jahre 1652 an der Westseite des Ägidienplatzes das städtische Ball- und Komödienhaus als neuer Veranstaltungsort geschaffen. Das Gebäude diente nach Umbauten ab 1760 als fürstliche Schauspiel- und Opernbühne des Hauses Thurn und Taxis und wurde 1922 bedauerlicherweise abgerissen.

Die Errichtung einer weiteren Spielstätte wurde ebenfalls 1652 unmittelbar vom kaiserlichen Hof in Wien initiiert: der Bau eines prachtvollen Opern-hauses. Opernaufführungen zählten im Barock zu den wirkungsvollsten Mitteln eines Herrschers, sich in Szene zu setzen und seine Macht zu demonstrieren. Zahlreiche Abbildungen von (wie anfangs erwähnt häufig durch Brände zerstörten) Theaterbauten der Zeit zeigen den überbordenden Prunk ihrer Ausstattung.

Außergewöhnlich an dem Regensburger Bauvorhaben war, daß das Gebäude für nur eine Produktion, ja nur eine Aufführung konzipiert wurde. Die Planung für das kurzlebige Projekt legte Ferdinand III. in die Hände des kaiserlichen Hofbaumeisters Giovanni Burnacini, der noch bis 1652 in Mantua tätig war. Als Baugrund stand dem italienischen Theaterarchitekten der Garten des vier Jahrzehnte zuvor mit Unterstützung des Kaisers Matthias gegründeten und dessen Namenspatron geweihten Kapuzinerklosters (das spätere Kloster St. Klara) beim Ostentor zur Verfügung. In dieser peripheren Lage befand sich damals (wie übrigens noch heute) die größte nicht bebaute Fläche innerhalb der Stadtmauern.

Eine Reihe gedruckter Quellen (dargestellt bei Baumann 1986) entfaltet uns ein anschauliches Bild von der Vorbereitung und Durchführung des Opernspektakels: „Das gantze Theatrum“ – so Plato-Wild in seiner Regensburgischen Chronica – „war von eitel Brettern auffgerichtet in der Grösse und Höch eines ziemlichen Kirchen-Gebäus. Von innen waren zu sehen auf beyden Seiten 2. lange Gänge über einander [...] etlich tausend Personen umb zuzusehen einen bequemen Sitz machten.“ (ebda, S. 214) Wie üblich gab es einen genauen Plan, wie der Zuschauerraum mit seinen zwei Galerien nach den Ständen sortiert zu belegen war. Auch „guthen“ Regensburger Bürgern wurde das Recht zugestanden, der Veranstaltung beizuwohnen, doch kamen nur wenige zum Zuge, da Mitglieder des kaiserlichen Hofstaates auch ohne Eintrittskarte zugelassen wurden.

Was bekam nun das versammelte Publikum geboten? L’Inganno d’amore, Dramma de Benedetto Ferrari – ein Gesamtkunstwerk aus Architektur, maschinenunterstütztem Bühnenzauber, Dichtung, und natürlich Musik, die in diesem Fall leider verschollen ist. Sie war das erste und möglicherweise aufsehenerregendste Bühnenwerk des kaiserlichen Hofkapellmeisters Antonio Bertali, einem gebürtigen Veroneser, der seit etwa 1625 in Wien tätig war.

Während das Notenmaterial nur für den konkreten Anlaß der Aufführung handschriftlich für die Ausführenden kopiert wurde und deshalb oft verloren ging, fanden die Libretti in gedruckter Form weitere Verbreitung. Eine auch unter politischen Gesichtspunkten so hoch eingestufte Festoper rechtfertigte darüber hinaus die Publikation einer aufwendig gestalteten Broschüre, die den Besuchern als dauerhaftes Erinnerungsstück dienen sollte. Diesem Druckwerk kann man entnehmen, wo ein klarer Schwerpunkt der Aufführung lag: Eine möglichst spektakuläre Bühnenhandlung war mindestens ebenso wichtig wie alles andere, was eine Oper ausmacht. Nicht nur, daß der Bühnenbildner und -maschinist Burnacini, „Röm: Kays: Mayest: Ingenier“, neben dem Komponisten und dem Textdichter Benedetto Ferrari genannt wird, er wird sogar mit einem gestochenen und qualitätvoll gerahmten Portrait besonders hervorgehoben.

Neben dem Libretto in italienischer Sprache enthält das Programmheft zudem eine deutschsprachige Inhaltsangabe, die mit sieben Szenenbildern aufwendig illustriert ist. Man beschränkte sich bei dem erläuternden Text nicht auf die Wiedergabe des nur mühsam nachvollziehbaren Plots, der den Konventionen des Liebesverwicklungsdramas venezianischer Prägung folgt. Den Reiz macht vielmehr die detaillierte Beschreibung des Bühnengeschehens aus (in Ausschnitten bei Baumann 1986, S. 214ff.).

Ort der in der Antike spielenden Handlung ist der Palast des Königs von Kreta sowie das die Insel umgebende Meer. Zwei Liebespaare königlichen und fürstlichen Geblüts können nicht zueinander kommen, da die jeweiligen Partner verfeindeten Gruppen angehören. Nach diversen Abenteuern auf dem Wasser und zu Land, bei denen Flucht, Entführung, Verstellung und Verwechslung die entscheidenden Zutaten sind, finden sich am Ende alle glücklich vereint. Selbstverständlich greift bei all dem auch die Götterwelt ein, die dabei ihre eigenen Scharmützel ausficht.

Gerade die überirdischen Handlungselemente boten ausreichend Gelegenheit für effektvolle Auftritte. Daß die Bühnenmaschinerie des Opernhauses vom Feinsten war, stellte gleich das erste Bild unter Beweis: Unter Blitz und Donner fährt Amor vom Himmel zur Erde, um Fortuna, die sich auf ihrem Glücksrad über den Wassern bewegt, wegen ihrer Schuld am Liebesleid der Paare zu bekämpfen. In anderer Beleuchtung kehrt dasselbe Bühnenbild gegen Ende der Oper wieder. Fortuna sitzt schließlich besiegt und mit flehender Gestik in einem sinkenden Schiff, während Venus in einem von Tauben gezogenen Wagen von rechts hereinschwebt. Sie fordert ihren Sohn Amor auf, so der Programmhefttext, „in ihren Schoß zu kehren, welcher auch dahin geflogen. Hymenaeus der Hochzeit-Gott begabe sich Majestätisch auf einer silbern Wolcken auf die Erde [...]: Worauf sich die Wolcke allmählich wieder in die Höhe gezogen, Amor aber als ein Siegreicher Überwinder floge gantz schnell gen Himmel.“ (nach Baumann 1986, S. 216f.)

Auch in der zweiten der beiden Zwischenaktunterhaltungen wollte man nicht auf eine akrobatische Einlage verzichten: Da „flogen vom Himmel 4. Furien schnell zur Erden, zu denen sich andere 4. gefunden, so getanzt und wieder durch die Lufft davon geflogen.“ (ebda., S. 216) Das erste Intermedium ergötzte das Publikum dagegen mit einem sehr bunten Personal. Da gab es tanzende Mohren, denen sich fünf „Kerle“ zugesellten, die dem Maul eines ungeheuren Drachens entstiegen. Nach deren Abtritt „seynd von 4. Orthen 4. Zwerche in roth gekleidet mit grossen Hüten und angegürteten Trömmlein einher getantzt zu denen sich 4. Riesen gefunden und nach geendigtem Tantz die vier Zwerche einander zu geworffen und gefangen.“ (ebda.)

Bei den Szenen, die im Bereich des königlichen Palastes auf Kreta spielen, boten sich Burnacini alle Möglichkeiten, phantastische Architekturen zu entwerfen. In der Programmschrift findet man Darstellungen vom Vorhof der Residenz, des Inneren eines Tempels (Abb. 4), eines Gartens mit endlosen Kolonaden und eines „hochprächtigen“ Saales. Es sind stets reich ausgezierte Bauten, die den Eindruck großer Dimensionen vermitteln. Die Bühnentechnik war so ausgefeilt, daß die Verwandlungen zwischen zwei Bildern „ohne Vorziehen eines Vorhanges“ binnen eines Augenblicks geschehen konnten.

Für Ferdinand III. verlief der Reichstag auf politischer Ebene eher enttäuschend, da nur wenige der schwebenden Fragen gelöst werden konnten. In den Annalen des Musiktheaters wird er dagegen immer mit einem gewichtigen Ereignis verknüpft bleiben: einer der spektakulärsten Produktionen der frühen Oper in Deutschland. In Regensburg war die Aufführung von L’inganno d’amore schnell Geschichte und blieb in ihrer Art ein singuläres Ereignis. Das Opernhaus wurde noch im selben Jahr zerlegt und samt Ausstattung auf Flößen nach Wien geschafft, wo es im kaiserlichen Arsenal eingelagert wurde. Die Kostüme gingen zu weiterer Verwendung in die Bestände des Hoftheaters ein. Sein Altenteil verbrachte das erste Regensburger Opernhaus ab 1659 noch für ein paar Jahre als zweite kaiserliche Spielstätte auf dem Wiener „Thummelplatz“, dem heutigen Josefsplatz, vor der Hofreitschule.

Literatur:
– Wolfgang Baumann: Fastnacht und Fastenzeit 1653, in: Feste in Regensburg. Von der Reformation bis in die Gegenwart, hrsg. von K. Möseneder, Regensburg 1986, S. 213–219. – Herbert Seifert: Die Oper am Wiener Kaiserhof im 17. Jahrhundert, Tutzing 1985. – Ders.: Frühes italienisches Musikdrama nördlich der Alpen: Salzburg, Prag, Wien, Regensburg und Innsbruck, in: „in Teutschland noch gantz ohnbekandt“, Monteverdi-Rezeption und frühes Musiktheater im deutschsprachigen Raum, hrsg. von M. Engelhardt, Frankfurt a. M. u. a. 1996, S. 29–44.

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