Juan Martin Koch und Claus Lochbihler
Interview mit Richard Wiedamann, dem „grand old man“ des Regensburger Jazz
In Sachen Jazzweekend gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht zu vermelden. Zunächst die gute: Der Einstieg der Motion Events GmbH, die sich mit der Vermarktung des Regensburger Stadtmarathons einen guten Namen gemacht hat, ist endgültig beschlossene Sache. Damit besteht die Aussicht, daß sich die finanziellen Rahmenbedingungen des Weekends ab dem kommenden Jahr verbessern. Dies würde den Musikern zu Gute kommen und eine künstlerische Profilierung des Festivals ermöglichen – ohne daß am alten, bewährten Konzept des Bayerischen Jazzweekends gerüttelt würde.
Die schlechte Nachricht: Bei Redaktionsschluß war noch nicht sicher, ob die Brückstraßen-/Ambrosius-Bühne – ein bewährter Auftrittsort für Fusion und Mainstream-Jazz, der zum Jazzweekend so dazu gehört wie das Bruckmandl zur Steineren Brücke – dieses Jahr überhaupt bespielt werden kann: Überraschend hat die Stadt nämlich zeitgleich mit dem Weekend die von Peter Kittel organisierte Vorauswahl der Regensburger Teams für das Strudelrennen beim Fest der Bayern genehmigt. Vor dem Hintergrund der letztjährigen Erfahrungen steht damit ein üppig beschallter Event ins Haus, der akustisch wie sicherheitstechnisch für den Jazz in der Brückstraße das Schlimmste befürchten läßt. Über dies und manches andere unterhielt sich „Mälzels Magazin“ mit Richard Wiedamann, dem Leiter des Bayerischen Jazzinstituts und langjährigem Organisator des Jazzweekends.
Mälzels Magazin: Für das Jazzweekend im nächsten Jahr gibt es ein neues Konzept: Wie ist die Idee entstanden, mit der Marketing-Agentur vom Stadtmarathon – der Motion Event GmbH – zusammenzuarbeiten? Und wie sieht dieses neue Konzept aus?
Richard Wiedamann: Die Musiker müssen endlich besser bezahlt werden. Wenn man da nichts investiert,
dann ist irgendwann mal die Luft raus. Als wir in Regensburg das allererste Jazzweekend veranstaltet haben, ist so etwas weit
und breit nirgendwo gelaufen. Mittlerweile gibt es ähnliche Veranstaltungen Gott weiß wo. Hinzu kommt, daß bei
den vielen Festen, die immer stärker Event-Charakter annehmen, Jazzer mehr Beschäftigungsmöglichkeiten haben als
früher. Wir sind aber nach wie vor bei dem Satz von 1985, das heißt die Musiker spielen noch immer für 100 Mark
pro Mann/Frau und Auftritt. Und selbst wenn man in Zukunft bei den 100 Mark bleibt, dann müßten diese wenigstens bei
den Musikern bleiben: Manche müssen so hohe Fahrtkosten bestreiten, daß davon kaum etwas übrig bleibt.
Man darf außerdem nicht übersehen, daß ein großer Teil der künstlerischen Beratung und
Organisation bislang von mir ehrenamtlich geleistet worden ist. Ich bin jetzt aber 68 und irgendwann hat das seine Grenzen. Man
wird – wenn man das Jazzweekend weitermachen will – zu einer Form kommen müssen, in der bezahltes Management
sich der Sache annimmt. Es muß einfach etwas passieren. Vom künstlerischen Bereich her gibt es natürlich gewisse
Ideen: Man könnte beispielsweise Akzente setzen, indem man den europäischen Aspekt stärker einbezieht. Aber all
das kostet natürlich mehr Geld. Wenn wir Musiker aus unseren Partnerstädten einladen möchten, dann braucht man
zusätzliche Geldmittel und Übernachtungsmöglichkeiten. In dieser Richtung gibt es mit dem alten Konzept leider
gar keinen Bewegungsspielraum. Die Überlegung war nun die folgende: Die Leute vom Stadtmarathon haben ihre eigene
Organisationsgesellschaft ins Leben gerufen, die aber mit dieser einen Veranstaltung allein nicht ausgelastet ist. Die sind nun
auf die Idee gekommen, sich mit einer kulturellen Initiative zusammenzutun, weil sich dann weniger Reibungsflächen ergeben
als wenn ein weiteres Sportereignis vermarktet wird. Leider hat sich die Vertragsgestaltung mit der Stadt so lange hingezogen,
daß der Vertrag erst Ende März unter Dach und Fach war. Damit war natürlich klar, daß die Auswirkungen in
diesem Jahr kaum spürbar sein werden. Im Millenniumsjahr kommt hinzu, daß alle Sponsoren bereits abgegrast sind.
M.M.: Mit welcher Größenordnung rechnen Sie in finanzieller Hinsicht für das kommende Jahr?
Wiedamann: Wir haben heuer – wie schon die letzten Jahre – rund 500 Musiker. Der Bargeldzuschuß der Stadt in Höhe von 50.000 Mark geht also für die Musikerhonorare drauf. Wenn wir nicht die Zahl der beteiligten Musiker, sondern deren Honorare verdoppeln wollen, brauchen wir also weitere 50.000 Mark. Das wäre das Maximalziel. Das Minimalziel ist das Ersetzen der Fahrtkosten und vielleicht auch ein Übernachtungsangebot für Musiker, die nicht mehr nach Hause fahren können.
M.M.: Wird die Stadt Regensburg auch weiterhin diesen Zuschuß von 50.000 Mark leisten?
Wiedamann: Den leistet sie weiterhin. Wir haben außerdem Wert darauf gelegt, daß die Stadt auch in Zukunft als Veranstalter fungiert: Wenn die Stadt mitspielt, tut man sich vor allem organisatorisch wesentlich leichter. Die Veranstalter bleiben also dieselben, Motion Events kommt als neuer Partner hinzu.
M.M.: Ist gewährleistet, daß das bewährte Profil des Jazzweekends – gerade auch als Podium für die bayerische Szene und den Nachwuchs – nicht verwässert wird?
Wiedamann: Alle Partner sind sich darin einig, daß wir den speziellen Charakter des Weekends als Nachwuchsfestival erhalten wollen. Vom künstlerischen her wäre über Projekte und bessere Bedingungen für die Musiker sicherlich mehr möglich – ohne daß das Profil als Ganzes gefährdet wäre. Aber wie ich schon gesagt habe: In dem Moment, in dem ich schon über die Fahrtkosten, die Übernachtung oder die Probezeiten stolpere, ist an so etwas einfach nicht zu denken.
M.M.: Gibt es schon erste Reaktionen von möglichen Sponsoren auf das neue Konzept?
Wiedamann: Obwohl die Sache noch kaum angelaufen ist, haben erste Vorgespräche ganz interessante Perspektiven eröffnet: Eines der großen Hotels will zum Beispiel ein „Jazzweekend-Wochenende“ anbieten. Die sind dann natürlich daran interessiert, daß auch bei ihnen ein Klaviertrio spielt.
M.M.: Wenn wir das richtig sehen, ist die Initiative für dieses neue Konzept größtenteils vom Bayerischen Jazzinstitut ausgegangen?
Wiedamann: In Zusammenarbeit mit dem Jazzclub. Winnie Freisleben hat das von Anfang an begleitet. Das erste Gespräch fand überhaupt zwischen ihm und der Motion Events GmbH statt.
M.M.: Wie sieht es mit dem Engagement der Stadt in Sachen Jazz aus? Es gibt ja auch Negativbeispiele aus den vergangenen Jahren: Etwa den Weggang des Landesjugendjazzorchesters, das seinen Sitz von Regensburg nach Marktoberdorf verlegt hat.
Wiedamann: Das mit dem Landesjugendjazzorchester verlief etwas unglücklich. Zwei Punkte haben dabei
eine Rolle gespielt: In Marktoberdorf gab es jemanden, der sich bereit erklärte, die Organisationsfunktion für das
Landesjugendjazzorchester zu übernehmen. Leider kam dann noch hinzu, daß sich Herr Greipl, der damalige
Kulturreferent, sagen wir mal, sehr ‚cool‘ verhalten hat. Das hat wiederum den Hauptfinanzier des
Landesjugendjazzorchesters – den Freistaat – veranlaßt, davon auszugehen, daß in Regensburg an
städtischem Engagement nicht allzu viel zu erwarten ist. Aus Regensburger Sicht ist das natürlich bedauerlich: In
Sachen Jazz haben wir uns ja schon einen gewissen Ruf erworben.
Die Jazzszene wäre meiner Meinung nach kein
schlechter Marketingfaktor für unsere Stadt. Da ist Herr Oberbürgermeister Schaidinger mit mir einer Meinung. Die
Frage ist jedoch, wie das in der Praxis zum Tragen kommt. Die Situation erscheint gegenwärtig nicht gerade
entwicklungsfähig. Dabei besteht vom Jazzinstitut her grundsätzlich kein Anlaß zur Klage: Den Stand halten zu
können ist angesichts der allgemeinen Finanzmisere sicher schon positiv einzustufen. Ich muß froh sein, wenn alle
Beteiligten hierzu bereit sind, weil die Gefahr natürlich groß ist, daß eine Verminderung des städtischen
Engagements auf die Haltung des Freistaates durchschlagen könnte. Zu derartigen Befürchtungen gibt es gegenwärtig
aber wirklich keinen Anlaß.
Etwas gedämpft wurde allerdings mein anfänglicher Optimismus beim Amtsantritt von Kulturreferent Klemens Unger,
nachdem Peter Kittel jetzt auf dem Jazzweekend herumtrampeln darf. Verbal hat sich Herr Unger ja sehr aus dem Fenster gelehnt
und seine Wertschätzung für den Jazz zum Ausdruck gebracht. Ich war sehr froh, daß jemand Kulturreferent wurde,
der für musische Werte auf der musikalischen Seite viel übrig hat. So hätte ich auch erwartet, daß er das
Weekend vor Kittels überschäumenden Barbarismen bewahrt. Er konnte es nicht.
Wir sollten sensibler sein im Umgang mit gewachsenen Strukturen, aber auch ganz allgemein mit unserer Stadt. Beim Weekend
haben wir uns ja immer darum bemüht, die Veranstaltung in einem Rahmen zu belassen, der sich mit der Stadt verträgt.
So erklärt sich auch das von uns im Interesse der Anlieger vertretene Veranstaltungsende um 22 Uhr. Wir versuchten durch
Appelle an Musiker und Techniker auf erträgliche Lautstärke hinzuwirken, großen Ballungserscheinungen durch
Ausweitungsansätze des Areals (Schloßcafé) zu begegnen, das unvermeidliche Wachstum nicht zusätzlich zu
forcieren. Ich glaube, daß man in Regensburg in Sachen Veranstaltungen in den letzten Jahren dort keine besonders
glückliche Hand hatte, wo man auf Masse setzte.
Ich bin auch ein erbitterter Gegner dieses Kultursommers auf dem Haidplatz, der über keinerlei Konzept verfügt.
Das ganze ist doch ein auf dem mit einer schaurigen Tribüne vergewaltigten Herzplatz der Stadt angesiedelter
Gemischtwarenladen, und da wundert man sich auch noch, daß keiner von Kiel nach Regensburg fährt, um sich das
anzuhören. Die Carmina Burana gibt es doch auch in Hamburg oder sonst wo.
M.M.: Stichwort Kultursommer: Ist es nicht seltsam, wenn man auf der einen Seite ein neues, finanziell mit großen Risiken behaftetes Festival aus dem Boden stampft, auf der anderen Seite aber nur sehr wenig für die Fortentwicklung des seit 20 Jahren erfolgreichen Jazzweekends getan wird?
Wiedamann: Das kann man so sehen. Und natürlich hat das seine Gründe, auch wenn das etwas klischeehaft klingen mag: Aber nach wie vor ist kaum jemand da, der mit dem Jazz als kultureller Größe etwas anzufangen weiß, während das bei der Klassik in der Regel kein Problem ist. Daß die Vielfalt musikalischer Spielarten die besondere Stärke einer Stadt sein kann, kapieren leider nur wenige. Mindestens so verdienstvoll wie das Jazzweekend sind ja die Tage Alter Musik – auch ein Festival, das vor allem von privater Initiative lebt und weit über Regensburg hinaus wirksam ist. Wenn diese Veranstaltungen miteinander verklammert wären, könnte sich Regensburg als Musikstadt profilieren – von der alten Musik bis zum Jazz.
M.M.: Wie beurteilen Sie die Situation des Jazz insgesamt – in Regensburg und auf Landesebene?
Wiedamann: Was die Ausbildung betrifft, sind wir hier in Regensburg – mit der Städtischen Musikschule und der Music Academy – sicherlich sehr viel besser dran als andere Städte. In Bayern wird ja auch an den Konservatorien Jazz unterrichtet, Nürnberg ist zur Hochschule aufgestiegen, auch in Würzburg gibt es Jazz an der Hochschule. Von daher ist der Jazz auf Landesebene nicht schlecht bedient. Was ich persönlich sehr bedauerlich finde, ist, daß die Musikwissenschaft sich nicht um den Jazz kümmert. Das hat unter anderem zur Folge, daß es nur wenige gibt, die über Jazz wirklich kompetent schreiben können. Gelehrt wird das Handwerkszeug des Jazzmusikers, aber die Musikwissenschaft paßt nach wie vor.
M.M.: Konnten Sie gewisse Trends bei der Vorbereitung des anstehenden Jazzweekends feststellen?
Wiedamann: Die Münchner Szene ist unheimlich stark dabei. Dagegen hatten wir weniger Bewerbungen aus Franken als früher. Auffällig ist auch, daß sich heuer mehr Oldtime- und Dixie-Bands beworben haben. Vielleicht werden die wieder selbstbewußter, was ich begrüßen würde. Aus der Free-Jazz-Ecke, aus der wir eine zeitlang viele interessante Gruppen hatten und die den Justitia-Hof geprägt hat, ist das Angebot ganz entschieden weniger geworden. Vielleicht liegt es daran, daß sich viele experimentelle Gruppen irgendwann einmal nicht mehr als Jazz-Bands, sondern als Ensembles im Kontext der Improvised Music empfunden haben. Nach wie vor prägt der moderne Mainstream das Weekend.