Mälzels Magazin

Zeitschrift für Musikkultur in Regensburg

Schriftzug Mälzels Magazin
Hefte2000Nr. 4
mälzels magazin, Heft 4/2000, S. 4–9
URL: http://www.maelzels-magazin.de/2000/4_03_spaethorgel.html

Martina Topp

Kunst im Kirchenraum

250 Jahre Späth-Orgel in St. Oswald, Regensburg

„Wie wohl die Orgeln in erster Linie für das Gehör und zu Gottes Lob wie zur Betrachtung himmlischer Dinge und zur Hilfe den göttlichen Sängern gebauet werden – So ist es doch nicht destoweniger eine Zier der Kirchen, wenn die Orgel ein rechtes Ansehen hat und durch schickliche Figuren und Gemälde zur Andacht reizt.“

Mit diesen Worten beschreibt Arnolt Schlick bereits 1511 in seinem Werk Spiegel der Orgelmacher und Organisten die vielseitigen Funktionen der Orgel im Kirchenraum. Wie bei keinem anderen Musikinstrument vereinen sich in ihr musikalische, technische und ästhetische Komponenten zu einem untrennbar miteinander verbundenen Gesamtkunstwerk. Dabei können diese Schwerpunkte je nach Zeit und Landschaft unterschiedlich gewichtet sein. So wurde im barocken Süddeutschland besonderer Wert auf die künstlerische Gestaltung des Instruments und seine Eingliederung in den Kirchenraum gelegt. Häufig wurden sogar komplizierte technische Konstruktionen in Kauf genommen, um bestimmte optische Vorstellungen verwirklichen zu können. Obwohl oft Werke von besonderem ästhetischen Rang geschaffen wurden, bleibt bis heute eine kunsthistorische Betrachtung der Orgel eher die Ausnahme. Der folgende Artikel soll am Beispiel der Späth-Orgel in der St. Oswaldkirche zu Regensburg zeigen, daß ein derartiger Blickwinkel durchaus lohnend sein kann.

Franz Jacob Späth (1714–1786), der Schöpfer der Oswaldorgel, gehörte zu den renommiertesten Instrumentenbauern seiner Zeit. Ihm wird die Erfindung des Tangentenflügels zugeschrieben, einer Kombination aus Clavichord, Cembalo und Hammerklavier, die aber aufgrund ihres eher nüchternen Klangbildes keine größere Verbreitung fand. Späths Ruhm gründete sich hauptsächlich auf seine Tätigkeit als Klavierbauer. Von seiner Arbeit als Orgelbauer zeugen nur zwei Werke: Die Orgeln in den protestantischen Regensburger Kirchen St. Oswald und Dreieinigkeit. Von letzterer ist nur noch das Gehäuse vorhanden. Eine weitere Orgel sollte Späth für den Regensburger Dom St. Peter schaffen. Dieses Projekt wurde jedoch nie ausgeführt. Späth erhielt letztendlich – nachdem er bereits ein Modell der neuen Orgel angefertigt hatte – nur den Auftrag, das alte Werk zu reparieren. Dennoch spricht es für seine Wertschätzung in der Stadt, daß hierfür ein evangelischer Meister herangezogen wurde, obwohl es in Stadtamhof mehrere katholische Orgelbauer gab, die diese Arbeit ebenfalls hätten übernehmen können.

Spätestens seit dem 18. Jahrhundert kann der süddeutsche Kirchenraum nicht mehr als additive Zusammenstellung einzelner Ausstattungselemente gesehen werden. Es zeichnet sich immer deutlicher die Entwicklung ab, einheitliche Innenräume zu schaffen, die die unterschiedlichen Kunstgattungen zu einem großen Ganzen vereinen. Deshalb erscheint es notwendig, bei der Betrachtung der Orgel und im besonderen ihres Gehäuses auch auf den Raum einzugehen, für den sie geschaffen wurde.

Für die nicht vollständig gesicherte Baugeschichte der St. Oswaldkirche scheinen zwei Ereignisse von Bedeutung gewesen zu sein. Zum einen die Ansiedlung eines Karmeliterkonvents in den angrenzenden Gebäudeteilen seit 1290 und zum anderen die Stiftung eines Frauenspitals in den Jahren 1306/07 durch die Regensburger Patrizierfamilien der Auer und Prager. Die genauen Umstände des Neubaus der St. Oswaldkirche im frühen 14. Jahrhundert sind nicht geklärt. 1553, elf Jahre nach der offiziellen Einführung der Reformation in Regensburg, wurde St. Oswald von den Protestanten als Gottesdienstraum übernommen. Durch die anwachsende Gemeinde wurde im Jahr 1604 eine Erweiterung des Kirchensaales notwendig. Interessanterweise ist diese stilistisch genau auf die Bauteile des 14. Jahrhunderts abgestimmt und vermittelt so den Eindruck einer geschlossenen gotischen Anlage. Im Jahr 1708 wurde das Langhaus barockisiert. Die hier entstandenen Stukkaturen an der Decke und an den Emporenbrüstungen werden Künstlern der Wessobrunner Schule zugeschrieben. Von 1724–26 erfolgte schließlich auch die Umgestaltung des Chores. Die überwiegend in Malerei, Stuck und Freskotechnik ausgeführte Dekoration der Kirche umfaßt ein zusammenhängendes Programm protestantischer Religionslehre. Hauptthema der Darstellung ist die antithetische Gegenüberstellung von Altem und Neuem Testament.

Bevor es 1750 zum Neubau der Orgel in der St. Oswaldkirche kam, vergingen mehrere Jahrzehnte, in denen die kleinste protestantische Kirche Regensburgs sich mit den „abgelegten“ Orgeln aus der Neupfarrkirche bzw. Dreieinigkeitskirche zufrieden geben mußte. 1707 kam es zu einem ersten Neubau, der durch ein Legat von Susanna Magdalena Gumpelzhaimer ermöglicht wurde. Orgelbauer war der auch als Organist tätige Jacob Harrer. Das Werk Harrers muß von sehr minderer Qualität gewesen sein, denn ein Ansuchen zur Verbesserung dieser Orgel wurde bereits 1744 gestellt. Diesmal stammte es von dem an St. Oswald beschäftigten Organisten Georg Hiller. Dieser wurde vom Rat zur Geduld aufgefordert, da die „kriegerischen Zeitläufe“ ein derartiges Projekt nicht gestatten würden. Im Dezember 1748 schrieb der Kantor der Kirche, Johann Emanuel Minderlein, an den Rat der Stadt, wobei er auch an das Gesuch des Organisten Georg Hiller erinnerte. Die Konsequenzen aus dem maroden Zustand des Instrumentes beschrieb er mit folgenden Worten: „... daß wegen dessen [des Orgelwerks] Schwäche kein Lied, das nur etwas lang an Versen daraus gepredigt werden, wo nicht der stark angewachsenen Gemeinde sofort 2 Thon herabfällt und ich und der Organist ohne unser Verschulden prostituiert, und es beßer wäre, der Organist hörte zur selben Zeit auf zu spielen, indeme weder er noch ich mit den wenigen Alumnis vermögend die starke Gemeinde im Thon zu erhalten. Woher es dann kommt, daß in und außer der Kirchen eine erstaunliche Disharmonie vermerkt wird ...“ Im weiteren ging er auf die Mängel des Werkes ein und bat darum, Spenden für die Orgel bei der Bürgerschaft eintreiben zu dürfen. Minderlein hatte mit seinem Brief Erfolg, noch im gleichen Monat erhielt er die Erlaubnis, Gelder zu sammeln. Außerdem wurde er dazu aufgefordert, im Beisein des Hauptkantors Christoph Stolzenberg und der Kirchenpröbste einen Kostenvoranschlag von dem Regensburger Klavier- und Orgelbaumeister Franz Jacob Späth erstellen zu lassen, der sich schließlich auf 1200 fl. belief. Der Neubau wurde ausschließlich durch Spenden der Gemeindemitglieder finanziert. Trotzdem mußte die Genehmigung dazu vom Rat der Stadt bzw. vom Kämmerer eingeholt werden. Da Späth einen Pauschalpreis anbot, der die Arbeiten anderer Handwerker beinhaltete, sind diese bis auf den Schlosser und den Vergolder, nicht namentlich bekannt. Ein bedeutender Mitarbeiter Späths war Mozarts Lieblingsklavierbauer Johann Andreas Stein (1728–1792), der genau während der Bauzeit der Oswaldorgel in Späths Werkstatt in Regensburg beschäftigt war. Obwohl sich keine direkten Hinweise auf seine Tätigkeit an der Oswaldorgel finden lassen, ist doch mit großer Sicherheit anzunehmen, daß ein derartiges Projekt wenigstens zeitweilig den gesamten Werkstattbetrieb in Anspruch genommen haben dürfte.

Franz Jacob Späth hat sein Werk signiert und datiert. In der Positivwindlade wurde bei der letzten Restauration ein Zettel mit folgender Inschrift gefunden: „Frantz Jacob Späth iunior / bürgerlicher Orgell und Instrumentenmacher / fecit Regenspurg 1750. / Durch Jesu Gnadentrieb soll meine Orgel klingen, / gib Jesu deinen Geist, so wird es wohl gelingen“. Die Einweihung des neuen Instruments erfolgte am 3. Weihnachtsfeiertag des Jahres 1750. Christoph Stolzenberg hatte dazu eigens eine Kantate über den Text des 150. Psalmes komponiert.

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war der Originalbestand der Orgel trotz mehrmaliger Reparaturen und Änderungsmaßnahmen weitgehend erhalten geblieben. Erst durch einen Umbau der Orgelbaufirma Paul Ott aus Göttingen (1953/55) wurde die Substanz der Orgel weitgehend zerstört. So wurde das Erscheinungsbild des Instruments technisch und klanglich im Sinne der damals vorherrschenden Vorstellung einer norddeutschen Barockorgel verändert. Der Wert des Werks als Beispiel für den süddeutschen Orgelbau war nicht erkannt worden. Die letzte Restaurierung (1986–1991) durch die Firma Klais aus Bonn sollte das Instrument dem Zustand seiner Erbauungszeit wieder möglichst nahe bringen. Die Rekonstruktion orientierte sich hauptsächlich an den noch original erhaltenen Teilen des Werkes.

Bei dem von Franz Jacob Späth gebauten Instrument handelt es sich um eine vollmechanische Schleifladenorgel. Die achtzehn klingenden Register verteilen sich auf zwei Manuale und das Pedal. Der Tonumfang der beiden Klaviere beträgt je 49 Töne, das Pedal umfaßt 22 Töne. Die Orgel besitzt eine Schiebekoppel II an I und eine Pedalkoppel I an P. Als weitere Spielhilfe ist ein Tremulant eingebaut, der auf beide Manuale wirkt. Die 1992 rekonstruierte Disposition lautet (Reihenfolge der Register gemäß ihrer Aufstellung auf der Windlade):

I. HAUPTWERK C – c'''
1. Regula primaria (= Prinzipal 8')
2. Miscella acuta (= Mixtur 5f. 2')
3. Cornetti (C 2' 1 1/3 c'' 2 2/3 2')
4. Sesquialtera (C 2 2/3 1 3/5)
5. Diapason (= Oktave 4')
6. Gamba con traverso (8')
7. Fugare (8')
8. Quintitenens (= Quintadena 8')
9. Plineata major (= Gedackt 8')
10. vakant
II. POSITIV C – c'''
1. Diapente (= Quinte 2 2/3)
2. Flageolet (2' offen)
3. Tibia vulgaris (= Blockflöte 4')
4. Bourdon (8')
5. Salicet (4')
Schiebekoppel II – I
PEDAL C – a°
1. Basset (= Prinzipal 4')
2. Pileata Maxima (= Subbaß 16')
3. Basso di Violone (= Violonbaß 16')
ZUSATZLADE IM UNTERGEHÄUSE
4. Violone (Oktavbaß 8')
SPIELHILFEN
Tremolo
Tutti (= Pedalkoppel)

Die Temperierung der Orgel erfolgte nach der Stimmanweisung von J. F. Hering für den Orgelbau von Herrieden bei Ansbach aus dem Jahr 1778. Die Stimmtonhöhe beträgt bei 8°C 450 Hz, was in etwa dem um einen Halbton höheren Cornetton, dem Stimmton der Bläser und Stadtpfeifer, entspricht.

Für die kunstgeschichtliche Auswertung einer Orgel sind das Gehäuse und der Zierrat des Instruments von besonderem Interesse. Erst durch sie kann es vom Nutzobjekt zum Kunstwerk avancieren. Die Oswaldorgel befindet sich auf einer Empore an der Westseite der Kirche. Diese mußte 1750 eigens für das Instrument verbreitert werden. Wegen der Höhe der Orgel wurde zudem die zweite Westempore mit ihrem Bilderzyklus entfernt. Das Werk gliedert sich klar in ein eher schlicht gehaltenes Unter- und ein aufwendig verziertes Obergehäuse. Das Untergehäuse wird durch die vier Füllungen und die mittig eingesetzte Spielnische vertikal charakterisiert. Besonders schön ist die karniesbogenförmige Spielschranköffnung gearbeitet. Fein ziselierte Schlösser, perfekte Verarbeitung und edle Materialien, wie etwa Messing, Elfenbein und Ebenholz, machen sie zu einem handwerklichen Kleinod. Selbst die Tastenstirnseiten sind einzeln mit Intarsien geschmückt.

Der Übergang zum leicht vorspringenden neungliedrigen Obergehäuse erfolgt durch ein breites reich profiliertes Gesims, das von Rocaillebändern umrahmt wird. Den oberen Abschluß des Gehäuses bildet ein geschwungenes, zur Mitte hin stark abfallendes zweites Gesims. Dieses dient den drei Engelsfiguren auf der Gehäusedecke als Standfläche. Es handelt sich hierbei um zwei jugendlich anmutende Trompetenengel, die an den Außenseiten der steilen Harfenfelder sitzen und einen kindlichen Putto, der in der Mittelachse des Prospektes stehend Pauke spielt. Hinterfangen wird die Komposition durch einen von Wolkenbändern umrahmten Strahlenkranz, in dessen Mitte die Heilig-Geist-Taube erscheint. Aus den Wolken blicken vier geflügelte Puttenköpfe in den Kirchenraum hinab. Im Prospekt selbst dominieren die silberfarbenen Pfeifenflächen und die vergoldeten Rocailleschnitzereien der Lisenen und Schleierbretter. Der Prospekt wird hier nicht in Türme gegliedert, sondern erscheint als eine eher flächig wirkende Einheit. Die einzelnen Flach- und Harfenfelder werden in sich durch die unterschiedlichen Pfeifenlängen, Fuß- und Mundhöhen rhythmisiert. Außerdem folgen die mit Spitzlabien versehenen Pfeifen in der Ebene dem Gesimsverlauf. Durch den seitlichen Lichteinfall wird so eine interessante Licht- und Schattenwirkung erzielt. Besonders aufwendig ist die Schnitzerei gefertigt. Die Schleierbretter weisen die unterschiedlichsten Durchbrechungen auf. Vierpässe, Kreise, Ovale oder Nierenformen wechseln sich hier ab. Auch die Rocaille zeigt diverse Schmuckarten und Ornamente: Muscheln, Blumen, Blattwerk, Feuerzungen, C- und S-Schwünge sind zu erkennen.

Bei näherer Betrachtung des kulturhistorischen Hintergrunds der Motivauswahl zeigt sich, daß sich der symbolische Inhalt der einzelnen Darstellungen zu einem komplexen theologischen Gesamtkonzept zusammenfügt. Musizierende Engel, wie sie auch die Orgel Franz Jacob Späths in der Oswaldkirche zieren, gehören wohl zum ältesten und beliebtesten Schmuck an Orgelprospekten. Vom 13. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts fehlen sie an fast keinem bedeutenden Orgelwerk.

Obwohl Martin Luther keine spezifische Engelslehre entwickelte, finden sich auch im evangelischen Kirchenbau Engelsdarstellungen. Engel gelten für Luther als Mitstreiter und Mitwirkende an der göttlichen Regierung über die Welt und das Leben des Einzelnen. Sie werden als wehrhafte Gegenspieler der teuflischen Mächte gesehen (Gen 3,24; Apk 21,12). Außerdem existiert bereits seit der Zeit der Kirchenväter die Vorstellung von der Anwesenheit der Engel beim kirchlichen Gottesdienst und ihrer Teilnahme an der Liturgie des Himmels sowie am Gottesdienst der Kirche (Jes 6,3). Den Engeln war so der Lobpreis des Herrn als Dienst anvertraut worden. Spätestens seit dem Mittelalter haben sich Klassifikationen der Musik herausgebildet, die auch im 18. Jahrhundert noch bekannt waren. Es wurden musica instrumentalis, musica humana, musica mundana und musica coelestis unterschieden, wobei letztere die ranghöchste Art darstellte. Analog dazu wurden die Engel als optimi musici betrachtet. In Psalm 148, Vers 2-3 wird der Zusammenhang zwischen der Musik der Sphären, die in der musica coelestis zusammengefaßt ist, und der Musik der Engel aufgezeigt: „Lobet ihn, alle seine Engel, lobet ihn all sein Heer! Lobet ihn, Sonne und Mond, lobet ihn, alle leuchtenden Sterne“. Die irdische Liturgie wurde als Abglanz und zugleich Teil dieser universalen Liturgie verstanden. Damit wurde sie zur eigentlichen Aufgabe der Gläubigen. Die Engel am Orgelgehäuse waren also Abbilder der optimi musici. Das Orgelspiel selbst galt als Abglanz der musica coelestis.

Von Interesse ist auch die Wahl der Instrumente Trompete und Pauke, welche die Engel auf dem Gehäuse der Oswaldorgel spielen. Beide galten durch ihre Entwicklungsgeschichte hindurch als majestätische Herrschaftsinstrumente. Sie dienten dem Einberufen von Versammlungen, zur Untermalung feierlicher Anlässe und zur Begleitung kriegerischer Auseinandersetzungen. Alle drei Aspekte finden sich im christlichen Gottesdienst wieder. Erstens stellt der Gottesdienst eine Versammlung der Gemeinde der Gläubigen dar, zweitens sind Trompeten und Pauken als Instrumente des Herrschers würdig, die feierliche Gestaltung des Gottesdienstes zu übernehmen und drittens ist ihr kriegerischer Charakter gut mit den apotropäischen Eigenschaften der Engel vereinbar. Es ist in dem Zusammenhang sicher auch kein Zufall, daß Gottes Stimme in der Apokalypse 1, Vers 10 gleich dem Klang einer Posaune – der Vergrößerungsform der Trompete – beschrieben wird. Hier ergibt sich eine direkte Verbindung zum Wort Gottes. Ein weiterer Punkt, warum Orgelgehäuse häufig mit Instrumenten geschmückt wurden, liegt sicher in der Vorstellung, die Orgel enthalte alle anderen Instrumentenarten.

Neben den musizierenden Engeln befindet sich noch eine Abbildung des Heiligen Geistes als Taube im Strahlenkranz auf dem Orgelgehäuse. Dieser ist nach christlichem Verständnis ebenfalls bei der Versammlung der Gemeinde anwesend. Die Darstellung als Vogel basiert auf dem Evangelienbericht der Taufe Jesu (Matth 3). Die Kraft der dritten göttlichen Person zeigt sich durch windartiges Brausen und flammendes Feuer (Apg 2, 2-3). Beide Wirkungsarten des Geistes können mit der Orgel in Verbindung gebracht werden. Auch diese erzeugt mit Hilfe des „Windes“ den Ton in den Pfeifen. Die Verbindung von Heiligem Geist und Klang findet sich ebenso im Römerbrief wieder (Röm 8, 26). Noch deutlicher zeigt sie jedoch die protestantische Lieddichtung. Paul Gerhard schrieb 1653 in dem Pfingstlied Zeuch ein zu deinen Toren: „Du bist der Geist, der lehret, wie man recht beten soll; [...] dein Singen klinget wohl, es steigt zum Himmel an, es läßt nicht ab und dringet, bis der die Hilfe bringet, der allen helfen kann.“

Der Strahlenkranz erscheint neben seiner Funktion als Gloriole auch als Ausdruck der geistigen Macht, wie sie im Pfingstwunder den Jüngern zuteil wurde. Die Sonne gilt in der christlichen Kunst zudem als Quelle des göttlichen Lichts. In barocken Kirchenausstattungen findet man deshalb häufig Strahlengloriolen an Kanzeln, Altären und Orgeln. Im katholischen Bereich sind Strahlenmonstranzen weit verbreitet. Die besondere Wirkung des Strahlenkranzes in der St. Oswaldkirche beruht auf ihrer Kombination mit dem sich dahinter befindenden Okulus. So wird der Eindruck vermittelt, das hereinscheinende Licht gehe von der Sonnenabbildung aus. Die Heilig-Geist-Taube erscheint „mystisch“ verklärt im Gegenlicht. Gerade am Abend, wenn die Strahlen der untergehenden Sonne durch die westliche Fensteröffnung in das Kircheninnere fallen, wird die ganze Orgel von einem feierlichen rotgoldenen Glanz überflutet.

Die Anwesenheit Gottes im Kirchenraum wird so am Orgelgehäuse durch Licht und Schall – beides für den Menschen eigentlich unfaßbar – versinnbildlicht. Denn durch die Form des Strahlenkranzes auf der Orgel drängt sich der Vergleich mit dem Schalloch eines Saiteninstruments auf. So erscheint die Gloriole nicht nur als Ursprung des Lichts, sondern auch als Quelle des klingenden Tons. Gottes Offenbarung in Vision und Audition wird hier in engste Beziehung zueinander gebracht.

Der Schmuck der Orgel nimmt aber nicht nur auf die göttliche, sondern auch auf die irdische Sphäre Bezug. Betrachtet man etwa die Rocaille, so kann man Beispiele für die vier Elemente erkennen. Züngelnde Flammen stehen für das Feuer, Muscheln und Wellen für das Wasser, Blumen und Zweige für die Erde. Da die Luft unsichtbar ist, erscheint sie indirekt im Wehen der Engelskleider. Die Luft ist es schließlich, die die Orgel zum Klingen bringt.

Auch die Zahlensymbolik spielte im Orgelbau eine wichtige Rolle. Hier war z. B. die Pfeifenzahl von Belang. Da die originale Disposition der Oswaldorgel nicht vorhanden ist, können hier leider keine Überlegungen mehr angestellt werden. Die Neungliederung des Prospekts verweist allerdings traditionsgemäß auf die Himmelschöre. Zählt man alle Engel zusammen, die im Zusammenhang mit der Orgel gesehen werden können – dazu gehören auch die beiden Putten auf den Emporenaufsätzen – kommt man wieder auf die Zahl Neun, wodurch der Symbolcharakter noch verstärkt wird. Neun bildet sich aus der Summe von 3+3+3. Die Drei gilt als die Zahl Gottes. Aber auch die Vier ist am Orgelprospekt häufig vertreten. Vierpaßformen treten vermehrt auf, vier Puttenköpfe ragen aus dem Wolkenband heraus und vier Pfeifenfelder sind mit einem 4fuß-Register bestückt. Die Vier steht für das irdische Universum und für die Elemente. Die häufige Verwendung von Drei- und Vierzahl bei der Gehäusegestaltung versinnbildlicht so die Annäherung von Gott und den Menschen im christlichen Gottesdienst.

Der Zierrat der Oswaldorgel zeigt von unten nach oben eine deutliche Steigerung. So bleibt das Untergehäuse betont schlicht, während sich im rocaillegeschmückten Prospektbereich schon die Bekrönung durch den Figurenschmuck der Decke ankündigt. Die Darstellung des Heiligen Geistes schließlich bildet den absoluten Höhepunkt der Anlage. Die Orgel soll also optisch und klanglich die Verbindung zwischen Himmel und Erde sichtbar machen. Ihre liturgische Funktion kommt so in der Gehäusegestaltung voll zum Ausdruck, denn nur in diesem Instrument, das in seiner Art eine Vermittlerposition einnimmt, zeigt sich die wechselseitige Beziehung zwischen göttlicher und irdischer Sphäre. Die Orgelmusik ist „Abbild der himmlischen Liturgie“, sie kann sowohl Wort verkünden als auch auf verkündetes Wort antworten. In dieser alternierenden Haltung liegt ihre Besonderheit.

Der Bildhauer, der den qualitätvollen Gehäuseschmuck ausgeführt hat, konnte leider nicht ermittelt werden. Möglicherweise handelt es sich um einen Meister aus dem Umkreis Simon Sorgs. Unklar bleibt auch, wer das ikonographische Konzept entworfen hat. Dieses vereint liturgische und theologische Gesichtspunkte miteinander. Die Orgel scheint so als Verbindungsglied zwischen Himmel und Erde, Gott und der Menschheit. Die Skulpturen und die Musik tragen dazu bei, daß der Betrachter eine Ahnung von den jenseitigen Freuden erfahren kann. Dabei bleibt nichts zufällig, alle Elemente stehen miteinander im Zusammenhang.

Die von Franz Jacob Späth im Jahr 1750 für die St. Oswaldkirche in Regensburg gebaute Orgel ist so im doppelten Sinne ein besonders wertvolles historisches Dokument. Einerseits bildet sie ein seltenes Beispiel für eine auch im Werk erhaltene Orgel des 18. Jahrhunderts. Ihr Klang und ihre Mechanik ermöglichen einen authentischen Eindruck von der Aufführungspraxis süddeutscher Barockmusik. Andererseits zeigt die Orgel ein durchdachtes künstlerisches Programm. Bedeutung und Aufgabe des Instruments werden fein aufeinander abgestimmt deutlich gemacht. In der hier vorhandenen Dichte ist das äußerst selten. Obwohl aus dem überlieferten Formenrepertoire geschöpft wurde, entstand in seiner speziellen Zusammenstellung ein Konzept, das zumal in Regensburg einmalig ist.

Literatur:
– Heinrich Herrmann: Die Regensburger Klavierbauer Späth und Schmahl und ihr Tangentenflügel, Diss. Erlangen 1928.
– Klaus Könner: Der süddeutsche Orgelprospekt des 18. Jahrhunderts. Entstehungsprozeß und künstlerische Arbeitsweisen bei der Ausstattung barocker Kirchenräume, in: Tübinger Studien zur Archäologie und Kunstgeschichte, Bd. 12, Tübingen 1992.
– Eberhard Kraus: Historische Orgeln in der Oberpfalz, München/Zürich 1990.
– Armin Ruhland: Die Barockausstattung der St. Oswaldkirche in Regensburg, Magisterarbeit Regensburg 1987.
– Martina Topp: Die Späth-Orgel in der St. Oswaldkirche zu Regensburg, Magisterarbeit Regensburg 1999.
– Herbert Weiermann: Der süddeutsche Orgelprospekt des 17. und 18. Jahrhunderts, Diss. München 1956.

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