Juan Martin Koch
Hans Schanderls Mälzel-Oper Der Maschinist im Deutschen Pavillon uraufgeführt
„Kannten Sie den Mann?” – „Ein Unterhaltungskünstler.” Ob Johann Nepomuk Mälzel mit dieser Beurteilung hätte leben können? Librettist Lutz Hübner läßt ihn zumindest damit sterben und beendet mit diesem Dialog einen Text, der den Regensburger Erfinder von Musikmaschinen und Namensgeber unseres Magazins erstmals als Protagonisten einer Oper verewigte. Ort der Uraufführung, einer Produktion des Magdeburger Theaters, war am 16. September der Deutsche Pavillon auf der Expo, als Komponist zeichnete Hans Schanderl verantwortlich, Jahrgang 1960, Geburtsort: Regensburg.
1. Akt, Regensburg: Der junge Mälzel, am menschlich-prosaischen Alltag in der bayerischen Provinz mehr und mehr leidend, verfällt der Poesie des Mechanischen in Gestalt einer Spieluhr: „Das ist treu und zuverlässig, ob Frieden ist oder Krieg. So schön spielt kein Mensch und keiner tanzt so zierlich.“
Hans Schanderl ging nach dem Abitur am Goethe-Gymnasium und dem Wehrdienst beim Heeresmusikkorps an die Musikhochschule in Hannover. Über die Rockmusik, das Spielen in Bands, war er auf der Suche nach neuen Klängen an der Gitarre zur Klassik gekommen. Diese Offenheit setzte sich im Studium fort: „Die Hochschule hat mir auch viele inhaltliche Impulse gegeben, die außerhalb des traditionellen Lehrplans lagen, etwa ein Seminar mit dem ehemals deutschen Sitar-Spieler Manfred Junius, einem hervorragenden Mittler der indischen Musikkultur. Diese Musik hatte mich schon immer sehr angesprochen, und das unmittelbare Erleben öffnete mir Augen und Ohren.“ Sein Interesse für außereuropäische Musik fand intensiven Niederschlag in Studienaufenthalten (Indien, Guinea, Türkei) und in der Beschäftigung mit einem Instrument, das auch seine kompositorische Entwicklung stark prägte: dem persischen Hackbrett Santour. Dessen Reichtum an Obertönen, die Beschränktheit auf die diatonische Skala, die er als heilsames Hindernis endlosen Modulierens empfand, schulten sein Gefühl für das Aufbauen von langen Spannungsbögen und ermöglichten ihm so, in größeren Formverläufen zu denken.
2. und 3. Akt, Wien: In der Musikmetropole gelingt es Mälzel nach und nach, das Getriebe des Erfolgs vom Sand der Konkurrenz und der institutionellen Hürden zu befreien. Mit seinem mechanischen Trompeter erobert er das Wiener Publikum: „Noch halten sie es für menschliche Kunst. – Jetzt den Schleier hoch. Das hat der Mälzel gemacht. Der zeigt euch jetzt Himmel und Hölle!“
Mit seiner auf der Tonalität basierenden Schreibweise hat Schanderl einen Weg eingeschlagen, der ihn von den offiziellen Institutionen der neuen Musik zwangsläufig wegführte. Als Hüter eines fragwürdigen Fortschrittsbegriffs ziehen sich diese Kreise Schanderls Meinung nach in eben jene Abschottung zurück, die sie selbst immer beklagen: „Da werden die eigenen Süppchen lauwarm aufgekocht. Zuweilen begegnet man einer unglaublichen Mischung aus Vorurteilen, Sturheit und Verbocktheit.“ Zur Tonalität sieht Schanderl für sich keine Alternative: „Sie ist ein unglaublich breites Feld, das enorm viele Nuancen an Ausdrucksmöglichkeiten bietet. Die Bereiche, in denen man sich von der Tonalität wegbewegt, halte ich für legitim, sehe aber keine Ausschließlichkeit darin.“ Schanderl, für den die Begegnung mit der Vokalpolyphonie Josquins zu einem Schlüsselerlebnis wurde, versteht das „Komponieren“ im Sinne von „zusammensetzen“ auch als Zurückgreifen auf Bestehendes. Der Einsatz „neuer Mittel“ stelle für ihn keine fixe Größe dar, sondern sei immer in Beziehung zu setzen zur eigenen Erfahrung, so Schanderl. Vielleicht ist es vor diesem Hintergrund bezeichnend, daß sich als ein Schwerpunkt in seinem Schaffen das Komponieren für Chor herausgebildet hat. Der Polnische Kammerchor Danzig, der die Werke Krzysztof Pendereckis exklusiv uraufführt, hat sich mehrfach für Schanderl eingesetzt, etwa für sein beeindruckend dichtes 16stimmiges Chororatorium „Joannes Baptista“.
4. und 5. Akt, London, Philadelphia, Havanna: An der Konstruktion einer mechanischen Sängerin gescheitert, geht Mälzel mit dem Schachtürken auf Tournee. Doch sein Gefährte Schlumberger läßt, in der Maschine sterbend, den Schwindel auffliegen – Mälzel säuft sich zu Tode.
Wie in einem Mälzelschen Musikautomaten hätten bei der Uraufführung nun alle Rädchen perfekt ineinander greifen können: Die Reflexion über das beginnende Maschinenzeitalter als Opernsujet in den Expo-Schwerpunkt „Mensch-Natur-Technik“; Hans Schanderls minimalistisch-polyrhythmische Verfremdungen tonaler Klangvorräte in das Libretto Lutz Hübners, das die Historie poetisch auf Distanz hält. Hübner gewinnt der Geschichte von Aufstieg und Fall des Metronom-Vermarkters eine unaufdringliche Relevanz ab, doch „ein Rädchen hakt, eine Feder ist zu lahm“: Mälzels Symbole menschlicher Unvollkommenheit manifestierten sich vornehmlich in der Inszenierung. Der Magdeburger Intendant Max K. Hoffmann höchstselbst hatte Hand angelegt und den Text in einen nicht einmal farbigen Bilderbogen historisierender Ambition verwandelt, dem sogar das Zeug zum Ambiente fehlte. Gewiß waren die Möglichkeiten beschränkt, grenzte die technische Umsetzung der Produktion doch ans Abenteuerliche: Die Proben fanden komplett in Magdeburg statt, wo das Stück nach der Uraufführung weiter zu sehen sein wird. In den August-Everding-Saal des Deutschen Pavillons konnte das Team erst am Tag der Premiere, mit einer kurzen Stellprobe mußte alles erledigt sein. Die Chancen zu jener Art von Distanzierung, die das Libretto vorgibt und die eine Beschränkung der bühnentechnischen Möglichkeiten eben auch geboten hätte, wurden indes vertan. Dafür Perücken und Lakaienkostüme aus dem Fundus, unspektakuläre Modelle von Panharmonikum, Druckmaschine und Schachtürke, das Ganze in eine gähnende Bühnenleere gestellt.
Dann wieder Reduktion der Handlungselemente bis zur Unkenntlichkeit, wenn Mälzels Scheitern an der Konstruktion einer mechanischen Sängerin schlicht nicht stattfand und man sich – sofern etwas vom Text hörbar wurde – fragte, woran der tragische Held hier eigentlich verzweifelt. Der dramaturgische Wendepunkt, den diese Szene bedeutet, war damit verschenkt. Dabei hatte das Magdeburger Team die technischen Hürden (teilweise verdeckter Graben, Sängermikrophone, Chor aus dem Off) gut im Griff, nicht aber das Problem der Textverständlichkeit, womit dem Stoff das Rückgrat genommen war.
Denkbar schlechte Voraussetzungen also für die Entfaltung der Musik eines Komponisten, der die vom Libretto vorgegebenen Stimmungsbilder durch seinen musikalischen Ausdruck zu verstärken versteht. In den inszenatorisch pointierteren Momenten, vornehmlich im zweiten Akt, kann sie so ein atmosphärisch dichtes Eigenleben entfalten, gibt einen oft repetitiven Grundpuls vor, der sich den dramatischen Notwendigkeiten flexibel anpassend mal zurücknimmt, mal stärkere Akzente setzt. Oder aber Mälzels Triumph am Ende des dritten Aktes: Obwohl von der Inszenierung nur mäßig unterstützt, steigern sich effektvoll instrumentierte rhythmische Strukturen zu eindrücklicher Wucht. An anderen Stellen aber, wo das konventionell abgespulte Bühnengeschehen den Stoff so gar nicht zur Entfaltung bringt, vermag auch Schanderls Musik nicht durchweg, diesen Verlust an theatralischer Dimension auszugleichen.
Damit hängt es auch zusammen, daß die Intensität in den beiden letzten Akten hörbar nachläßt. Hier nähert sich die Partitur mit vielen gesprochenen Passagen – obschon nicht ins rein Untermalende abgleitend – phasenweise einer Schauspielmusik an. Das geht bis zu einem gewissen Grad mit dem dramatischen Spannungsbogen konform, wirkt aber auch qualitativ als Antiklimax.
Insgesamt erfreulich die musikalische Umsetzung: Das Ensemble nahm sich ohne Ausfälle und engagiert der konventionell sanglichen Partien an, allen voran der darstellerisch etwas steife Roland Fenes als Mälzel sowie der agilere Ingo Anders in der Rolle des Jugendfreundes Anton. Christian Ehwald und die Magdeburger Philharmonie sorgten – bisweilen von naheliegenden Metronomen unterstützt – dafür, daß sich die Reibungsverluste im instrumentalen Räderwerk in Grenzen hielten.
Ein zumindest teilweise Regensburger Stoff, von einem Regensburger Komponisten vertont: Wäre das nicht ein naheliegendes Stück für das hiesige Theater? Schanderl hatte, als das Projekt vor zwei Jahren ins Rollen kam, mit Intendanz und Dramaturgie Kontakt aufgenommen, wo man sich allerdings bedeckt hielt. Vielleicht dringt die Kunde nun mit größerer Wirkung in die Heimatstadt Mälzels und Schanderls zurück, wo sich eines Tages möglicherweise ein einfallsreicheres Regieteam des Werkes annimmt.