Mälzels Magazin

Zeitschrift für Musikkultur in Regensburg

Schriftzug Mälzels Magazin
Hefte2001Nr. 2
mälzels magazin, Heft 2/2001, S. 12–13
URL: http://www.maelzels-magazin.de/2001/2_05_sudetenmusik.html

Gerhard Heldt

Grenzüberschreitende Aktivitäten

10 Jahre Sudetendeutsches Musikinstitut in Regensburg

Die Sudetendeutschen, nach der Vertreibung heute schon oft in dritter Generation als „vierter Stamm“ in Bayern lebend, haben eine alte und sehr weit gespannte Musikkultur, die oft verkannt wurde und wird. Man kennt die großen tschechischen Komponisten Dvorák, Smetana und Janácek, aber kaum einen spezifisch sudetendeutschen. Hier ist nach den Wirren des 2. Weltkriegs zunächst privat viel gesammelt und geforscht worden. Eine geordnete Pflege dieses Kulturerbes kam nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erst richtig in Gang, als gegenseitige Vorurteile weitgehend ausgeräumt werden konnten und man in West wie Ost daranging, Versäumtes aufzuarbeiten und Verschüttetes ans Tageslicht zu holen.

Unter der Trägerschaft des Bezirks Oberpfalz, dessen östliche Nachbarn die Tschechen sind, nahm im November 1990 der sudetendeutsche Komponist Widmar Hader seine Arbeit als Gründungsdirektor eines Instituts auf, das sich der Erforschung, Pflege und Verbreitung sudetendeutschen Musikguts vom Mittelalter bis zur Gegenwart widmen sollte. Der Institutionalisierung des Sudetendeutschen Musikinstituts (SMI) am 21. April 1991 ging ein Festakt voraus, zu dem u.a. der stellvertretende tschechische Kultusminister nach Regensburg kam. Die ideologischen Grenzen waren nach den politischen nun auch offen für eine intensive Zusammenarbeit zwischen Musikinstitutionen hüben und drüben. Hader ist seither ein unermüdlicher Promoter für die Pflege der Musik seiner Heimat und nützt seine weltweiten Verbindungen, um die Arbeit des von ihm geleiteten Instituts über die Grenzen Regensburgs hinaus zu propagieren.

Man bezog zunächst Mieträume in der Von-der-Tann-Straße. Seit fünf Jahren residiert die Forschungsstätte im Bereich des Bezirksklinikums in der Ludwig-Thoma-Straße 14, wo derzeit und bis auf weiteres genügend Platz für die vielfältigen Aktivitäten vorhanden ist. Hier kann man im Festsaal Kammerkonzerte und Symposien veranstalten, und die ehemalige Klosterkirche St. Vitus steht als Raum für größere Konzerte zur Verfügung. Das SMI verbindet Wissenschaft und Praxis, arbeitet mit dem Festival Mitte Europa – Böhmen, Sachsen, Bayern ebenso eng zusammen wie mit den Universitäten Regensburg (Bohemicum) und Brünn.

Für Oberpfälzer und Regensburger ist das SMI ein wenig konkreter Begriff. Was sich dahinter verbirgt, muß man selbst erfahren haben, um den Rang dieser Forschungs- und Sammelstätte ihrer Bedeutung gemäß einordnen zu können. Das Haus verfügt heute über eine Bibliothek mit mehreren 10.000 Praktika (Noten) und Theoretika (Büchern) und ein Archiv mit zahlreichen umfangreichen Nachlässen von Komponisten, Interpreten und Forschern. Eine Phonothek (Sammlung von Tonträgern) ist im Aufbau.

Ein kleiner fester Mitarbeiterstamm (vier), wechselnde Praktikanten und ein großer Kreis an Zulieferern aus aller Welt haben in den zehn Jahren seit der Gründung Erstaunliches geleistet. Das Erfassungsgebiet ist räumlich zwar überschaubar, reicht zeitlich aber über ein knappes Jahrtausend und behandelt unterschiedlichste Bereiche der Musik. Hier [12/13] sind hauptsächlich Generalisten gefordert, die sich in der Musikgeschichte und all ihren historischen, politischen, geographischen und soziologischen Aspekten vom Mittelalter bis zur Gegenwart ebenso auskennen wie mit Einzelaspekten von Gattungen, Instrumenten, Stilen, Einflüssen, Interpretationswandel etc. vertraut sind. Zudem sollten jederzeit Spezialisten abrufbar sein, die in tiefergehenden Einzelfragen weiterhelfen können. Das funktioniert seit zehn Jahren bestens, denn ein großer Teil der Arbeit des SMI besteht heute in der Erteilung von Auskünften, die inzwischen locker zwischen den Ländern abgefragt und ausgetauscht werden.

Etwas mühsam war die Arbeit zu Beginn, da während der letzten fünfzig Jahre sudetendeutsche Musikkultur und -pflege ausschließlich im Westen stattfand. Erst langsam fand man über gemeinsames Musizieren und Musikhören zusammen. Eine wesentliche Klammer bildeten und bilden hier die jährlich stattfindenden Sudetendeutschen Musiktage, die seit 1991 sowohl in Bayern als auch in der Tschechischen Republik stattfinden und Musiker und Hörer aus beiden Ländern weiter zusammenführen. Hier werden Kompositionen aus drei Jahrhunderten mit einem Schwerpunkt bei den Werken der gegenwärtig Schaffenden vorgestellt. Die Interpreten kommen zu fast gleichen Anteilen aus beiden Ländern. Hinzugekommen sind die seit 1990 im egerländischen Elbogen durchgeführten Elbogener Orgelfeste. Die Rettung und Restaurierung der historischen Orgel von Johann Leopold Burkhardt in der Dekanatskirche St. Wenzel in Elbogen an der Eger (Geburtsort von Widmar Hader) war 1990 die Initialzündung für diese jährlichen Orgelfeste.

Als Zuschußgeber des SMI sind vor allem der Freistaat Bayern (Schirmland der Sudetendeutschen), die Sudetendeutsche Stiftung und die Stadt Regensburg (Patenstadt der Sudetendeutschen) dankbar zu nennen. Zu den grenzüberschreitenden Tätigkeiten zählen auch sudetendeutsch-tschechische Musiksymposien, die in unregelmäßigen Abständen unter der Obhut des SMI mit Beteiligung deutscher und tschechischer Universitäten durchgeführt werden, sowie Veröffentlichungen (Forschungsbeiträge, Berichte, Festschriften und Tonträger).

Damit man sich nun aber ein Bild von den Tätigkeiten des SMI machen kann, seien die Arbeitsbereiche im einzelnen kurz vorgestellt (vgl. Sudetendeutsches Musikinstitut. Träger: Bezirk Oberpfalz: Kurz-Infos Nr. 13–21. Regensburg 2000):

– Sammlung, Sicherung und archivalische Erschließung von handschriftlichen Quellen und Dokumenten sowie von Druckerzeugnissen (Noten, Bücher, Zeitschriften, wissenschaftliche Arbeiten), Bild-, Ton- und Tonbildträgern (Schallplatten, MCs, CDs, Videos), Bilddarstellungen (Fotos, Zeichnungen, Drucke), Musikinstrumenten, Nachlässen
– Herausgabe von Büchern (z.B. das 2000 erschienene zweibändige Lexikon zur Deutschen Musikkultur. Böhmen, Mähren, Sudetenschlesien – München: Langen Müller Verlag), Bild-, Ton- und Tonbildträgern
– Durchführung von Forschungsprojekten
– Bereitstellung der Bestände für Forschung, Musikpraxis und Musikerziehung
– Durchführung von wissenschaftlichen Veranstal­tungen
– Veranstaltung von Konzerten und Musiktagen
– Zusammenarbeit mit Medien, Institutionen, Universitäten, Hochschulen, Veranstaltern, Wissenschaftlern und Künstlern in Europa, USA und Israel.

Dieses kleine, höchst effektiv arbeitende Institut hat mit seinem Leiter und seinen Mitarbeitern in kurzer Zeit sehr viel erreicht; ein früherer Bürgermeister nannte es „eine Perle in der Stadt Regensburg“. Inzwischen ist es aus der Region deutlich herausgetreten, und man darf dem SMI zum Zehnjährigen wünschen, daß es auch künftig entsprechend seiner europäischen Präsenz (dafür liegen mehr als genug Beweise vor!) gewürdigt und auch finanziell gefördert wird.

© mälzels magazin 1998–2005
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