Mälzels Magazin

Zeitschrift für Musikkultur in Regensburg

Schriftzug Mälzels Magazin
Hefte2001Nr. 2
mälzels magazin, Heft 2/2001, S. 16–17
URL: http://www.maelzels-magazin.de/2001/2_07_velodrom.html

Michael Wackerbauer

Zwischen Varieté und Hochkultur

Mit einer Studie zum Velodrom startet die Regensburger edition vulpes eine neue Reihe

Susanne Hansch: Varieté-Tänzerinnen, Salon-Humo-risten und Excentric-Radfahrer. Das Regensburger Varieté-Theater Velodrom, Regensburg: edition vulpes 2000, 159 S., DM 36,80

„Ali Baba und die 40 Räuber“ gegen „Die Entführung aus dem Serail“ – das war einmal. Wo einst ein mutiger Unternehmer mit unterhaltsamen Programmen dem Stadttheater die Kundschaft abwarb, hat sich heute die offizielle Hochkultur eingenistet: im Velodrom. Die heftige Diskussion um Abriß oder Sanierung des lange ungenutzten Gebäudes in den 80er Jahren, die turbulenten und lebensrettenden Aktionen um Klaus Caspers und Jakob Kaiser Anfang der 90er und schließlich die überaus glückliche Wiedererweckung als Spielstätte des Theater Regensburg, führten in den vergangenen zehn Jahren zu einer Reihe von Publikationen zum Thema Velodrom. Den beeindruckenden Anfang machte 1990 eine neunzig Seiten starke Broschüre des Woche-Journalisten Günter Schießl: Simon Oberndorfers Velodrom. Auf den Spuren eines Regensburger Bürgers, die zu einem wesentlichen Teil den Grundstein für die große Popularität und Akzeptanz des Gebäudes legte. Schießl stellte erstmals das faszinierende Leben des Erbauers und Direktors „Sepperl“ Oberndorfer dar, eines angesehenen jüdischen Mitbürgers, der nach gescheiterter Flucht 1943 zusammen mit seiner Familie im Vernichtungslager Sobibor ermordet wurde. Hier findet man bereits einen breiten Strauß an Aktivitäten und Veranstaltungen ausgebreitet, mit denen Oberndorfer einen herausragenden Platz im Regensburger Kulturleben errang.

Schießls Büchlein, das u.a. durch einen Beitrag von Günter Gebauer zur Baugeschichte ergänzt wurde, war Anregung und Leitfaden für eine Magisterarbeit, die 1993 von Susanne Hansch am Lehrstuhl für Volkskunde der hiesigen Universität verfaßt wurde und Ende letzten Jahres als erster Band der Studien zur Regensburger Stadtkultur in dem jungen Regensburger Verlag Edition Vulpes herausgekommen ist.

Hansch interessierte in ihrer Arbeit der Zeitraum von der Planungsphase des Theaters über die Eröffnung 1897 bis zu seiner vorläufigen Schließung im Jahre 1914. Der Schwerpunkt liegt bei der ausführlichen Präsentation des Unterhaltungsangebots Simon Oberndorfers und anderer im Velodrom abgehaltener Veranstaltungen. Dem geht ein auf Schießl basierender Abriß von Oberndorfers Leben (wiederholt von Eginhard König u.a. dargestellt) voran, gefolgt von einem Kapitel zum Gebäude selbst und den langwierigen Genehmigungsverfahren (ebenfalls Inhalt einer unlängst vom Planungs- und Baureferat [16/17] herausgegebenen ausführlichen Schrift: Die Geschichte eines Regensburger Gebäudes: Das Velodrom). In diesen einleitenden Kapiteln wird ein Problem der Publikation klar, das man der Autorin nicht anlasten kann: sie kommt in dieser Form, nämlich als nicht aktualisierter, wörtlicher Abdruck einer sieben Jahre alten Magisterarbeit, um Jahre zu spät heraus. Gerade bei einem Thema, das seit geraumer Zeit derart stark im Rampenlicht steht, hätte man sich eine neue Durchsicht der an sich gelungenen und umfangreichen Arbeit gewünscht: Das Literaturverzeichnis endet im Jahre 1991 ...

Abgesehen davon ist das Buch – gerade in seinem Hauptteil – sehr lesenswert. Über die ambivalente Haltung des Stadtmagistrats gegenüber dem erfolgreichen Etablissement hatte Hansch bereits im Rahmen einer Vortragsreihe des Regensburger Vereins für Volkskunde im Juni 1996 referiert: hin- und hergerissen zwischen der Einsicht um die Notwendigkeit eines längst überfälligen großen Veranstaltungsortes und der berechtigten Bedenken um eine existenzbedrohende Konkurrenz für das Stadttheater, fuhr die Verwaltung einen nicht ganz nachvollziehbaren Schlingerkurs um die Erteilung notwendiger Konzessionen. Womit Oberndorfer die Regensburger Bevölkerung ins Velodrom lockte, präsentiert Hansch reich bebildert in seiner ganzen Breite. Durch die Auswertung der Ankündigungen und Besprechungen in der Tagespresse erhält sie einerseits statistisches Material zur Programmgestaltung mit den varieté-spezifischen Sparten Artistik, Tanz, Gesang, Komik, Dressur oder Film; andererseits ist es ihr möglich, Aussagen zum Publikumsgeschmack und zu gesellschaftlichen Tabus zu machen und dabei über das publizistische Echo im Vergleich zur sogenannten „Hochkultur“ zu reflektieren.

Mit großem Vergnügen studiert man Künstlernamen mit den zugehörigen Programmtiteln und fühlt sich beim Lesen der umfangreich wiedergegebenen zeitgenössischen Beschreibungen wie auf einer Zeitreise. Sehr nützlich ist der neu hinzugefügte Anhang mit den nach Sparten und Spielzeiten geordneten Namen der Varieté-Künstler. Die Zweiteilung der betrachteten Veranstaltungen in das „Unterhaltungsangebot Simon Oberndorfers“ und das „Vereinsleben im Velodrom“ mag zwar korrekt sein, mindert allerdings manchmal den praktischen Gebrauch. Will sich beispielsweise ein fleißiger Velodrom-Besucher über Konzertveranstaltungen vor 90 Jahren informieren, so findet er in verschiedenen Kapiteln die „Militärkonzerte“ (Veranstaltung Oberndorfers), ein Festkonzert des Musikvereins (vereinsbezogene Veranstaltung), dessen Abo-Konzerte (öffentliche Konzerte) und das 2. Bayerische Musikfest unter Leitung von R. Strauss (überregionale Veranstaltungen). Daß international renommierte Interpreten wie Max Reger (3 Konzerte) überhaupt keine Erwähnung finden und Felix Weingartner mit dem Kaim-Orchester (heute Münchner Philharmoniker) neben der „berühmtesten Erscheinung im Velodrom“ Lona Barrison mit ihrer „Boudoire-Scene“ verblaßt, irritiert ein wenig.

Mit Susanne Hanschs sehr schön aufgemachtem Buch, zu dem sich in der neu eröffneten Reihe hoffentlich möglichst bald weitere Titel gesellen werden, ist in jedem Fall ein wichtiger Teil der Regensburger Stadtkultur beleuchtet worden. Herzliche Glückwünsche an den Verleger Norbert Stellner, der mit viel Mut und Engagement einen vielversprechenden Weg eingeschlagen hat.

© mälzels magazin 1998–2005
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