Magnus Gaul
Carl von Dalberg und seine Bedeutung für das Regensburger Theaterleben
Schlendert man vom Westen Regensburgs durch das Jakobstor stadteinwärts, so fällt der Blick unweigerlich auf ein Gebäude, das derzeit einer grundlegenden Sanierung unterzogen wird: das Theater der Stadt Regensburg. Daß es sich dabei um eine längst überfällig gewordene Baumaßnahme handelt, ist bei Insidern unumstritten; denn die für die Aufrechterhaltung des regulären Spielbetriebs allzu begrenzten Räumlichkeiten und die veraltete Bühnentechnik genügten bei weitem nicht mehr den gewachsenen Ansprüchen eines professionellen Unternehmens. Zugegeben: All die Neuerungen ziehen den interessierten Beobachter in ihren Bann, und er erwartet – mit einigen Hoffnungen verbunden – die Eröffnung der Spielzeit 2001/02 im sanierten Haus. Die Geschichte des Theaters und insbesondere die Frage nach der Person, die sich in der Vergangenheit um die Entstehung dieser Bühne verdient gemacht hat, sollte in der aktuellen Diskussion aber nicht verblassen.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lag Regensburg am Boden – politisch, gesellschaftlich, kulturell. Am Jakobsplatz, dem heutigen Bismarckplatz, war damals noch das alte „Zeughaus“ zu finden. An ein stehendes Theater mit ganzjährigem Spielbetrieb war noch nicht zu denken. Der Reichsdeputationshauptschluß von 1803 bedeutete für Regensburg das Ende einer mehr als ein halbes Jahrtausend dauernden Geschichte als Reichsstadt. Mit dem Verlust an politischem Gewicht mußte die Bedeutung des einstigen Versammlungsortes des Immerwährenden Reichstages insgesamt abnehmen. In dieser Zeit war es hauptsächlich das Verdienst eines Mannes, aufklärerisches Gedankengut nach Regensburg zu tragen und der Stadt zu neuer Kraft und neuem Leben zu verhelfen: Carl Theodor Reichsfreiherr von Dalberg (1744–1817).
In seiner Funktion als letzter geistlicher Reichsfürst behauptete er einen der drei Reichsstände, die der Reichsdeputationshauptschluß noch bestehen ließ. Seinen Sitz als Erzbischof, dem fortan weltliche und geistliche Hoheit zukam, übertrug man von Mainz, das ein Teil der französischen Republik geworden war, nach Regensburg. Neben den Städten Aschaffenburg und Wetzlar bestand sein neues weltliches Territorium aus dem Fürstentum Regensburg, das heißt aus dem bisherigen Hochstift und der Reichsstadt. Dalberg büßte zwar im Zuge der politischen Entwicklungen seine Funktion als Reichserzkanzler im Jahre 1806 ein und mußte seine Residenz wiederum verlegen, diesmal nach Frankfurt. Seiner alten Residenzstadt Regensburg blieb er jedoch stets gönnerhaft verbunden und kehrte nach der Auflösung des Großherzogtums Frankfurt hierher zurück, wo er die letzten Jahre bis zu seinem Tode (1817) verbrachte. Er starb als Erzbischof von Regensburg. Seine Grabstätte findet sich am Ausgang des nördlichen Seitenschiffs des Regensburger Domes.
Den Einwohnern der ehemaligen Reichsstadt, die zunehmend in provinzielle Bedeutungslosigkeit abfiel, war bewußt, daß sie in Dalberg einen Gönner ersten Ranges hatten. Entsprechend waren die Reaktionen nach seinem Ableben: „Das war ein Mann, das war ein Fürst in der That! Ich bitte saget mir: wann wird solch ein zweiter folgen? Saget mir: glaubt ihr – jemals? – Ich – niemals.“ Die Stadt, die mittlerweile etwa 19.000 Bürger zählte und damit zu den fünf größten Städten Bayerns gehörte, hatte unter der Ägide des Fürstprimas eine Reihe von Reformen erlebt: Dalberg kümmerte sich um kirchliche und öffentliche Einrichtungen, sanierte den Finanzhaushalt, förderte die Künste und Wissenschaften und unterstützte großmütig die Armen der Stadt, zu deren Hilfe er beträchtliche Summen aufwandte. Auch das Unterhaltungsangebot hatte in den Jahren seiner Regentschaft stark zugenommen.
Die Voraussetzungen für eine stehende Bühne waren noch im Jahr seiner Ankunft in Regensburg geschaffen worden, als 1803 auf seine Initiative hin ein öffentliches „Theater und Gesellschaftshaus“ geplant wurde. Dalberg ordnete den Abriß des Zeughauses an und übertrug die Baugeschäfte dem portugiesischen Architekten Emanuel von Herigoyen, auf den auch in der Folgezeit zahlreiche weitere klassizistische Bauten in Regensburg zurückgehen sollten. Die Finanzierung des Projektes geschah in Form einer Aktiengesellschaft, die Eröffnung im September 1804. Bedenkt man die Tatsache, daß das Unterhaltungsangebot der Stadt nach dem Niedergang des Fürstlich Thurn und Taxisschen Hoftheaters nur noch von Instrumentalisten, fahrenden Künstlern oder Dilettantengruppen gestaltet wurde, die sich in den Ballhäusern, Gasthöfen, später auch in den Vereinsstätten zu „musikalischen Produktionen“ zusammenfanden, so kommt Dalberg mit seinen Bemühungen um eine eigene Aufführungsstätte eine entscheidende Bedeutung zu: Denn Regensburg hatte damit einen gesellschaftlichen und kulturellen Mittelpunkt gewonnen.
Die Förderung Regensburgs mit einem Theater als „Anstalt zur Veredelung des Lebens-Genusses und der Geselligkeit“ lag nahe, blieben Dalberg doch die Bestrebungen zahlreicher Städte auf diesem Sektor nicht verborgen. Die Verbindung zu Johann Wolfgang von Goethe in Weimar dürfte ebenso Einfluß genommen haben. Hinzu kamen sicherlich die Erfahrungen seines Bruders Wolfgang Heribert, die dieser in den Jahren 1778 bis 1803 als erster Intendant des Mannheimer Nationaltheaters sammeln konnte. In dieser Zeitspanne hatte sich das kurpfälzische Theater als eine stabile Einrichtung im Unterhaltungsangebot etabliert. Betrachtet man die Entwicklung der ersten Jahren beider Theater, so sind durchaus Parallelen erkennbar: In beiden Fällen wurde ein inzwischen überflüssig gewordenes Zeughaus durch eine Theaterspielstätte ersetzt. Beidemals gelang es, die Leitung der stehenden Unternehmen von Anfang an Persönlichkeiten zu übertragen, die Bühnen- resp. Orchestererfahrung mitbrachten.
Für Regensburg erwies sich das Engagement des bewährten Tenoristen Ignaz Walter (1755–1822), der zuvor unter anderem an der Wiener Hofoper tätig gewesen war, als wahrer Glücksgriff. Er nämlich brachte genau das künstlerische Potential mit, das für ein junges Unternehmen erforderlich war. So gelang es ihm ab 1804, an der Bühne fast zwanzig Jahre ohne Unterbrechung tätig zu sein – noch über den Tod Dalbergs hinaus – und dabei solide Arbeit im Aufbau eines Opern- und Schauspielrepertoires zu leisten. Ein weiteres Verdienst dürfte das Engagement einer Reihe von Künstern sein, die – wenn sie sich auch nicht in allen Fällen an die Bühne binden ließen – in regelmäßigen Abständen nach Regensburg zurückkehrten und die Qualität der Aufführungen auf lange Sicht bereicherten.
Pädagogische Bemühungen sind ebenfalls sowohl in Mannheim als auch in Regensburg von Anfang an erkennbar, da in beiden Fällen eine „Theaterpflanzschule“ eingerichtet wurde, die die Aufgabe hatte, begabte Schauspieleleven zu selektieren, um sie an der Bühne als Statisten, Choristen oder in Nebenrollen einzusetzen. In Regensburg begleitete die Schule die Anfänge des Theaters in den Jahren 1805 bis 1810 und verhalf ihm zumindest, den Spielbetrieb nahezu durchgängig aufrecht zu erhalten. Einige Verzeichnisse der „Sing- und Deklamations-Schüler“ sind noch heute nachweisbar. Insgesamt gesehen wäre eine hohe Aufführungszahl von drei bis vier Spielterminen in der Woche erst gar nicht denkbar gewesen, wenn sie nicht gleichzeitig mit Bemühungen einher gegangen wären, das Ansehen der Schauspielkräfte anzuheben. Auch diese Bestrebungen sind in Mannheim und Regensburg in dieser Zeit deutlich erkennbar, denkt man nur an die Aufführungen der Schillerschen Dramen, in Mannheim gar die Uraufführung der Räuber. Allein mit Musikdarbietungen – so erkannte man schnell – war ein Theaterprogramm nicht mehr überlebensfähig. Die dargestellten Entwicklungen verdeutlichen, welche Schwierigkeiten in den ersten Jahren entstanden, ein stehendes Theater am Standort Regensburg überhaupt erst zu etablieren. Ohne die Initiative Dalbergs, die den Grundstein für alle weitere Entwicklungen gelegt hat, wären auch die zahlreichen Theater- und Opernerfolge der Folgezeit nicht denkbar gewesen.
Der kurze Spaziergang führt unseren Beobachter wieder zurück vom Bismarckplatz durch das Jakobstor stadtauswärts, immer noch in Gedanken versunken über die Anfänge des Regensburger Theaterlebens. Durch die Parkanlage an der Ostdeutschen Galerie vorbeischlendernd bemerkt er plötzlich, daß er auf der rechten Seite fast eine kleine Straße übersehen hätte, die den Namen des Fürstprimas Carl von Dalberg trägt. Das ruft ihn wieder zurück von seinen Tagträumen in die Gegenwart: Richtig, die politische Brisanz des Namens Dalberg, die von seiner Verbindung zu Napoleon herrührt, tut der Bedeutung für die Stadt Regensburg keinen Abbruch. Auch daß das Theater im Laufe seiner Geschichte eine Reihe von Umbauten erlebt hat – nicht zuletzt bedingt durch den Theaterbrand des Jahres 1849 – schmälert nicht die ruhmreiche Tradition des Hauses. Mit Carl von Dalberg hat eine Entwicklung des Theaters ihren Beginn genommen, deren Früchte die historische Substanz des Theaters als Bauwerk noch in sich trägt.
Literatur:
• Regensburger Zeitung Nr. 41, 17.2.1817
• Heinrich Huber: Aus den Nachlaßakten des Fürstprimas Karl von Dalberg, Regenburg 1926
• Werner Chrobak: Politische Parteien, Verbände und Vereine in Regensburg 1869–1914, Diss. Regensburg 1982
• Dieter Albrecht: Regensburg im Wandel. Studien zur Geschichte der Stadt im 19. und 20. Jahrhundert, Regensburg 1984, S. 42–72
• August Scharnagl: Der Dalberg’sche Fürstenhof zu Regensburg (1803–1810). Ein Beitrag zur Musik- und Theatergeschichte der Stadt Regensburg, in: Regensburger Almanach 1985, hrsg. von E. Emmerig, Regensburg 1985, S. 63–72
• Georg Schwaiger: Carl Theodor von Dalberg. Erzbischof von Regensburg (1805 bis 1817), in: Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg, Bd. 23/24, Regensburg 1989/90, S. 488–494
• Ludwig Finscher: Die Mannheimer Hofkapelle im Zeitalter Carl Theodors, Mannheim 1992
• Carl von Dalberg. Erzbischof und Staatsmann (1744–1817), hrsg. von K. M. Färber u.a., Regensburg 1994
• Helmut Pigge: Die Gründung des Theater- und Gesellschaftshauses durch Carl von Dalberg, in: Carl von Dalberg. Der letzte geistliche Reichsfürst, hrsg. von K. Hausberger (Schriftenreihe der Universität Regensburg, Bd. 22), Regensburg 1995, S. 83–104