Mälzels Magazin

Zeitschrift für Musikkultur in Regensburg

Schriftzug Mälzels Magazin
Hefte2001Nr. 4
mälzels magazin, Heft 4/2001, S. 13–15
URL: http://www.maelzels-magazin.de/2001/4_05_musik20jh.html

Thomas Emmerig

„Säle“ und „Nischen“ des kulturellen Angebots

Musik des 20. Jahrhunderts in Regensburg (1950–1981)

In den Jahren 1972–1981 war in Regensburg die Künstlervereinigung Eckiger Kreis tätig, die schwerpunktmäßig Konzerte mit Musik des 20. Jahrhunderts zumeist junger Komponisten veranstaltete. Verantwortlich für diese Aktivitäten war der Verfasser dieser Zeilen, von dem man daher keine objektive Darstellung erwarten wird. Die nachfolgende Übersicht entstand im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des Archivs des Eckigen Kreises, das sich im Besitz des Verfassers befand und am 3. September 2001 an die Proske-Musikbibliothek im Bischöflichen Zentralarchiv Regensburg übergeben worden ist. Bewußt wurde der Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Jahr 1950 als Beginn gewählt; die Einstellung der Aktivitäten des Eckigen Kreises im Jahr 1981 bezeichnet gleichzeitig das Ende des dargestellten Zeitraums.

Wie war es in Regensburg in den Jahrzehnten zwischen 1950 und 1981 um die Pflege der Musik des 20. Jahrhunderts bestellt? Drei langjährig aktive Veranstaltungsreihen, deren Programme anläßlich ihrer jeweiligen Bestandsjubiläen publiziert wurden, ermöglichen einen Vergleich mit drei jüngeren Einrichtungen, die sich speziell die Förderung der „neuen“ Musik zum Ziel gesetzt haben.

Im Jahre 1935 rief Ernst Schwarzmaier das Collegium Musicum Regensburg zunächst als Kammerorchester ins Leben. Das Programm des ersten Konzerts am 24. September 1935 konnte man als Signal verstehen: Es begann mit der Uraufführung der Suite für Streichorchester und Klavier op. 12 von Max Jobst (1908–1943). Das Ensemble verstand sich als „ein Zusammenschluß von Musikfreunden, die nach der Intention ihres Leiters nicht nur Standardwerke der einschlägigen Literatur ausführen, sondern sich auch den Raritäten der Musikgeschichte, der Pflege der zeitgenössischen Musik und der Verlebendigung der heimischen Musikkultur widmen sollen“ (50 Jahre Collegium Musicum Regensburg. Eine Dokumentation, hrsg. von Eberhard Kraus, Regensburg 1985, S. 5). Das 1950 mit einem eigenen Chor wiederbegründete und bis heute bestehende Collegium Musicum veranstaltete in den drei Jahrzehnten bis 1981 173 Konzerte mit 550 Werken. Einen Anteil von 20% bestritten dabei Kompositionen des 20. Jahrhunderts, wobei die Gewichtung über die Jahre signifikant schwankte. Lag die Quote in den Anfangsjahren noch bei etwa 16%, so stammte in den siebziger Jahren jedes vierte aufgeführte Werk aus der jüngeren Vergangenheit – ein Anteil, der in den folgenden Jahrzehnten nicht mehr erreicht wurde. Der jüngste aufgeführte Komponist war Krzysztof Penderecki (geb. 1933).

Im Jahre 1949 gab Walter Boll die entscheidende Anregung, die zur Entstehung der Serenaden im Museum der Stadt Regensburg führte. Waren die von der Vereinigung der Museumsfreunde getragenen Veranstaltungen anfangs einfach auf lebendige Musik in Verbindung mit Architektur und Kunst im Museum ausgerichtet, so wurde die Zielsetzung im 50. Jahr des Bestehens wie folgt umschrieben: „Große Literatur der Musik soll mustergültig dargeboten werden, selten zu hörende Werke sollen das Programm bereichern, grenzüberschreitende Projekte sollen integriert sein. Themenabende geben bisweilen einen strengen, doch auch lockeren, interessanten Rahmen. Bekannte und junge Künstler werden zum Konzertieren eingeladen, immer wieder stellen sich Preisträger vor und bekommen ein Podium.“ (Udo Klotz: Die Museumsserenaden – ein Mosaik im Kulturleben der Stadt Regensburg, in: Festschrift 50 Jahre Museumsserenaden 1949–1999, hrsg. von der Vereinigung der Museumsfreunde, Regensburg 1999, S. 7). Überblickt man wiederum den Zeitraum der ersten dreißig Jahre (1949–1981), so stellen die 75 aufgeführten Kompositionen aus dem 20. Jahrhundert knapp 13% eines Programms, das diesbezüglich über die Jahre keine großen Abweichungen zeigt. Die jüngsten mit Uraufführungen vertretenen Komponisten scheinen H. E. Erwin Walther (geb. 1920) und Heinz Benker (geb. 1921) gewesen zu sein.

Die seit 1952 bestehenden Sonntäglichen Orgelstunden im Museum der Stadt Regensburg verdanken ihre Entstehung ebenfalls einer Anregung von Walter Boll. Im Lauf der Jahrzehnte ist eine Programmstruktur entstanden, die in ihrer Fülle und in ihrer Vielfalt einmalig ist. Ohne das engagierte Handeln von Eberhard Kraus, in dessen Händen Leitung und Durchführung liegen, wäre diese Einrichtung nicht vorstellbar. In den Sonntäglichen Orgelstunden gelangten in den Jahren 1953–1981 in ca. 610 Konzerten insgesamt ca. 3.920 Werke zur Aufführung (30 Jahre Sonntägliche Orgelstunden im Museum, hrsg. vom Museum der Stadt Regensburg, Regensburg 1982). Dem 20. Jahrhundert gehörten davon 1.134 Werke (29%) von 171 Komponisten an; sie verteilten sich auf 962 Orgelwerke, 131 Vokal- und 41 Instrumentalwerke. Der jüngste aufgeführte Komponist war offenbar Thomas Emmerig (geb. 1948). Diese drei Veranstaltungsreihen haben über viele Jahre einen wesentlichen und sehr verdienstvollen Beitrag zum Regensburger Musikleben geleistet, sie haben „neue“ Musik des 20. Jahrhunderts immer wieder zu Gehör gebracht. Mag bei den Serenaden im Museum der Charakter einer stimmungsvollen Abendveranstaltung als Argument für den vergleichsweise geringen Anteil angeführt werden, so kann beim Collegium Musicum und bei den Sonntäglichen Orgelstunden sehr wohl von gezielter Förderung und Pflege die Rede sein. Selbstverständlich hatten alle drei Veranstalter eine durchaus jüngere Komponistengeneration im Blick.

Auf diese musikalische Situation traf der 1971 gegründete Eckige Kreis, eine überregionale Arbeitsgemeinschaft von Komponisten, Filmemachern, Autoren und Technikern, die sich im Juli 1972 erstmals in Regensburg vorstellte und hier bis 1981 tätig war. Der Eckige Kreis war von Anfang an spartenübergreifend ausgerichtet, bezog also die Verbindung von Musik, Literatur und Bildender Kunst in seine Veranstaltungen ein. Der Ausgangspunkt seiner Aktivitäten war dabei die Förderung seiner eigenen Mitglieder. In den Jahren 1972–1981 leistete er unter der Leitung von Thomas Emmerig, später unterstützt von Werner Blau, einen beachtlichen Beitrag zum Musikleben und speziell zur Pflege der Musik des 20. Jahrhunderts in Regensburg.

Die analog zu den drei genannten Veranstaltungsreihen erstellte Statistik ergibt für die Jahre 1972–1981 19 Konzerte, drei Autorenlesungen und zwei Ausstellungen des Eckigen Kreises in Regensburg. (Eine vollständige Dokumentation sämtlicher Veranstaltungen des Eckigen Kreises wird im Jahrgang 2002 der Zeitschrift Musik in Bayern veröffentlicht werden.) In den Konzerten gelangten 122 Werke von 42 Komponisten zur Aufführung. Davon entfielen 114 Kompositionen (93%) von 35 Komponisten (83%) auf das 20. Jahrhundert, wobei der Hauptanteil (77 Kompositionen) von zehn Mitgliedern der Vereinigung bestritten wurde. Der älteste aufgeführte Komponist des 20. Jahrhunderts war Max Reger (geb. 1873), der jüngste Felix Bronner (geb. 1955). 12 der genannten 42 Komponisten waren jünger als 30 Jahre.

Als sein umfangreichstes Unternehmen präsentierte der Eckige Kreis in der Zeit vom 4. bis zum 18. Januar 1975 in Verbindung mit dem Kulturamt der Stadt Regensburg die Reihe „Ars Nova 75“ mit einer Ausstellung mit Arbeiten von Anselm André, Ines Feigl, Heidi Grünewald, Hans Illik, Hans Rieser und Wolfgang Schauer sowie vier Konzerten, zwei Autorenlesungen und einer Aufführung der Multimedia-Musik-Kommerz-Show Markt. Der musikalische Teil umfaßte einen Liederabend mit der Regensburger Sopranistin Irmgard Meumann (Musik von Werner Blau, John Cage, Thomas Emmerig, Charles Ives, Hanns Jelinek, Eberhard Kraus, Dieter Salbert und Anton Webern), elektronische Musik (Benno Ammann, Thomas Emmerig, Michael Fahres, Josef Otto Mundigl, Dieter Salbert und Walter Schröder-Limmer), Neue geistliche Musik (Charles Ives, Werner Jacob, Janko Jezovsek, André Jolivet, Olivier Messiaen und H. E. Erwin Walther) und einen Klavierabend mit der Bayreuther Pianistin Irene Hegen (Musik von Helmut Bieler, Klaus Hashagen, Werner Heider, Joachim Herbold, Dieter Salbert, Arnold Schönberg und Karlheinz Stockhausen). An den Autorenlesungen waren Peter Bäumler, Wolfgang von Brackel, Thomas Emmerig, Peter J. Ettl, Klaus Jelacsics, Helmut Meyer, Albert Mühldorfer, Gerhard Riesz und Edelburg Salz beteiligt.

Ebenfalls im Jahre 1971 gründete der damalige Bezirksheimatpfleger Adolf Eichenseer in Zusammenarbeit mit Eberhard Kraus das Studio Neue Musik Oberpfalz, das vom Oberpfälzer Kulturbund im Zusammenwirken mit dem Bezirkstag der Oberpfalz getragen wird. Das Studio „will das moderne Musikschaffen der Oberpfalz dadurch fördern, daß es neue Werke von Komponisten dieses Raumes anregt und sie in Ur- und Erstaufführungen der Öffentlichkeit vorstellt“. Planung und Durchführung der Konzerte liegen in den Händen von Eberhard Kraus. In den jährlich einmal stattfinden Kammerkonzerten des Studios gelangten von 1971 bis 1981 ca. 60 Kompositionen von ca. 15 Komponisten überwiegend der Region in der Regel zur Uraufführung.

Mit der Vereinigung Ostbayerischer Tonkünstler wurde 1979 ein weiteres Forum ins Leben gerufen, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben „die Veranstaltung von Konzerten, insbesondere zur Förderung der zeitgenössischen Musik unter besonderer Berücksichtigung der Komponisten und Interpreten der Vereinigung“ gehört. Seit Eberhard Kraus im Juni 1984 das Amt des 1. Vorsitzenden der Vereinigung übernommen hat, hat diese regelmäßige Aktivitäten entfaltet. Ihr Mitgliederverzeichnis wies im Jahre 1986 elf Komponisten aus.

Selbstverständlich stellte das Jahr 1981 weder eine wesentliche Zäsur noch gar einen Endpunkt in der Pflege der Musik des 20. Jahrhunderts in Regensburg dar; lediglich dieser Überblick wird mit dem Jahr 1981 beendet, ging es doch darum, den Anteil der Künstlervereinigung Eckiger Kreis zur Pflege der Musik des 20. Jahrhunderts in Regensburg in den Zusammenhang zeitlich paralleler Bestrebungen zu stellen. Nicht nur das Collegium Musicum, die Vereinigung der Museumsfreunde als Träger der Serenaden im Museum und Eberhard Kraus als Motor der Sonntäglichen Orgelstunden setzen ihre langjährige Praxis fort, sondern auch das Studio Neue Musik Oberpfalz und die Vereinigung Ostbayerischer Tonkünstler erfüllen weiterhin ihre Aufgaben zum Wohle der beteiligten Komponisten und zum Nutzen des interessierten Publikums.

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