Mälzels Magazin

Zeitschrift für Musikkultur in Regensburg

Schriftzug Mälzels Magazin
Hefte2001Nr. 4
mälzels magazin, Heft 4/2001, S. 16–18
URL: http://www.maelzels-magazin.de/2001/4_06_witt.html

Bettina Berlinghoff

Wittweg

Regensburger Musikgeschichte in Straßennamen

Weit entfernt von Franz Xaver Witts ehemaligem Wirkungskreis liegt der nach ihm benannte Weg in dem Gebiet zwischen Rotem-Brach- und Rennweg im Westenviertel (15. Stadtbezirk). Der erst in den 1990er Jahren erschlossene Wittweg gehört hier zu den kleinen Seitenstraßen rund um den Franz-von-Taxis-Ring. Außer einem Straßenschild, auf dem weder die Vornamen, geschweige denn die Lebensdaten des Namensgebers verzeichnet sind, erinnert hier nichts an den Theologen, Prediger, Lehrer, Kirchenmusiker, Dirigenten und Komponisten, und wohl kaum einer der Anwohner wird wissen, daß Witt neben Carl Proske, Johann Georg Mettenleiter, Joseph Schrems und Franz Xaver Haberl zu den prominentesten Vertretern der kirchenmusikalischen Reformbewegung des 19. Jahrhunderts zählt.

Geboren am 9. Februar 1834 in Walderbach/Lkr. Cham als ältester Sohn des Lehrers Johann Baptist Witt, besuchte er die dortige Volksschule, bevor er 1843 nach Regensburg übersiedelte. Bis zum Abitur im August 1851 lebte Witt als Schüler des hiesigen Gymnasiums zunächst im Musik- und Studienseminar zu St. Emmeram und später dann in der Dompräbende. Über die zahlreichen Verpflichtungen der Präbendisten berichtete Witt 1887 rückblickend, sie hätten auch sämtliche Leichenämter an Niedermünster und St. Magnus sowie am Dom „allein ca. 140 Ämter (incl. Advents- und Donnerstagsämter)“ und darüber hinaus in Niedermünster ungefähr 80 singen müssen. Deswegen habe er „nicht die Hälfte der Schulstunden am Gymnasium besuchen“ können. Die musikalische Ausbildung der Knaben erstreckte sich nicht nur auf den Gesang, sondern schloß auch Instrumentalunterricht mit ein: „Wenn ich mir jetzt vorstelle, man hätte mich [...] als Knaben von 14 Jahren gefragt, was für Tonmeister ich denn kenne, so hätte ich mit allem Rechte antworten können: Ich kann vom Hören auswendig (oder soviel als auswendig) c. 300 Messen von Beethoven, Cherubini, J. und M. Haydn, Albrechtsberger [...] u. s. f. bis Witzka, Kempter, Bühler, Diabelli und Dreyer herab und ebenso viele Motetten, Vespern, Litaneien etc. Ich kann sie alle vom Blatte geigen und singen (auch das Schwierigste) und in Partitur aus dem Kopfe schreiben. Ich versuchte damals sogar, die einzelnen Stimmen bekannter Stücke nach einander aus dem Kopfe nachzuschreiben, ohne Partitur anzulegen – und ließ solche Stücke (unter uns) probiren, es fehlte Nichts. Dazu das unaufhörliche Quartett-, Trio und Duo-Spielen“. Der Dompräbende blieb Witt auch noch während des vierjährigen Theologiestudiums am Lyzeum Albertinum (im ehemaligen Dominikanerkloster) als Präfekt verpflichtet.

Nach Beendigung des Studiums im August 1855 und der Priesterweihe im Juni 1856 durch Bischof Valentin von Riedel entschloß sich Witt gegen den Rat seiner Lehrer, die ihm die Fortsetzung der theologischen Studien an der Universität München nahelegten, für den Seelsorgedienst und ging im August 1856 für drei Jahre als Kooperator II. Klasse nach Oberschneiding bei Straubing. Zu seinen täglichen Dienstpflichten zählten hier die Abnahme der Beichte, verschiedene Meßdienste sowie die Übernahme des Religions- und Gesangsunterrichts an zwei Schulen. Aus dieser Zeit stammen nach eigenen Angaben die ersten Kompositionen, und zwar der Beginn des dreistimmigen Stabat mater aus Opus 5 sowie die Missa septimi toni für vierstimmigen Männerchor, die anläßlich der Konsekration der Kirche in der Nachbargemeinde Wallersdorf im Juli 1859 unter Witts Leitung in Anwesenheit des Regensburger Bischofs Ignatius von Senestrey uraufgeführt wurde. Von Senestrey hat diese Messe angeblich so stark beeindruckt, daß er Witt im August 1859 zur Ausbildung von zukünftigen Priestern als Lehrer für Homiletik, Katechetik und Choral am bischöfliche Klerikalseminar zum heiligen Wolfgang zurück nach Regensburg berief. Nur zweieinhalb Jahre später, im Januar 1862, übernahm Witt die Leitung der Kongregation Mariä Verkündigung an der Dominikanerkirche. Als Präses bemühte er sich erfolgreich um die Reorganisation dieser Kongregation und unterrichtete, z. B. im Studienjahr 1863/64, am Lyzeum Albertinum das Fach „Anleitung zum Choralgesang“. Es folgte im Mai 1867 die Ernennung zum Inspektor des königlichen Studienseminars St. Emmeram. Zu seinen Pflichten zählten hier neben der Erteilung des gesamten Musikunterrichts u. a. die Leitung des Seminars sowie des Chores an der Stadtpfarrkirche St. Rupert. Darüber hinaus war er wohl seit 1868 als Vorstand an St. Ägidius tätig. Nachdem sich Witts Gesundheitszustand zusehends verschlechterte, entband ihn der Bischof im August 1869 von einem Teil seiner dienstlichen Aufgaben. Ab Oktober 1870 übernahm Witt schließlich für ein Jahr das Amt des Domkapellmeisters in Eichstätt, bevor er sich im September 1873 als Gemeindepfarrer in Schatzhofen bei Landshut niederließ. Aufgrund einer chronischen Erkrankung mußte Witt die Leitung der Pfarrei Schatzhofen im Oktober 1875 jedoch aufgeben und zog nach Landshut. Noch im Laufe des Jahres 1875 ließ ihn Franz Liszt als Regens chori und Leiter der Kirchenmusik-Klasse der neu gegründeten Musikakademie nach Budapest berufen, doch konnte Witt aus gesundheitlichen Gründen dieses Amt nicht mehr antreten. 13 Jahre später starb er am 2. Dezember 1888 in Landshut.

Vergegenwärtigt man sich Franz Xaver Witts Verdienste um die Kirchenmusik im 19. Jahrhundert, so ist hier in erster Linie wohl die Gründung zweier in Regensburg erscheinender Zeitschriften, nämlich der Fliegenden Blätter für katholische Kirchenmusik, Für Deutschlands Volksschullehrer, sowie für Chorregenten, Organisten und Freunde der Musik (ab 1866) und der Musica sacra. Beiträge zur Reform und Förderung der katholischen Kirchen-Musik (ab 1868) zu nennen, die neben Musikbeilagen für den praktischen Gebrauch vor allem Berichte über kirchenmusikalische Zustände und Aufführungen im deutschsprachigen Raum enthielten. Die Fliegenden Blätter dienten ab dem 6. Jahrgang darüber hinaus als offizielles Organ des von Witt 1868 ins Leben gerufenen „Allgemeinen Cäcilien-Verbandes für die Länder der deutschen Sprache“, einem Verein, dem Witt fast 20 Jahre lang als Generalpräses vorstand und an dessen Veranstaltungen er als Instruktor, Redner und Dirigent regelmäßig mitwirkte. Ziel aller dieser Initiativen war die überregionale Verbreitung der von namhaften Regensburger Kirchenmusikern ausgehenden Restaurationsbestrebungen gewesen sein, die für den Bereich der Liturgie die Rückkehr zum gregorianischen Choral und zur altklassischen Vokalpolyphonie nach dem Vorbild Palestrinas, Vittorios, Anerios und Lassos forderten. Die „wahre Kirchenmusik“ – so Witt 1859 –, die allein möglich sei durch die „Einhaltung der kirchlichen Tonarten“, sollte letztendlich die geistige und moralische Bildung des Volkes befördern, weswegen er die instrumentalbegleitete Musik Haydns, Mozarts, Diabellis und vieler anderer aus der Kirche verbannt sehen wollte. Die praktische Umsetzung dieser Reform setzte zunächst einmal eine Verbesserung der musikalischen Ausbildung an den entsprechenden Institutionen, den Klerikal-, Knaben- und Lehrerseminarien, voraus, eine Ausbildung, die er selbst als Schüler, Student und später als Lehrer an den Seminaren St. Emmeram, St. Wolfgang und an der Dompräbende erfahren bzw. weitergegeben hatte. Gerade die eigenen Studienjahre am Lyzeum Albertinum in der ersten Hälfte der 1850er Jahre dürften ihn in Hinblick auf die späteren Reformpläne entscheidend geprägt haben, denn dies waren die Jahre, in denen sich der damalige Domkapellmeister Joseph Schrems – mit der Unterstützung Valentin von Riedels und Carl Proskes – um die Reorganisation der Domkirchenmusik bemüht hatte. In dessen Amtszeit (1839–1871) fällt die Einführung der lediglich durch Orgel begleiteten Kirchenmusik im Dom und vor allem auch die Erhöhung des Etats der Dompräbende, die erst durch die Auflösung der Domkapitelschen Musikkapelle 1856 und der daraus resultierenden Verwendung der freigewordenen Gehälter zur Aufstockung der Anzahl der Präbendisten möglich geworden war.

Trotz seines Verdienstes als Generalpräses des Allgemeinen Cäcilienvereins, als Chorleiter und vor allem als Dirigent bei zahlreichen Veranstaltungen dieses Vereins blieb Franz Xaver Witt letztlich doch aufgrund seiner Persönlichkeit und der Unerbittlichkeit, mit der er seine Forderungen durchzusetzen suchte, sehr umstritten. Hierzu äußerte er sich gegen Ende der 8. Generalversammlung des Cäcilienvereins in Augsburg 1880: „Man macht uns auch unsere musikalische Polemik zum Vorwurf. Und auch hierzu bekennen wir uns. Wir gestehen, daß wir gekämpft haben und in Zukunft kämpfen wollen gegen alles Gemeine, Triviale, Theatralische in der Kirchenmusik [...]. Jener Schlendrian, der die Kirchenmusik total vernachlässigte und als Aschenbrödel der Kunst behandelte, jener Schlendrian, der alles gemeine, Absurde in der Kirchenmusik duldete, der muß tot werden und tot bleiben, der darf um keinen Preis der Welt, nie und nimmermehr wieder aufleben, wieder lebendig werden“ (zitiert nach Scharnagl 1984). Immerhin würdigten die Zeitgenossen Witts Engagement für die katholische Kirchenmusik beispielsweise durch die Verleihung des Titels eines Doktors der Philosophie 1873 und durch die Ernennung zum Ehrenkanonikus der Kathedrale in Palestrina 1880.

Spuren Franz Xaver Witts lassen sich – abgesehen von der Straßenbezeichnung – heute nur selten finden. Hin und wieder gelangen einige seiner zumeist für den liturgischen Gebrauch bestimmten Kompositionen (es handelt sich um mehr als 50 Messen, Motetten, Litaneien, Responsorien u. a.) zur Aufführung. Dagegen erscheint eine der beiden von Witt gegründeten Zeitschriften, die Musica sacra, heuer bereits im 121. Jahr in Regensburg. Weniger bekannt dürften die Witt-Bestände der Bischöflichen Zentralbibliothek bzw. des Bischöflichen Zentralarchivs Regensburg sein, die außer Kompositionen und Dokumenten zu seinem Leben vor allem an ihn adressierte Briefe sowie eine große Anzahl von Kirchenmusikwerken enthält, die ihm als Generalpräses des Cäcilienvereins und Redakteur der beiden Zeitschriften zur Besprechung zugeschickt worden waren. Ein kleiner Teil der Sammlung wurde im Jahre 1984 anläßlich des 150. Geburtstages Franz Xaver Witts im Rahmen einer Gedächtnisausstellung – neben Exponaten der beiden „Cäcilianer“ Joseph Renner und Franz Xaver Engelhart – der Öffentlichkeit präsentiert. Welche musikalischen Schätze dieser Nachlaß tatsächlich in sich birgt, werden wir jedoch erst nach dem Erscheinen der auf diesen Bestand bezogenen Bände der Reihe Kataloge Bayerischer Musiksammlungen beurteilen können.

Literatur:
• Allgemeiner Cäcilien-Verein. Gedächtnisausstellung. Franz Xaver Witt – Joseph Renner jun. – Franz Xaver Engelhart. Katalog, hrsg. von der Bischöflichen Zentralbibliothek Regensburg, Regensburg 1984
• Scharnagl, August: Dr. Franz Xaver Witt und die Erneuerung der katholischen Kirchenmusik im 19. Jahrhundert, in: Musica sacra 104 (1984), S. 363–368
• Witt, Franz Xaver: Die kirchliche Musik im allgemeinen, besonders in Regensburg und München, in: Augsburger Postzeitung, 1859, Beilage Nr. 72–74
• Ders.: Ein Wort über Kirchenmusik-Schulen, in: Fliegende Blätter für katholische Kirchenmusik 22 (1887), Nr. 1, S. 2f.

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