Mälzels Magazin

Zeitschrift für Musikkultur in Regensburg

Schriftzug Mälzels Magazin
Hefte2003Nr. 1
mälzels magazin, Heft 1/2003, S. 13–16
URL: http://www.maelzels-magazin.de/2003/1_05_singerpur.html

Alois Späth

Abtasten, abwägen, musikalischen Konsens finden

Das Vokalensemble SingerPur blickt über die Tellerränder von Besetzung und Repertoire

Schon seit mehreren Jahren zählt ein Sextett zur Topriege der Vokalensembleszene, das seinen Ursprung in Regensburg hat: SingerPur, jene Gruppe von anfänglich fünf ehemaligen Sängern der Regensburger Domspatzen, die – um eine Sopranistin ergänzt – 1994 den ersten Preis beim Wettbewerb des Deutschen Musikrates gewann. Dies eröffnete dem Ensemble den Einstieg in eine professionelle Karriere, und SingerPur erwarben sich mit ihren Konzerten und CD-Aufnahmen mehr und mehr den Ruf, gleichermaßen alte Musik wie auch Musik der Moderne, Jazzarrangements und Vokalwerke aus verschiedensten Epochen der Musikgeschichte stilsicher zu beherrschen und ereignisreich darzubieten. Proben führen das Ensemble immer wieder auch in Regensburg, der Stadt der Anfangszeiten der Gruppe, zusammen. Hier traf Alois Späth SingerPur am Ende einer Probenphase und hatte Gelegenheit, für Mälzels Magazin ein ausführliches Gespräch mit den Mitgliedern Klaus Wenk und Marcus Schmidl zu führen.

Mälzels Magazin: Ihr habt soeben eine längere Probenphase hier in Regensburg beendet. In welchem Zusammenhang stehen diese Proben, und welche Projekte stehen beim Vokalensemble SingerPur momentan an?

Singer Pur: Aktuell kristallisiert sich bei uns ein Trend dahingehend heraus, daß wir verstärkt mit anderen Künstlern kooperieren und so verschiedene neue Klangwelten und Klangräume erforschen. Die nach wie vor bestehende Zusammenarbeit mit dem weltbekannten Hilliard Ensemble war hier wohl der Prototyp. Dabei ergeben sich zahlreiche spannende Momente, man lernt viel voneinander, gerade was die Art zu phrasieren betrifft, aber auch was allgemein die Musizierweise angeht. Diese Erfahrungen haben uns neugierig gemacht und dazu motiviert, auch in der vokal-instrumentalen, nicht nur in der vokal-vokalen Konstellation die Verbindung zu anderen Gruppen und Solisten zu suchen.

MM: Welche Verbindungen werden dies denn in nächster Zeit sein?

SP: Zum einen hat sich vor kurzem der Kontakt zu den „Go Guitars“, einem in der Neuen Musik-Ecke beheimateten E-Gitarren-Quintett aus München ergeben. Neben auskomponierten Stücken wird es auch Momente geben, in denen wir ausbrechen, experimentell agieren und nur mit einem bestimmten Klangvorrat improvisatorisch umgehen. Das Debüt wird hier im Juni in Maulbronn sein, und überdies sind Konzerte in Wien für nächstes Jahr im Gespräch.

Zudem hat der Kölner Komponist, Klarinettist und Saxophonist Michael Riessler, der in Regensburg zuletzt im Rahmen der Tage Alter und Neuer Musik 2000 zu hören war, Stücke geschrieben, in denen unser Vokalensemble, er selbst sowie ein Jazz-Cellist agieren werden. Hier werden bald Konzerte stattfinden, und auch eine CD-Aufnahme in St. Gerold in Österreich ist geplant.

Ein anderes Projekt, das wir in dieser Konstellation vokal-instrumental planen, ist es, Stücke aus dem Codex Leopold, einer bedeutenden Quelle deutscher Musik um 1500, zur Aufführung zu bringen. Hier werden wir mit „Tragicomedia“ oder „Teatro Lirico“, namhaften Alte Musik-Experten aus England, zusammenarbeiten und diese Musik der Frührenaissance nicht rein a capella, sondern mit Instrumenten ausführen.

MM: Wie gestaltet sich diese Zusammenarbeit mit anderen Künstlern?

SP: Da gibt es natürlich schon zunächst eine Phase des Abtastens. Man sieht, wie die anderen Musiker das machen und sucht dann den Weg, wie man zusammenkommen kann, gerade bezüglich der Intonation oder des Phrasierens. Aber im großen und ganzen war das immer gut zu machen. Wir sind da sehr offen und im Gespräch ergibt sich auch sehr viel, in bezug auf klangliche Dinge zum Beispiel: daß die Balance mit den Instrumenten stimmt und wir einen homogenen Gesamteindruck gewinnen.

MM: Wie sehen Eure Pläne in Sachen CD-Aufnahmen aus?

SP: Wir planen für die Projekte, die wir angehen, immer auch gleich eine CD-Aufnahme, zum Beispiel im Fall des gemeinsamen Projektes mit Riessler, der von Anfang an betonte, daß er von dieser Zusammenarbeit mit SingerPur auch eine CD haben möchte. Mit den Hilliards werden wir Ende Mai einen großen siebenteiligen Zyklus aufnehmen, den die Amerikanerin Joan Metcalf für uns komponiert hat. Auf diese CD werden dann aber auch Stücke kommen, die speziell für SingerPur komponiert wurden, so etwa von Wolfgang Rihm sieben Vertonungen von Passionstexten, aber auch Stücke von Salvatore Sciarrino und Ivan Moody. In der Regel versuchen wir aber, die CD-Produktionen mit den laufenden Konzerten Hand in Hand gehen zu lassen.

MM: Verfolgt Ihr in der Produktion eurer CDs einen ganz bestimmten Weg oder ist der Verlauf eurer Diskographie von ganz anderen Faktoren abhängig?

SP: Hauptsächlich aus personalpolitischen Gründen sind wir die letzten Jahre nicht dazugekommen, uns auf ein bestimmtes CD-Projekt zu konzentrieren. Die CD mit Werken von Jacobus Gallus, aufgenommen 1999, war hier eigentlich die letzte Produktion. Diesbezüglich haben wir natürlich unsere Defizite. Doch jetzt haben wir wohl endlich eine Firma gefunden – denn es gab auch mit den Plattenfirmen Probleme, der ganze Klassik-Markt liegt diesbezüglich ja ziemlich am Boden –, die uns freie Hand läßt. Dazu zählen Aufnahmen alter und verstärkt auch zeitgenössischer Musik oder eine CD mit einer Auswahl deutscher Volkslieder, die speziell für unser Ensemble arrangiert wurden. Und wir möchten natürlich unser Jazzrepertoire, die Arrangements, die SingerPur schon lange in den Konzerten immer wieder zum Besten gibt, auf CD bringen.

MM: Apropos Jazz: Ihr habt ja zunächst mit Jazzarrangements angefangen. Gerade solche Musik stellt ja, was die Harmonik betrifft, ganz besondere Anforderungen an den einzelnen Sänger wie an die Gruppe. Hat Euch das für die Ausführung anderer, vor allem moderner Musik in der Folge geholfen?

SP: Auf jeden Fall. Wir haben damals Stunden damit verbracht, uns quasi aufeinander einzuschießen, indem wir komplizierte Akkorde am Klavier angeschlagen haben und diese dann mit dem Ensemble halbtonweise rauf und runter, oder auch um eine große Terz nach oben oder eine kleine Terz nach unten bewegt haben oder auch zwischen verschiedenen komplexen Akkorden hin und herwechselten. Das schult natürlich das Ohr, und oft ist der Schritt dann nicht mehr weit zur Musik etwa eines Francis Poulenc oder auch zu den Stücken eines Wolfgang Rihm. Bei einer Musik, in der in den verschiedenen Gesangsstimmen Halbtöne direkt nebeneinander liegen, läßt man sich als einzelner Sänger eben nicht mehr so schnell irritieren. Da hat sich aus damaligen Zeiten bei uns schon so einiges scharf eingeprägt, was uns heute hilft.

MM: Kann man in diesem Zusammenhang auch von einem intuitiven Ensemblegefühl für den Zusammenklang sprechen?

SP: Bestimmt. Es läßt sich auch feststellen, daß die Gruppe, wenn es um neue Musik geht, anders intoniert als bei alter Musik. Wir singen dann manche Intervalle intuitiv anders als bei alter Musik, welche hauptsächlich auf der Mitteltönigkeit basiert und auf das reine Klangempfinden hin abzielt. Andererseits hat sich aber gezeigt, daß die Beschäftigung mit mitteltönigem Musizieren auch der Herangehensweise an Jazzmusik und zeitgenössische Werke zugute kommt. Letztlich geht es aber immer darum, für alles, was man macht, ein Stilempfinden entwickelt zu haben. Es ist einfach wichtig, daß man weiß, was man will und wie die Musik klingen soll.

MM: Ihr hattet aber auch in der Geschichte Eurer Gruppe immer wieder personelle Umbesetzungen. Wie klappte und klappt hier die Einarbeitung neuer Mitglieder?

SP: Es geht nicht anders, als sich immer wieder davon überraschen zu lassen, wie schnell diese Einbindung voranschreitet. Die meisten Sängerinnen und Sänger, die neu in die Gruppe kommen, hatten zuvor schon ein Vorsingen, in welchem sie uns ihre Qualität unter Beweis gestellt haben; und natürlich ihre Erfahrung bezüglich des Singens im solistischen Vokalensemble und ihre Stilsicherheit in verschiedensten Musikrichtungen. Trotzdem bleibt es dann nicht aus, einen Integrationsprozeß durchzumachen. Nur durch das ständige Miteinandersingen bekommt die neu hinzugekommene Person mit, wie wir etwas machen wollen – wir sprechen hier jetzt aber über Feinheiten, die auch für uns schwer zu beschreiben sind, da es sich um klangliche und musikalische Nuancen handelt, deren „Ausschläge auf der Skala“ wir als Klangkörper und Gesangsgruppe wahrnehmen, die jedoch manch Außenstehender nicht mehr als besonders gravierend bemerken würde.

MM: In einer solchen Gruppe gibt es ja sechs Musiker, die alle ihre persönlichen musikalischen Vorlieben oder auch ihre eigene persönliche Art haben, an verschiedene Musikstücke heranzugehen. Wie löst Ihr das bei der Wahl Eurer Stücke und bei Eurer Musizierweise?

SP: Es wäre problematisch über die Musik, die wir machen, zu viel zu reden. Es gibt natürlich sechs verschiedene Meinungen bei uns, alle bei uns sind auch sehr verschiedene Typen. Aber wenn jeder nur versuchen würde, das durchzusetzen, was er will, kämen wir nicht vorwärts. Natürlich steht bei uns jeder für etwas und sagt das, was er will. Meist zeigt sich aber nach einigen Proben bald, in welche Richtung es bei welchem Stück läuft. Dennoch ist es bei jeder Musik immer wieder ein demokratischer Prozeß und damit ein ständiger Prozeß des Abwägens und des Anhörens. Und bei manchen Stücken geht es schwieriger, bei manchen leichter.

MM: Eine Art von Spannung, die sicherlich auch den Reiz eines Vokalensembles ohne Leiter ausmacht?

SP: Bestimmt. Man muß auch sagen, daß das bunte Repertoire, das wir in der Regel machen, maßgeblich davon lebt, aus welch unterschiedlichen Lagern die Mitglieder der Gruppe kommen. Inzwischen sind wir ja im Ensemble nur mehr drei Ex-Domspatzen, während es früher fünf waren. Und neue Leute, die zu SingerPur stoßen, bringen einen ganz anderen „Background“ mit als wir ihn haben. Da kommen dann ganz unterschiedliche persönliche Geschmacksrichtungen durch, der eine steht mehr auf Unterhaltungsmusik, gut gemachte peppige Sachen, der andere wiederum hat seine Vorlieben auf dem Gebiet der alten Musik. Demokratisch wird in diesem Pool der Meinungen und Geschmäcker ein musikalischer Konsens gefunden, und dies geschieht meist beim Singen am runden Tisch.

MM: Das Stichwort Domspatzen bringt uns natürlich auf das Thema SingerPur und Regensburg. In der Vergangenheit waren Eure Konzertauftritte hier nicht allzu häufig. Woran liegt das und wird sich da in näherer Zukunft etwas ändern?

SP: Jedes unserer vielen Programme, die wir machen, würden wir sehr gerne auch den Regensburgern vorstellen. Aber wir können als ein kleines „Wirtschaftsunternehmen“, das SingerPur ja doch inzwischen ist, unsere Konzerte in Regensburg nicht mehr selbst veranstalten (inklusive Plakatwerbung, Saalmiete etc.), wie wir es in der Vergangenheit gemacht haben. Das ist in der Regel finanziell auf Null hinausgelaufen. Der Musikverein Regensburg hat sich in diesem Jahr – und über diesen Zustand sind wir absolut glücklich – bereiterklärt, uns für ein Konzert in Regensburg zu engagieren. Wir konnten uns auf eine moderate Gage einigen, der Musikverein übernimmt die ganze Organisation und Werbung, und wir hatten endlich wieder die Möglichkeit, eines unserer Programme in Regenburg zu präsentieren. Wir hoffen da, – vielleicht sogar mit dem Musikverein – einen mehr oder minder regelmäßigen Turnus finden zu können, so daß wir alle zwei Jahre, vielleicht sogar jedes Jahr in Regensburg konzertieren können.

MM: Wie steht es mit SingerPur und den Tagen Alter Musik?

SP: Das ist wieder das Kapitel „Der Prophet im eigenen Lande ...“. Die Veranstalter der Tage Alter Musik wissen natürlich, daß wir auf dem Sektor der alten Musik sehr erfolgreich Konzerte gestalten oder auch mit dem Hilliard Ensemble zusammen konzertieren. Doch wir sind halt „Regensburger“ und da werden eher nicht ganz so bekannte amerikanische Gruppen bevorzugt, die dann in Regensburg ihr Deutschlandoder Europa-Debüt geben – aber: mit diesem Zustand können wir leben.

Diskographie:
Beim „Freiburger Musik Forum“ (Ars musici) sind erschienen:
SingerPur: Vokalsolistenensemble (1994)
Factor orbis: Geistliche Vokalmusik der Renaissance (1995)
Nordisk Vokalmusik: Vokalmusik aus Skandinavien (1996)
Musik für Stimmen (1998)
Orlando di Lasso: Missa „Tous les regrez“, Motetten (1999)
Jacobus Gallus: Moralia & Harmoniae morales (2000, 3 CDs)
Bei Sony ist erschienen:
Wilhelm Keller: Carmina humana (SP ist mit zwei Liederzyklen vertreten) (1995)
Im Herbst 2003 wird beim Münchner Jazzlabel „ACTmusic“ erscheinen:
„Ahi vita“: Michael Riessler (Bassklarinette) & SP (mit Vincent Courtois: Jazz-Cello) Werke von M. Riessler; C. Gesualdo; Josquin; A. Willaert; C. Monteverdi u. a.
Voraussichtlich im Frühjahr 2004 wird bei „Oehms-Classics“ erscheinen:
Neue Musik für Stimmen: Werke von S. Sciarrino; W. Rihm; I. Moody; J. Metcalf (Gäste: The Hilliard Ensemble)

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