Juan Martin Koch
Die 19. Tage Alter Musik Regensburg
Lebendigkeit, Spontaneität und – bei entsprechendem Repertoire – nicht selten ein Schuß Nonchalance im Umgang mit musikalischen Traditionen: Diese Markenzeichen der Alten-Musik-Szene dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß das instrumentale und vokale Niveau mittlerweile einen so hohen Standard erreicht hat, daß ein Unterschreiten schnell dingfest gemacht ist. Drive und Performance sind eben nicht alles, und so konnte man das amerikanische Terra Nova Consort von dem Vorwurf nicht ganz freisprechen, das Publikum beim Eröffnungskonzert der 19. Tage Alter Musik im Regensburger Reichssaal doch etwas tief angeflogen zu haben. Als ein saftiges Stück Musikgeschichte wollte man die Spanische Renaissance servieren und als einen direkten Vorfahren heutiger Flamenco-Tradition: im Ledermantel und mit viel Gitarren- bzw. Vihuela-Groove – eine unterhaltsame, aber eben auch etwas grob geschnitzte Erfindung der Vergangenheit. Auch von dem fünfköpfigen Vokalensemble La Venexiana hätte man sich etwas mehr erwartet. Kleine Intonationsschwächen, das manchmal unkontrollierte Heraustreten einer Einzelstimme trübten den Gesamteindruck eines anspruchsvollen Programms um den Juan Martin Koch Den Ohren geschmeichelt, der Routine getrotzt Die 19. Tage Alter Musik Regensburg Foto TAM Ein Monteverdi-Fest: Das New Yorker Ensemble Artek in der St. Oswald-Kirche. Foto: TAM 17 Radikalchromatiker Carlo Gesualdo da Venosa. Insbesondere das scharfe Timbre des Altus und Leiters der Gruppe, Claudio Cavina, harmonierte nicht optimal mit der wohltuend natürlich und rund artikulierten Klang- und Sprachcharakteristik der übrigen Sänger. Die Madrigale Monteverdis waren dagegen bei den New Yorker Musikern von Artek in besten Händen. Ihnen ist eine schauspielerische Begabung eigen, die der Ernsthaftigkeit des Musizierens stets eine gewisse Leichtigkeit beigesellt. Ganz selbstverständlich wird da der theatrale, manchmal selbstironische Gestus erfaßt, werden instrumentale Programmelemente mit den vokalen verschmolzen. Etwas von dieser Fähigkeit, Musik nicht nur darzubieten, sondern auch zu vermitteln, vermißte man im Nachtkonzert des italienischen Theatrum Instrumentale. Dabei hätte es vielleicht nur einiger zusätzlicher Informationen im Programmheft bedurft, um aus der – für die Tageszeit sicher zu lang geratenen – mulitkulturellen Begegnung mittelalterlicher Musik Spaniens mit arabischen und sephardischen Traditionen ein über vage Faszination hinausgehendes Ereignis zu machen. Klarer umrissen die Programme der beiden anderen Nachtkonzerte: das Ensemble européen William Byrd stellte mit eherner Strenge Machauts „Messe de Nostre Dame“ in den Kontext sich anschließender Entwicklungen in der Vokalpolyphonie. Unter der Leitung Graham O’Reillys, der an der Truhenorgel mit einigen Zwischenspielen aus dem Buxheimer Orgelbuch für Atempausen sorgte, geriet Johannes Ockeghems Motette „Intemerata Dei mater“ zu einem Höhepunkt, der die Weiten der Domakustik bis in letzte Winkel hell ausleuchtete. Die Weser Renaissance Bremen konstruierte – vokal wie instrumental gleichermaßen kompetent – eine Marienvesper Orlando di Lassos. Auch wenn, bedingt durch die getrennte Aufstellung in drei Vokal- bzw. Instrumentalgruppen, der klangliche Zusammenhalt bisweilen ein wenig ins mächtige Schiff der Dominikanerkirche auszufransen drohte, führte Manfred Cordes seine großartigen Musiker zu einer sehr geschlossenen, von ruhiger Kraft getragenen Aufführung. Markenzeichen des diesjährigen Festivals waren zweifellos die vier reinen Orchesterkonzerte, wobei nach dem Konstatieren des durchweg hervorragenden Qualitätsstandards die Frage nach dem präsentierten Repertoire in den Vordergrund rückte. Dem finnischen Sixth Floor Orchestra gelang dabei ein überzeugendes Plädoyer für die (vor-) klassische Musik im Königreich Schweden – der Furor, mit dem sich das Ensemble in Joseph Martin Kraus’ cis-Moll-Symphonie stürzte, war überwältigend. Das Prager Collegium 1704 rückte einmal mehr den Namen Jan Dismas Zelenkas in hellstes Licht und hatte mit dem langsamen Satz des Oboenkonzerts von Henrico Albicastro, einem geradezu unglaublichen Ohrenschmeichler mit Wunschkonzert- Perspektive (von Michael Bosch entsprechend gespielt), noch ein As im Ärmel. Weniger überraschend die Programme von Arte dei Suonatori aus Polen (Telemann und Vivaldi mit dem phänomenalen Dan Laurin als Solisten an der Altblockflöte) und dem Zefiro Barockorchester, das den Wassermusiken Händels, Telemanns und Bachs mit geballter Bläserkompetenz die Routine austrieb. Im Abschlußprogramm, dem fünften Konzert mit Orchesterbeteiligung, standen neben Philippe Herreweghes wunderbarem Chor Collegium Vocale Gent die beiden Vokalsolistinnen im Zentrum. Sibylla Rubens und Stephanie Houtzeel verliehen der – im gängigen Bachverständnis doch einigermaßen kurios sich ausnehmenden – Bearbeitung des Pergolesi-Stabat Maters in schöner Übereinstimmung affektgesättigtes Profil. Einhelliger Jubel auch nach der F-Dur-Missa, deren glanzvolle Instrumentalpartien und großartige Chorsätze das wieder einmal bedeutsame Festival krönten. Daß im kommenden Jahr mit einer Opernausgrabung der Mozart-Zeit und einem Orchesterkonzert zum 19. Jahrhundert (mit Jos van Immerseels wunderbarer Formation Anima Eterna) der Rahmen wieder etwas weiter gesteckt sein wird, weckt nur umso größere Erwartungen. Die runde Zahl 20, die es dann zu feiern gilt, könnte aber auch Anlaß sein, über neue Elemente im Programm nachzudenken. Warum nicht einmal mit einem moderierten oder inszenierten Konzert neue Wege beschreiten, vielleicht auch für eine jüngere Zielgruppe, der man ja schon jetzt im Schlepptau der Eltern in manch einer Aufführung begegnet? Und die freilich noch recht vagen Signale, die der neue Alteglofsheimer Akademiedirektor aussendet (siehe oben, S. 14): ließen diese sich nicht im Sinne eines regional konzentrierten, doch überregional