Mälzels Magazin

Zeitschrift für Musikkultur in Regensburg

Schriftzug Mälzels Magazin
Hefte2001Nr. 1
mälzels magazin, Heft 1/2001, S. 9–11
URL: http://www.maelzels-magazin.de/2001/1_04_kagerer.html

Claus Lochbihler

Gute Freunde, Groove-Tiere, und der Überblick

Interview mit dem Jazzgitarristen Helmut Kagerer

Die bessere Gitarren-Hälfte von Helmut Nieberle, der in unserem Magazin bereits vorgestellt wurde (3. Jg., Heft 1), heißt Helmut Kagerer. Die beiden Regensburger Jazzgitarristen haben soeben mit „Flashes“ (Jardis) ihre vierte Duo-Einspielung vorgelegt. Kagerer (im bayerisch-amerikanischen Jazzer-Jargon meist „Kaigerer“ ausgesprochen) unterrichtet seit 1991 am Nürnberger Meistersinger Konservatorium, das inzwischen zur Hochschule aufgestiegen ist, Jazzgitarre. International dürfte der 39jährige Gitarrist das bekannteste Gesicht der Regensburger Jazz-Szene sein. Durch Aufnahmen mit dem Tenorsax-Veteran Red Holloway und Hammond-Organist Matthias Bätzel, das Duo mit Nieberle und eine langjährige Freundschaft zu Attila Zoller ist der gebürtige Straubinger in Gitarristenkreisen schon längst auch jenseits des großen Teichs ein Begriff – ohne daß er sich jemals um eine „Karriere“ bemüht hätte. Mit Kagerer unterhielt sich Claus Lochbihler.

M.M.: Du unterrichtest seit einigen Jahren als Dozent für Jazzgitarre, bist selbst aber – mit Ausnahme eines Studienjahres in Graz – im wesentlichen Autodidakt. Was läßt sich in Sachen Jazz an einer Hochschule lernen und lehren und was nicht?

Kagerer: Sämtliche Voraussetzungen, die man für Jazz braucht, zum Beispiel Harmonielehre, Improvisationskurse, lassen sich an einer Hochschule natürlich wunderbar unterrichten. Durch den Einzelunterricht gilt dies vielleicht auch für die Phrasierung. Außerdem bekommt man im Studium viele Hinweise, welche Vorbilder man überhaupt studieren sollte. Aber generell muß man schon selbst auf den Jazz kommen, und um ein guter Jazzmusiker zu werden, muß man nicht unbedingt studieren.

M.M.: Glaubst Du, daß auch Dir ein komplettes Studium viel gebracht hätte?

Kagerer: Ich war ein Jahr in Graz und zwei Jahre in München auf der „Munich Jazz School“. Das möchte ich nicht missen. Ich habe in dieser Zeit wahnsinnig viel gelernt. Joe Haider werde ich zum Beispiel nie vergessen. Morgens um neun Uhr – der Joe noch ganz blaß im Gesicht – hatten wir Harmonielehre. Für mich 20jährigen Gitarristen, der gerade mal einen verminderten Akkord greifen konnte, war das eine ganz wichtige Erfahrung. Durch den Umstand, daß uns Joe Haider die ganzen Voicings, die man bestimmen mußte, am Klavier vorgespielt hat, lernte man sehr, sehr viel. Die Zeit in Graz war ebenfalls sehr gut: Dort war ja Harry Pepl, der mir von Costa Lukacz empfohlen worden war. Er zeigte dir, wie man aus Gelernten etwas Neues, Eigenes machen kann. Allein Harry Pepl war es wert, daß ich kurz in Graz „reingeschmeckt“ habe!

M.M.: Ist die beste Ausbildung vielleicht ein Mix aus Studium und einem Sich-Reinwerfen in die Jazz-Szene? [9/10]

Kagerer: Das würde ich sogar schwer empfehlen. Die besseren Schüler sind allerdings immer diejenigen, die viel in der Jazz-Szene unterwegs sind: Die selbst Jam-Sessions organisieren und ständig spielen – ob das nun Geld bringt oder nicht.

M.M.: Was gibt Dir das Unterrichten?

Kagerer: Gute Frage. Manchmal gibt es mir sehr viel. Manchmal kann es auch nervig sein, aber meistens gibt es mir sehr viel. (kurze Denkpause) Langfristig gesehen sogar immer. Je mehr man einem Schüler auf den Weg gibt, desto mehr bekommt man auch zurück.

M.M.: Gitarristen wie Harry Pepl und Costa Lukacz hast Du bereits erwähnt: Was haben Begegnungen mit anderen, älteren Gitarristen, unter ihnen einige ganz große Namen, für Dich bedeutet?

Kagerer: Zu den ganz wichtigen Stationen gehört natürlich Costa Lukacz, den ich 1982/83 in München kennengelernt habe. Da bin ich völlig zusammen­gebrochen. Ich war total beeindruckt, weil Costa die Technik von George Benson mit der unheimlichen Harmonik von Jim Hall kombiniert hatte. Ja sogar noch mehr: Er hatte auch klaviertechnische Sachen drauf, wohl von Bill Evans runtergehört. Ich habe Costa dann wegen Privatunterricht angehauen und wir sind bald schon gute Freunde geworden. Mitte der 80er Jahre kam dann Karl Ratzer ins Spiel: Für mich war der Charlie das absolute Groove-Tier. Vor allem was den Anschlag der rechten Hand betrifft, hat mich Ratzer sehr beeinflußt. Dann kommt schon langsam Attila Zoller. Der war für mich ein großer Einfluß, weniger gitarrentechnisch, sondern menschlich und musikalisch. Attila hat mich gedrängt, mehr auf das Eigenständige zu achten, einen individuellen Stil zu entwickeln. Er hat mir gezeigt, daß vieles – etwa das Begleiten – wichtiger und auch schwieriger ist als irgendwelche Benson-Licks herunterzulassen. Er hat mich dann ins Vermont Jazz Center eingeladen. Für mich war das der erste Aufenthalt in den USA und als einziger Deutscher dort hat das irrsinnig Spaß gemacht. Man konnte Leute wie Ron McClure, Keith Copeland oder Jimmy Heath kennen lernen. Auch Tal Farlow habe ich dort das erste Mal getroffen. Das war für mich wie Weihnachten! Tal machte damals einen wunderbaren Workshop mit lauter Akkorden, die kein Mensch greifen konnte.

M.M.: Noch mal ganz kurz zu Costa Lukacz – den kennen im Grunde ja nur Gitarristen, weil er mangels Aufnahmen in der Öffentlichkeit völlig unbekannt ist. Wie würdest Du seine Bedeutung umreißen?

Kagerer: Für mich ist Costa Lukacz einer der größten Gitarristen, die ich je gehört habe – weltweit! Ich habe diese gewisse Etwas, das Costa Lukacz auszeichnete, nie wieder gehört: Seine Eigenkompositionen, unglaublich modern und harmonisch sehr an Chick Corea und Herbie Hancock angelehnt, oder seine Flageolettarbeit. Er hat mir wahnsinnig viel gezeigt.

M.M.: Gerade mit dem Matthias Bätzel-Hammond-Trio hast Du in den letzten Jahren mit richtig großen Namen gespielt, etwa dem Trompeter/Flügelhornisten Clark Terry oder dem Tenorsaxophonisten Red Holloway. Sind das für Euch in erster Linie große Namen, die das Jazz-Publikum aufhorchen lassen, oder eher Musiker, die etwas haben, was vielen jüngeren Jazzern abgeht?

Kagerer: Wir sehen das vor allem als Möglichkeit, um in die Jazzgeschichte einzutauchen. Das sind ja Zeitzeugen, die es so leider nicht mehr allzu lange geben wird. Immer wieder erstaunlich ist auch, wie [10/11]einsatzbereit diese alten Jazzer sind. Nehmen wir Red Holloway: Jederzeit kann der in sein Horn reinblasen, völlig wurscht wann. Wenn der Gig losgeht, nimmt Red sein Mundstück und es geht los. Und zwar gleich auf 180. Und der Typ ist über 70! Davon kann man natürlich einiges lernen. Die wissen auch noch, daß Jazz etwas mit Entertainment zu tun hat: Daß du auf der Bühne stehst und den Leuten etwas liefern mußt. Außerdem verlangen einem die alten Jazzer Flexibilität ab. Es kann passieren, daß du auf der Bühne stehst und Red plötzlich irgendeine Nummer ansagt. Die mußt du dann spielen können. Und wenn du’s nicht kannst, lernst du’s in dem Moment.

M.M.: Du bist jetzt schon ganz schön lange Zeit in Regensburg. Was sind aus deiner Sicht die „Pros“ and „Cons“ dieser Stadt?

Kagerer: Zum Leben ist Regensburg eine Super-Stadt. Die Lebensqualität ist wesentlich höher als beispielsweise in Berlin. Was mich an Regensburg manchmal etwas nervt: Wenn ich an einem Mittwoch zu Hause sitze und plötzlich Lust auf ein Konzert bekomme, dann ist halt nichts los. In München wäre natürlich schon was los. Aber immerhin gibt es in Regensburg eine gewisse Gitarren-Szene, Jam-Sessions im „Leeren Beutel“ oder im „Amapola“. Eigentlich gefällt es mir in Regensburg wahnsinnig gut. Deshalb bin ich ja auch schon gut zehn Jahre hier.

M.M.: Hast Du Dir jemals überlegt wegzugehen? Ins Ausland?

Kagerer: Ganz früher mal. Als ich 20 war wollte ich unbedingt nach Amerika: Berklee und diese ganze Chose. Im nachhinein bin ich froh, daß ich das nicht gemacht habe. Sonst hätte ich wahrscheinlich keinen Costa Lukacz getroffen. Und wenn ich jetzt Berklee-Absolventen höre, dann bereue ich es auch gar nicht.


Zum Abschluß gab’s noch vier Aufnahmen im „Blindfold-Test“:

Brad Mehldau: A Walk in the Park („Places“, Warner, 2000), mit Jorge Rossy (Schlagzeug) und Larry Grenadier (bass)

Kagerer: Das kann eigentlich nur Brad Mehldau sein, oder Keith Jarrett. Aber Jarrett würde doch etwas anders klingen. Diese Aufnahme kenne ich noch nicht. Super Musik! So wunderbar offen. Diese Trennung von Akkorden und Melodien ist auf der Gitarre kaum zu machen. Dazu ist die Gitarre zu unlogisch aufgebaut und vom Überblick her zu schwierig. Es gibt nur ein paar Gitarristen die in diese Richtung gehen. Aber Gitarre ist einfach ein ganz anderes Instrument. Auf dem Klavier hat man mehr Überblick – wenn man ihn hat.

Joe Pass: Indian Summer („Solo Studio Recordings 1“, Pablo)

Kagerer: Da gibt’s nur einen: Joe Pass. „Indian Summer“! Der Meister des Kontrapunkt. Schöner Sound! Ich habe Joe Pass ein paar Mal gehört. Helmut Nieberle und ich sind einmal einen Nachmittag mit Joe Pass zusammen gesessen und haben uns gitarristisch mit ihm vergnügt. Was mich an dieser Aufnahme und Joe Pass generell so begeistert, ist, daß vieles komplett improvisiert ist. Einiges ist fix, aber das Ganze ist nicht übereinstudiert.

Biréli Lagrène / Sylvain Luc: Made in France („Duet“, Dreyfus Jazz, 1999)

Kagerer: Das ist Biréli mit diesem Verrückten Sylvain Luc. Eine super Platte. Tierisch. Sylvain Luc war mir vor dieser Platte überhaupt kein Begriff. Ich bin von ihm wirklich schwer beeindruckt. Mir gefällt sein Spiel zwar nicht hunderttausendprozentig, aber er ist ein tierisch guter Gitarrist.

Earl Klugh: I say a little prayer („The Earl Klugh Trio Vol 1“, Warner, 1991), mit Ralphe Armstrong (Bass) und Gene Dunlap (Schlagzeug)

Kagerer: Das kann nur Earl Klugh sein mit „I say a little prayer“. Einfach wunderbar! Eigentlich hat George Benson alles zum Thema Earl Klugh gesagt: Wenn er mal wieder geboren werden möchte, dann als Earl Klugh.

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